Uni­ver­si­tät Bam­berg: Ent­schei­dung über Attrak­ti­vi­tät fällt in Millisekunden

Symbolbild Bildung

Ergeb­nis­se einer neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Stu­die veröffentlicht

Bereit­wil­lig ver­öf­fent­li­chen Men­schen ihre Por­träts auf Face­book, Insta­gram, Twit­ter, Tin­der und wei­te­ren sozia­len Netz­wer­ken. Dass ande­re Men­schen dabei auch das Aus­se­hen der Gezeig­ten beur­tei­len, wird zumin­dest bil­li­gend in Kauf genom­men, manch­mal sogar bewusst pro­vo­ziert, weil man auf vie­le Klicks oder Likes hofft. Wie genau es zu Attrak­ti­vi­täts­ein­schät­zun­gen und den dar­auf­fol­gen­den Likes kommt, ist kaum erforscht. Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen aus Bam­berg, Mün­chen, Jena, Wien und Salz­burg haben nun im Wis­sen­schafts­jour­nal „Neu­ro­sci­ence Let­ters“ eine neue Stu­die dazu ver­öf­fent­licht. Dar­in zei­gen sie, dass die Ein­schät­zung der Attrak­ti­vi­tät weit weni­ger als eine Sekun­de dau­ert. Noch schnel­ler schätzt man ein, wel­ches Geschlecht eine Per­son hat.

„Für das Abge­ben eines Likes benö­ti­gen wir gera­de ein­mal eine Sekun­de“, sagt Prof. Dr. Claus-Chri­sti­an Car­bon, Erst­au­tor der Stu­die und Inha­ber des Lehr­stuhls für All­ge­mei­ne Psy­cho­lo­gie und Metho­den­leh­re an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. Aber wie lan­ge brau­chen Men­schen, um das Geschlecht einer Per­son ein­zu­stu­fen und deren Attrak­ti­vi­tät ein­zu­schät­zen? In einem neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Expe­ri­ment beur­teil­ten 25 Ver­suchs­per­so­nen ins­ge­samt 100 Por­trait­fo­tos hin­sicht­lich Geschlecht und Attrak­ti­vi­tät. Die Hälf­te der abge­bil­de­ten Per­so­nen war männ­lich, die ande­re Hälf­te weib­lich. Wäh­rend­des­sen maß das For­scher­team die elek­tri­schen Gehirn­strö­me mit­hil­fe einer Elek­tro­en­ze­pha­logra­fie (EEG): Dabei bringt man Elek­tro­den auf der Kopf­haut an und kann somit indi­rekt die Akti­vi­tät des Gehirns mes­sen. Bei dem EEG-Expe­ri­ment stand die Aus­wir­kung von spe­zi­fi­schen Prä­sen­ta­tio­nen von Gesichts­dar­stel­lun­gen im Fokus, sodass bereits 25 Ver­suchs­per­so­nen genüg­ten, um gesi­cher­te Ergeb­nis­se zu erhalten.

Zuerst ver­ar­bei­tet das Gehirn das Geschlecht, dann die Attrak­ti­vi­tät eines Gesichts

„Das Beson­de­re an unse­rer Her­an­ge­hens­wei­se ist, dass wir zwei Auf­ga­ben­ty­pen mit­ein­an­der ver­schach­telt haben, näm­lich die Bewer­tung von Geschlecht und Attrak­ti­vi­tät“, führt Claus-Chri­sti­an Car­bon wei­ter aus. „Dadurch konn­ten wir soge­nann­te Inhi­bi­ti­ons- und Motor­vor­be­rei­tungs­pro­zes­se ana­ly­sie­ren.“ Ver­ein­facht gesagt teste­ten sie, ab wel­chem Zeit­punkt Attrak­ti­vi­täts- und Geschlechts­in­for­ma­tio­nen im Gehirn für eine Ent­schei­dung bereit­ste­hen. „Tat­säch­lich zeig­te sich, dass Gesichts­in­for­ma­tio­nen nach etwa 200 Mil­li­se­kun­den weit genug ver­ar­bei­tet wur­den, um eine Ent­schei­dung über die Attrak­ti­vi­tät zu fäl­len“, sagt der neu­ro­ko­gni­ti­ve Psy­cho­lo­ge Prof. Dr. Flo­ri­an Hutz­ler von der Uni­ver­si­tät Salz­burg und Mit­au­tor der Stu­die. „Geschlechts­in­for­ma­tio­nen wer­den sogar noch frü­her ver­ar­bei­tet, näm­lich bereits nach unge­fähr 150 Mil­li­se­kun­den. Das heißt, zuerst wird das Geschlecht und dann erst die Attrak­ti­vi­tät eines Gesichts verarbeitet.“

Claus-Chri­sti­an Car­bon ergänzt: „Wir kön­nen zwar kei­nen ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen bei­den Pro­zes­sen nach­wei­sen, aber es liegt nahe, dass die frü­he Attrak­ti­vi­täts­ein­schät­zung auf den bereits ver­ar­bei­te­ten Geschlechts­in­for­ma­tio­nen auf­baut.“ Dies kön­ne auch erklä­ren, wes­halb es häu­fig zu geschlechts­spe­zi­fi­schen Attrak­ti­vi­täts­ein­schät­zun­gen kommt; wes­halb also bestimm­te Merk­ma­le bei Frau­en als attrak­tiv ange­se­hen wer­den, bei Män­nern aber nicht, und umge­kehrt. Kommt es auf den „ersten Blick“, das „spon­ta­ne Gefal­len“ an, so kön­ne man davon aus­ge­hen, dass Men­schen sehr stark von geschlechts­spe­zi­fi­schen Ste­reo­ty­pen in ihren Attrak­ti­vi­täts­ein­schät­zun­gen gelei­tet wer­den – unter Umstän­den ein Grund dafür, dass die­se frü­hen Urtei­le in hohem Maß von ver­schie­de­nen Per­so­nen geteilt werden.

Publi­ka­ti­on:
Car­bon, C. C., Faer­ber, S. J., Augu­stin, M. D., Mit­te­rer, B. & Hutz­ler, F. 2018. First gen­der, then attrac­ti­ve­ness: Indi­ca­ti­ons of gen­der-spe­ci­fic attrac­ti­ve­ness pro­ce­s­sing via ERP onsets. Neu­ro­sci­ence Let­ters, 686, 186–192.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter: www​.uni​-bam​berg​.de/​a​l​l​g​p​s​y​c​h​/​n​e​w​s​/​f​o​r​s​c​h​u​n​g​s​f​o​k​u​s​-​g​e​s​i​c​h​t​s​a​t​t​r​a​k​t​i​v​i​t​aet