„Thea­trum Mun­di. Barockes Welt­thea­ter, Büh­nen­fest­spiel, Spek­ta­kel“ in Bayreuth

Symbolbild Bildung

Son­der­aus­stel­lung vom 18. Juli bis 4. Novem­ber 2018 im Richard-Wagner-Museum

„Die gan­ze Welt ist eine Büh­ne.“ – Die­ser zum geflü­gel­ten Wort gewor­de­ne Satz Wil­liam Shake­speares besitzt im Zeit­al­ter des Barock beson­de­re Gül­tig­keit: Die Idee, das irdi­sche Leben sei purer Schein und eine gött­li­che Insze­nie­rung, in der jeder Mensch die ihm zuge­wie­se­ne Rol­le zu spie­len habe, ist Fun­da­ment der euro­päi­schen Welt­sicht im 17. und 18. Jahr­hun­dert. In höfi­schen Festen und dem sich ver­brei­ten­den mul­ti­me­dia­len Gesamt­kunst­werk der Oper insze­nie­ren und spie­geln die dama­li­gen Herr­scher die­se Welt als vor­geb­li­che Ver­tre­ter Got­tes zu des­sen Lob und zum eige­nen Machterhalt.
Unter völ­lig ande­ren Vor­zei­chen ver­wirk­licht sich im bür­ger­li­chen Zeit­al­ter des 19. Jahr­hun­derts die Idee des „Thea­trum Mun­di“ (Welt­thea­ter) wohl nir­gends nach­drück­li­cher als in Richard Wag­ners Gesamt­kunst­werk der Bay­reu­ther Fest­spie­le. Vor allem im „Ring des Nibe­lun­gen“ spie­gelt sich eine über­kom­me­ne Ord­nung aus Ari­sto­kra­tie, kor­rup­ter Finanz­welt und deka­den­ter Poli­tik, die zu über­win­den Wag­ners Ziel ist, um sie durch eine „ästhe­ti­sche Welt­ord­nung“ zu ersetzen.

Hun­dert Jah­re spä­ter, zu Beginn der stu­den­ti­schen Unru­hen des Mai 1968, kon­sta­tiert der fran­zö­si­sche Autor Guy Debord, dass die Men­schen in einer „Gesell­schaft des Spek­ta­kels“ leben, einer Schein­welt des Kon­su­mis­mus, in der die ‚Wirt­schaft’ die Rol­len zum allei­ni­gen Zweck des zeit­lo­sen Selbst­er­halts ver­teilt – eine Fest­stel­lung, die auch im Zeit­al­ter von Social Media nichts an Aktua­li­tät und Prä­gnanz ver­lo­ren hat.

In Koope­ra­ti­on mit der Hoch­schu­le Hof/​Campus Münch­berg, dem Iwa­le­wa­haus Bay­reuth und Bay­FinK nimmt das Richard Wag­ner Muse­um Bay­reuth die Wie­der­eröff­nung des UNESCO-Welt­kul­tur­er­bes Mark­gräf­li­ches Opern­haus zum Anlass, um in sei­ner dies­jäh­ri­gen Som­mer­aus­stel­lung dem Begriff des Welt­thea­ters nachzuspüren.

Mit den mul­ti­me­dia­len Mit­teln unse­rer Zeit nähert sich die Aus­stel­lung den Fra­gen nach Insze­nie­rung und Inhalt, Schein und Sein, Rol­le und Selbst­be­stimmt­heit als Gemein­sam­keit von barocker Oper, Wag­ners Gesamt­kunst­werk und den heu­ti­gen vir­tu­el­len Rea­li­tä­ten des Inter­nets gleichermaßen.

Die Welt als Büh­ne in Bayreuth

Im April 2018 wur­de das UNESCO-Welt­kul­tur­er­be Mark­gräf­li­ches Opern­haus Bay­reuth nach mehr­jäh­ri­ger Sanie­rung und Restau­rie­rung wie­der eröff­net. In ein­zig­ar­ti­ger Wei­se zeu­gen die bei­den Spiel­stät­ten in Bay­reuth, das Mark­gräf­li­che Opern­haus aus dem 18. Jahr­hun­dert und das für die Wer­ke Richard Wag­ners errich­te­te Fest­spiel­haus, von der über drei­hun­dert­jäh­ri­gen Geschich­te und Ent­wick­lung der Oper in Euro­pa. Gleich­zei­tig reprä­sen­tie­ren die bei­den Bau­wer­ke zwei Aus­for­mun­gen und Wei­ter­ent­wick­lun­gen des phi­lo­so­phi­schen Kon­zepts der Welt als Büh­ne. Die­se Vor­stel­lung ist ein Grund­be­stand­teil der abend­län­di­schen Welt­sicht, des­sen Ent­wick­lung in der Anti­ke beginnt und in der Gegen­wart des vir­tu­el­len Zeit­al­ters nach wie vor Gül­tig­keit besitzt. Mit sei­ner Aus­stel­lung „Thea­trum Mun­di. Barockes Welt­thea­ter, Büh­nen­fest­spiel, Spek­ta­kel“ im Som­mer 2018 möch­te das Richard Wag­ner Muse­um Bay­reuth die Ent­wick­lung die­ses Kon­zepts in sei­nem gesell­schafts- und ideen­ge­schicht­li­chen Kon­text nach­zeich­nen und so zum Ver­ständ­nis der Welt jen­seits der Büh­ne einen Bei­trag leisten.

Barockes Welt­thea­ter

Im 17. Jahr­hun­dert erfährt der Topos vom „Thea­trum Mun­di“ eine unge­heu­re Ver­stär­kung: Das Leben, vor allem das des Adels bei Hofe und das der Kir­che, erschöpft sich in thea­tra­li­scher Selbst­in­sze­nie­rung, wodurch des­sen ästhe­ti­scher Aus­druck im Thea­ter uni­ver­sa­le Bedeu­tung erlangt. Die gesam­te höfi­sche Archi­tek­tur ist gleich­zei­tig Abbild, Sinn­bild und Werk­zeug die­ser Insze­nie­rung des Welttheaters.

Mit sei­nem geist­li­chen Thea­ter­stück „El gran teat­ro del mun­do“ („Das gro­ße Welt­thea­ter“) lie­fert Pedro Cal­derón de la Bar­ca 1655 bei­spiel­haft das Dreh­buch: Gott als Spiel­lei­ter insze­niert auf sei­ner Büh­ne, der Welt, sein Stück, das Leben, in dem die Men­schen die Dar­stel­ler sind und die ihnen zuge­wie­se­ne Rol­le spie­len – das Leben wird ver­gäng­li­ches Schau­spiel und die Welt schein­haf­te Büh­ne. In die­sem Moment ist das Thea­ter nicht mehr blo­ßes Abbild der Welt, son­dern reprä­sen­tiert diese.

Das bevor­zug­te Instru­ment für sol­che Insze­nie­run­gen ist die neue Gat­tung der Oper, die mit ihrer Ver­ei­ni­gung der ver­schie­de­nen Kün­ste zum enor­men mul­ti­me­dia­len Spek­ta­kel ihrer Zeit avan­ciert. Nach strik­ten Regeln errich­te­te Thea­ter- und Zuschau­er­räu­me (Logen­thea­ter), die illu­sio­ni­sti­sche Kulis­sen­büh­ne und eine auf­wän­di­ge Büh­nen­ma­schi­ne­rie sind Erfin­dun­gen die­ser Zeit und die­nen aus­schließ­lich dazu, die bestehen­de Ord­nung der Welt zu reprä­sen­tie­ren und zu erhalten.

Büh­nen­fest­spiel

Im bür­ger­li­chen Zeit­al­ter des 19. Jahr­hun­derts ver­wirk­licht sich die Idee des „Thea­trum Mun­di“ wohl nir­gends nach­drück­li­cher als in Richard Wag­ners Gesamt­kunst­werk der Bay­reu­ther Fest­spie­le, des­sen Prä­mis­sen und Grund­zü­ge er 1850 in sei­ner Schrift „Das Kunst­werk der Zukunft“ beschreibt: Zusam­men­wir­ken aller Kunst­ar­ten, ästhe­ti­sche Gemein­schaft von Schaf­fen­den und Schau­en­den, Iden­ti­fi­ka­ti­on des Publi­kums mit Hel­den­tum und Pathos und schließ­lich die Idee, alle maß­geb­li­chen Zeit­dis­kur­se wie Poli­tik, Gesell­schaft und Reli­gi­on in der Kunst aufzuheben.

Wäh­rend die Kunst im Barock blo­ßes Mit­tel zur Reprä­sen­ta­ti­on einer bestehen­den, unum­stöß­li­chen christ­li­chen und welt­li­chen Ord­nung ist, wird sie im 19. Jahr­hun­dert vor allem bei Richard Wag­ner zu einer gesell­schafts­po­li­ti­schen Hoff­nung und Uto­pie. Sei­ne Kunst soll­te die über­kom­me­nen poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Insti­tu­tio­nen ablö­sen und in eine „ästhe­ti­sche Welt­ord­nung“ mün­den. Der dys­to­pi­sche „Ring des Nibe­lun­gen“, ein Pro­dukt des lin­ken, sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Wag­ner der Revo­lu­ti­on von 1848/49, ist nicht nur auf­füh­rungs­tech­nisch, son­dern vor allem inhalt­lich revo­lu­tio­nä­res Musik­thea­ter: Hier prä­sen­tiert Wag­ner als über­zeit­lich wah­ren Mythos eine Welt, die durch Poli­tik mora­lisch rui­niert wur­de und zugrun­de gehen muss, damit aus ihren Trüm­mern eine neue Ord­nung ent­ste­hen kann.

Spek­ta­kel

1967 beschreibt Guy Debord in „Die Gesell­schaft des Spek­ta­kels“ eine Welt, in der sich die Wirt­schaft ver­selb­stän­digt hat und die Men­schen in einer Ansamm­lung ver­schie­de­ner „Spek­ta­kel“ eine ihnen zuge­wie­se­ne Rol­le spie­len. Kon­sum und Wer­bung, Medi­en und Pro­pa­gan­da schaf­fen eine Schein­welt, in der Zeit und Lauf der Geschich­te ein­ge­fro­ren sind. Der Mensch hat in ihr sei­ne Frei­heit ver­lo­ren, die For­mu­lie­rung und Befrie­di­gung eige­ner Bedürf­nis­se ist ihm nicht mehr mög­lich, Ent­wick­lung fin­det nicht mehr statt. Statt­des­sen ste­hen ihm nur noch Spek­ta­kel, kli­schee­haf­te Lebens­sti­le, Rol­len­an­ge­bo­te und erwünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen zur Ver­fü­gung. Im Kern beschreibt Guy Debord damit eine Welt, die dem barocken Welt­thea­ter sehr nahe kommt, ohne jedoch die im Barock noch vor­han­de­ne Heils­er­war­tung im Jen­seits zu bieten.

In der Gegen­wart des Inter­nets und der Sozia­len Medi­en schließ­lich ist der Topos des „Welt­thea­ters“ gleich­zei­tig auf sei­ne Spit­ze und ad absur­dum geführt wor­den. So stellt sich hier und heu­te die Fra­ge nach Schein und Sein und den Grund­la­gen mensch­li­chen Zusam­men­le­bens nach­drück­li­cher denn je.

Koope­ra­ti­on mit der Hoch­schu­le Hof/​Campus Münchberg

Die Aus­stel­lung wur­de kon­zi­piert und umge­setzt in Koope­ra­ti­on mit der Hoch­schu­le Hof/​Campus Münch­berg, deren Stu­die­ren­de der Fach­be­rei­che Gestal­tung und Medi­en­de­sign die Mit­tel des aktu­el­len Welt­thea­ters ein­set­zen, um sich dem Begriff, sei­ner Geschich­te und sei­ner Rele­vanz in der Gegen­wart zu nähern.

Die Stu­die­ren­den kon­zi­pier­ten und rea­li­sier­ten die räum­li­che Insze­nie­rung – vom Ent­wurf bis zum Auf­bau – und die gra­fi­sche Gestal­tung gemein­sam mit den Gast­do­zen­ten Alex­an­der Fleisch­mann und Prof. Clau­dia Siegel.

Im Semi­nar „Inter­ac­tion und Infor­ma­ti­ons­de­sign“ bei Prof. Micha­el Zöll­ner setz­ten sie inter­ak­ti­ve Anwen­dun­gen um, bei­spiels­wei­se Raum- und Zeit­sprün­ge in das Fest­spiel­haus und das Opern­haus ver­mit­tels vir­tu­el­ler Rea­li­tät oder inter­ak­ti­ve Remi­xes von Selbstinszenierungen.

Es ist die drit­te Zusam­men­ar­beit des Richard Wag­ner Muse­ums Bay­reuth mit dem Fach­be­reich Medi­en­de­sign der Hoch­schu­le Hof. Nach zwei klei­ne­ren Labor­aus­stel­lun­gen in den Jah­ren 2016 und 2017 wur­de nun erst­mals gemein­sam eine gro­ße Son­der­aus­stel­lung realisiert.

Der Ein­tritt zur Son­der­aus­stel­lung ist im regu­lä­ren Muse­ums­ein­tritt inbe­grif­fen. Das Muse­um ist diens­tags bis sonn­tags von 10 bis 17 Uhr geöff­net, im Juli und August täg­lich von 10 bis 18 Uhr.

Begleit­pro­gramm in Koope­ra­ti­on mit dem Iwa­le­wa­haus, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und der BayFinK

Inte­gra­ler Bestand­teil der Aus­stel­lung ist ein umfang­rei­ches Ver­an­stal­tungs­pro­gramm von Juli bis Okto­ber 2018, das den per­for­ma­ti­ven Cha­rak­ter des Thea­trum Mun­di wider­spie­gelt. In enger Koope­ra­ti­on mit dem Iwa­le­wa­haus, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und der Bay­FinK wer­den Ver­an­stal­tun­gen und Per­for­man­ces aus allen Kunst­spar­ten prä­sen­tiert – unter ande­rem mit Han­nah Jones (Lon­don), Simon Vin­cent (Lon­don), Tobi­as Rank (Wan­der­ki­no Leip­zig), Yas­si­ne Balb­zioui (Mar­rak­ech), Chri­sti­an Stückl/​Abdullah Kara­ca (Volks­thea­ter München).

  • 21. Juli, 14 bis 17 Uhr
    Inklu­si­ons-Anrei­ze: Arbeit und Ver­gnü­gen im Muse­um Work­shop zur viel­sin­ni­gen Muse­ums­ar­beit mit Katha­ri­na Fink und Phil­ipp Schramm
    Um Anmel­dung wird gebe­ten: katharina.​fink@​uni-​bayreuth.​de
  • 6. August, 20 Uhr
    Ghost flowers and other stories
    Per­for­mance-Oper von Yas­si­ne Balb­zioui, Marrakech
  • 22. bis 24. August
    Amor Mun­di! Festival
    • 22. August, 20 Uhr
      Afro­fu­tu­rism and Gesamt­kunst­werk – through the art-music of Sun Ra and Wag­ner. A per­for­mance lecture
      Han­nah Cathe­ri­ne Jones aka Foxy Moron, London
    • 23. August, 15 bis 17 Uhr
      Thea­trum (mini) Mundi!
      Gibt es eigent­lich etwas Schö­ne­res als Thea­ter? Nö.
      Spiel-Anord­nung in der Aus­stel­lung für Kin­der von 6 bis 12 Jahren
      mit Katha­ri­na Fink
    • 24. August, 20 Uhr
      Dear Richard: Eine anfäng­li­che Begegnung/​Dear Richard: An Initi­al Encounter
      Simon Vin­cent, London
    • 24. August, 22 Uhr
      DJ-Set
      Han­nah Cathe­ri­ne Jones aka Foxy Moron, London
    • 24. August, 24 Uhr
      Musik
  • 6. Sep­tem­ber, 20 Uhr
    Wan­der­ki­no
    Tobi­as Rank und Gunt­hart Ste­phan, Leipzig
  • Okto­ber (Datum und Uhr­zeit wer­den noch bekanntgegeben)
    Thea­trum Mun­di Oberammergau
    Chri­sti­an Stückl und Abdul­lah Ken­an Kara­ca, Volks­thea­ter München
  • 26. Okto­ber, 20 Uhr
    Das Kon­go-Tri­bu­nal
    Film-Scree­ning und Dis­kus­si­on Team Milo Rau