„Mikro­be des Jah­res“: Bay­reu­ther Mikro­bio­lo­gen ent­decken Schlüs­sel­pro­te­in für die Zell­tei­lung magne­ti­scher Bakterien

Symbolbild Bildung

Magne­to­tak­ti­sche Bak­te­ri­en haben die fas­zi­nie­ren­de Fähig­keit, sich bei ihren Bewe­gun­gen am Erd­ma­gnet­feld zu ori­en­tie­ren. Im Fach­jour­nal mBio berich­ten For­scher der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, der LMU Mün­chen und des Max-Planck-Insti­tuts für Bio­che­mie über neue Erkennt­nis­se zur „Mikro­be des Jah­res 2019“, dem Bak­te­ri­um Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se, das haupt­säch­lich am Grund von Gewäs­sern lebt. Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pi­sche Auf­nah­men bele­gen, dass die stö­rungs­freie Zell­tei­lung die­ser Mikro­be ent­schei­dend von dem Pro­te­in PopZ abhängt. Die Stu­die lie­fert wert­vol­le Erkennt­nis­se zur mikro­bio­lo­gi­schen Grund­la­gen­for­schung ins­ge­samt, vor allem zur Tei­lung und inne­ren Orga­ni­sa­ti­on bak­te­ri­el­ler Zellen.

Bakterien der Spezies Magnetospirillum gryphiswaldense, denen das Protein PopZ fehlt. Deshalb sind ihre Zellen anomal verlängert. Im Inneren der Bakterien sind die Magnetosomen sichtbar. Elektronenmikroskopische Aufnahme: Daniel Pfeiffer, Universität Bayreuth.

Bak­te­ri­en der Spe­zi­es Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se, denen das Pro­te­in PopZ fehlt. Des­halb sind ihre Zel­len anomal ver­län­gert. Im Inne­ren der Bak­te­ri­en sind die Magne­to­so­men sicht­bar. Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pi­sche Auf­nah­me: Dani­el Pfeif­fer, Uni­ver­si­tät Bayreuth.

Wie die mei­sten magne­to­tak­ti­schen Bak­te­ri­en ist auch Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se ein Ein­zeller, der sich durch Zell­tei­lung ver­mehrt. Bei die­sem Pro­zess kommt es dar­auf an, dass das gene­ti­sche Mate­ri­al und auch die teils über­le­bens­wich­ti­gen Orga­nel­len der bak­te­ri­el­len Zel­le gleich­mä­ßig auf die bei­den neu­en Toch­ter­zel­len ver­teilt wer­den. Nur so ist es mög­lich, dass sich aus jeder die­ser Toch­ter­zel­len eine voll funk­ti­ons­fä­hi­ge Bak­te­ri­en­zel­le ent­wickelt. Wie die Wis­sen­schaft­ler her­aus­ge­fun­den haben, hat das Pro­te­in PopZ eine ent­schei­den­de Bedeu­tung für einen feh­ler­frei­en Ablauf der Zell­tei­lung. An den Enden der läng­lich und schrau­ben­ar­tig geform­ten Bak­te­ri­en­zel­len befin­den sich PopZ-Mole­kü­le in hoher Kon­zen­tra­ti­on. Die­se Pro­te­in-Clu­ster fun­gie­ren als Andock­sta­ti­on für zahl­rei­che wei­te­re Pro­te­ine, die für die Zell­tei­lung benö­tigt werden.

Wenn es in der Bakterienzelle zu einer Überproduktion des Proteins PopZ kommt, bilden sich lange dünne Fortsätze, die in der elektronenmikrosopischen Aufnahme auffällig hell erscheinen. Bild: Daniel Pfeiffer, Universität Bayreuth.

Wenn es in der Bak­te­ri­en­zel­le zu einer Über­pro­duk­ti­on des Pro­te­ins PopZ kommt, bil­den sich lan­ge dün­ne Fort­sät­ze, die in der elek­tro­nen­mi­kro­so­pi­schen Auf­nah­me auf­fäl­lig hell erschei­nen. Bild: Dani­el Pfeif­fer, Uni­ver­si­tät Bayreuth.

Wenn Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se das für die Her­stel­lung von PopZ erfor­der­li­che Gen fehlt, ist nicht nur sei­ne Beweg­lich­keit erheb­lich ein­ge­schränkt. Auch die Zell­tei­lung ist gestört, so dass die Toch­ter­zel­len nicht gleich­mä­ßig mit dem für einen stö­rungs­frei­en Zell­auf­bau nöti­gen Mate­ri­al aus­ge­stat­tet sind. Es ent­ste­hen sowohl extrem lan­ge Zel­len als auch win­zi­ge Mini-Zel­len. Wenn hin­ge­gen die Bak­te­ri­en­zel­le zuviel PopZ her­stellt, kommt es eben­falls zu Anoma­lien: Es bil­den sich dün­ne Fort­sät­ze, an denen sich das über­schüs­si­ge Pro­te­in ansam­melt. Daher erschei­nen die­se Fort­sät­ze im Elek­tro­nen­mi­kro­skop wesent­lich hel­ler als die rest­li­che Bakterienzelle.

Durch hoch­auf­ge­lö­ste Fluo­res­zenz­mi­kro­sko­pie ent­deck­ten die Wis­sen­schaft­ler eine wei­te­re Auf­fäl­lig­keit. Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se unter­schei­det sich von ande­ren bekann­ten Bak­te­ri­en hin­sicht­lich des Zeit­punkts, zu dem sich Ansamm­lun­gen des Pro­te­in PopZ her­aus­bil­den: Bereits in der Schluss­pha­se der Zell­tei­lung oder sehr kur­ze Zeit danach ent­ste­hen an den neu­en Polen der Toch­ter­zel­len neue Clu­ster die­ses Proteins.

Dr. Daniel Pfeiffer (re.), Ko-Autor der neuen Studie, mit den Bayreuther Bachelor-Studierenden Julian Herz und Annika Stüven (v.l.), die an den Forschungsarbeiten mitgewirkt haben. Foto: Christian Wißler.

Dr. Dani­el Pfeif­fer (re.), Ko-Autor der neu­en Stu­die, mit den Bay­reu­ther Bache­lor-Stu­die­ren­den Juli­an Herz und Anni­ka Stü­ven (v.l.), die an den For­schungs­ar­bei­ten mit­ge­wirkt haben. Foto: Chri­sti­an Wißler.

„Unse­re Erkennt­nis­se sind gene­rell für ein ver­tief­tes Ver­ständ­nis der intra­zel­lu­lä­ren Orga­ni­sa­ti­on und der Zell­tei­lung in Bak­te­ri­en von gro­ßem Inter­es­se“, erklärt Dr. Dani­el Pfeif­fer, Ko-Autor der neu­en Stu­die. Prof. Dr. Dirk Schü­ler, einer der welt­weit füh­ren­den Exper­ten auf dem Gebiet der magne­to­tak­ti­schen Bak­te­ri­en, ergänzt: „Wir wis­sen zwar schon län­ger, dass das Pro­te­in PopZ in den mei­sten Magnet­bak­te­ri­en, aber auch in vie­len ihrer nicht-magne­ti­schen Ver­wand­ten vor­kommt. Aber jetzt ist es erst­mals gelun­gen, die Funk­tio­nen die­ses Pro­te­ins für ein magne­to­tak­ti­sches Bak­te­ri­um prä­zi­se zu bestim­men. Dabei hat uns die hoch­auf­ge­lö­ste Fluo­res­zenz­mi­kro­sko­pie mit soge­nann­ter ‚struk­tu­rier­ter Beleuch­tung‘ wesent­lich gehol­fen. Dies ist eine ganz neue Unter­su­chungs­me­tho­de, für die wir auf dem Bay­reu­ther Cam­pus seit kur­zem her­vor­ra­gend aus­ge­stat­tet sind.“

Hin­ter­grund:

Seit 2014 ernennt die Ver­ei­ni­gung für All­ge­mei­ne und Ange­wand­te Mikro­bio­lo­gie (VAAM) einen Mikro­or­ga­nis­mus zur „Mikro­be des Jah­res“. Aus­schlag­ge­bend ist dabei die Bedeu­tung, die der jewei­li­ge Mikro­or­ga­nis­mus bei­spiels­wei­se für die Öko­lo­gie, Medi­zin, Lebens­mit­tel­wirt­schaft, die Ener­gie­ge­win­nung oder auch gene­rell für die wis­sen­schaft­li­che For­schung hat. Für 2019 fiel die Wahl auf Magne­to­spi­r­il­lum gry­phis­wal­den­se. Die­se Mikro­be wur­de in den 1980er Jah­ren von Dirk Schü­ler als Stu­dent ent­deckt und aus dem Schlamm eines Flus­ses iso­liert. Heu­te ist sie ein wich­ti­ges Unter­su­chungs­ob­jekt an dem von Schü­ler gelei­te­ten Lehr­stuhl für Mikro­bio­lo­gie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Hier und in vie­len ande­ren Labors welt­weit dient sie als Modell­or­ga­nis­mus für die zell­bio­lo­gi­sche Erfor­schung von Bak­te­ri­en und ihrer Magnet­feld­ori­en­tie­rung durch Magne­to­so­men. Dies sind win­zi­ge, nur weni­ge Nano­me­ter gro­ße Par­ti­kel im Inne­ren der magne­to­tak­ti­schen Bak­te­ri­en. Sie rei­hen sich ket­ten­för­mig anein­an­der und reagie­ren ähn­lich wie eine Kom­pass­na­del auf das Magnet­feld der Erde. Wenn es gelingt, die Bio­syn­the­se der Magne­to­so­men im Detail zu ver­ste­hen und im Labor wei­ter zu opti­mie­ren, könn­ten sich dar­aus span­nen­de Ansatz­punk­te für die Her­stel­lung magne­ti­scher Nano­ma­te­ria­li­en mit neu­en, maß­ge­schnei­der­ten Eigen­schaf­ten ergeben.

Inter­view mit Prof. Dr. Dirk Schü­ler zur „Mikro­be des Jah­res 2019“:

https://​vaam​.de/​i​n​f​o​p​o​r​t​a​l​-​m​i​k​r​o​b​i​o​l​o​g​i​e​/​m​i​k​r​o​b​e​-​d​e​s​-​j​a​h​r​e​s​/​m​i​k​r​o​b​e​-​d​e​s​-​j​a​h​r​e​s​-​2​019

Ver­öf­fent­li­chung:

Dani­el Pfeif­fer, Mau­ricio Toro-Nahuel­pan, Marc Bramkamp, Jür­gen Plitz­ko, and Dirk Schü­ler: The polar orga­ni­zing pro­te­in PopZ is fun­da­men­tal for pro­per cell divi­si­on and segre­ga­ti­on of cel­lu­lar con­tent in Magne­to­spi­r­il­lum gryphiswaldense.
mBio (2019), DOI: 10.1128/mBio.02716–18

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) und vom Euro­päi­schen For­schungs­rat (ERC) im Rah­men eines ERC Advan­ced Grants für Prof. Dr. Dirk Schü­ler gefördert.