Neue Ein­blicke in die Mate­rie: For­scher aus Bay­reuth und Karls­ru­he kom­bi­nie­ren Hoch­druck­for­schung mit NMR-Spektroskopie

Symbolbild Bildung

For­schern der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und des Karls­ru­he Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy (KIT) ist es erst­mals gelun­gen, die magne­ti­sche Kern­re­so­nanz­spek­tro­sko­pie (NMR) in Expe­ri­men­ten anzu­wen­den, bei denen Mate­ri­al­pro­ben unter sehr hohen Drücken – ähn­lich denen im unte­ren Erd­man­tel – ana­ly­siert wer­den. Das in der Zeit­schrift Sci­ence Advan­ces vor­ge­stell­te Ver­fah­ren ver­spricht neue Erkennt­nis­se über Ele­men­tar­teil­chen, die sich unter hohen Drücken oft anders ver­hal­ten als unter Nor­mal­be­din­gun­gen. Es wird vor­aus­sicht­lich tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tio­nen för­dern, aber auch neue Ein­blicke in das Erd­in­ne­re und die Erd­ge­schich­te, ins­be­son­de­re die Bedin­gun­gen für die Ent­ste­hung von Leben, ermöglichen.

Dia­man­ten set­zen Mate­rie unter Hochdruck

Die geo- und mate­ri­al­wis­sen­schaft­li­che Hoch­druck­for­schung ist dafür bekannt, völ­lig uner­war­te­te und fas­zi­nie­ren­de Phä­no­me­ne zu ent­decken: Unter extrem hohen Drücken ver­wan­deln sich Mate­ria­li­en, die nor­ma­ler­wei­se kei­nen elek­tri­schen Strom lei­ten, zu Supra­lei­tern; schein­bar ein­fach auf­ge­bau­te Fest­kör­per neh­men plötz­li­che hoch kom­ple­xe Kri­stall­struk­tu­ren an; klein­ste Ele­men­tar­teil­chen wie Elek­tro­nen und Pro­to­nen zei­gen unvor­her­sag­ba­re Eigen­schaf­ten. Zu den welt­weit füh­ren­den Zen­tren der Hoch­druck­for­schung zählt das Baye­ri­sche Geo­in­sti­tut (BGI) der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. 2016 hat ein For­schungs­team des BGI bei mate­ri­al­wis­sen­schaft­li­chen Expe­ri­men­ten erst­mals einen Druck von mehr als einem Ter­a­pas­cal erzeugt – drei­mal höher als der Druck, der im Zen­trum der Erde herrscht. Die­se hohen Drücke wer­den auf klein­stem Raum in Dia­mant­stem­pel­zel­len erzeugt. Dar­in wird die Mate­ri­al­pro­be zwi­schen den Köp­fen zwei­er Dia­man­ten plat­ziert, die ein­an­der exakt gegen­über lie­gen und gemein­sam einen extrem hohen Druck auf das Mate­ri­al ausüben.

Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phi­sche Ver­fah­ren haben auf die­se Wei­se immer wie­der zu über­ra­schen­den Erkennt­nis­sen über Struk­tu­ren und Ver­hal­tens­wei­sen von Mate­rie geführt. Aller­dings konn­te die NMR-Spek­tro­sko­pie, die bei­spiels­wei­se sehr erfolg­reich zur Auf­klä­rung der Struk­tu­ren und Inter­ak­tio­nen von Bio­mo­le­kü­len ange­wen­det wird, in der Hoch­druck­for­schung bis­her nicht ein­ge­setzt wer­den. Eine tech­ni­sche Hür­de stand im Weg: Es war bis­her kaum mög­lich, die für die NMR wich­ti­gen Magnet­fel­der auf die win­zi­gen Pro­ben in der Dia­mant­stem­pel­zel­le zu fokus­sie­ren und die dadurch erzeug­ten Signa­le zu messen.

Magne­ti­sche Lin­sen, kom­bi­niert mit Diamanten

Im August 2017 aber ver­öf­fent­lich­ten Wis­sen­schaft­ler des Insti­tuts für Mikro­struk­tur­tech­nik am KIT eine neue Metho­de, die es erlaubt, die NMR-Spek­tro­sko­pie für hoch­prä­zi­se Unter­su­chun­gen auf klein­stem Raum ein­zu­set­zen. Hier­für haben sie magne­ti­sche Lin­sen, die nach dem deut­schen Phy­si­ker Emil Lenz (1804 – 1865) als Lenz-Lin­sen bezeich­net wer­den, ent­spre­chend wei­ter­ent­wickelt. „Die­se For­schungs­er­geb­nis­se aus Karls­ru­he haben bei uns in Bay­reuth sofort die Über­le­gung aus­ge­löst, ob sich Lenz-Lin­sen in den Dia­mant­stem­pel­zel­len so instal­lie­ren las­sen, dass sie NMR-Expe­ri­men­te unter hohen Drücken ermög­li­chen“, berich­tet der Bay­reu­ther Hoch­druck­for­scher Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky. Gemein­sam mit Dr. Syl­vain Petit­girard und Dr. Tho­mas Mei­er vom BGI hat er mit dem Karls­ru­her For­schungs­team um Prof. Dr. Jan Kor­vink Kon­takt auf­ge­nom­men. In kur­zer Zeit gelang es durch inten­si­ve Zusam­men­ar­beit, die Dia­man­ten in den Stem­pel­zel­len mit den neu­en Lenz-Lin­sen so zu kom­bi­nie­ren, dass die in den Zel­len ein­ge­schlos­se­nen Mate­ri­al­pro­ben NMR-spek­tro­sko­pisch unter­sucht wer­den kön­nen. In ersten Expe­ri­men­ten wur­den die Pro­ben Drücken von 72 Giga-Pas­cal (720.000 bar) aus­ge­setzt, wie sie im unte­ren Erd­man­tel herrschen.

Neue Per­spek­ti­ven für For­schung und Innovationen

„Das Port­fo­lio der rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phi­schen Ver­fah­ren, die uns bis­her für die geo- und mate­ri­al­wis­sen­schaft­li­che Hoch­druck­for­schung zur Ver­fü­gung stan­den, wird durch die NMR-Spek­tro­sko­pie jetzt erheb­lich erwei­tert. Die mög­li­chen Anwen­dungs­fel­der sind noch gar nicht abseh­bar. Wir kön­nen jetzt das Ver­hal­ten von Elek­tro­nen und Atom­ker­nen in phy­si­ka­lisch und geo­lo­gisch wich­ti­gen Syste­men mit einer viel höhe­ren Prä­zi­si­on unter­su­chen als bis­her“, erklärt Dubro­vin­sky. „Die­se Erkennt­nis­se kön­nen inno­va­ti­ve Ent­wick­lun­gen, bei­spiels­wei­se in der Ener­gie- oder der Medi­zin­tech­nik, vor­an­brin­gen. Viel­leicht wer­den sie uns eines Tages auch dabei hel­fen, das gro­ße Rät­sel zu klä­ren, wie das Leben auf der Erde ent­stan­den ist“, meint der Bay­reu­ther Wissenschaftler.

NMR-Spek­tro­sko­pie an der Uni­ver­si­tät Bayreuth

Die magne­ti­sche Kern­re­so­nanz­spek­tro­sko­pie wird an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth sowohl in der phy­si­ka­li­schen als auch in der struk­tur­bio­lo­gi­schen For­schung ein­ge­setzt. Auf dem Bay­reu­ther Cam­pus befin­det sich das welt­weit lei­stungs­fä­hig­ste NMR-Spek­tro­me­ter. Es han­delt sich um ein hoch­auf­lö­sen­des Spek­tro­me­ter der Feld­stär­ke 23,4 Tes­la, dies ent­spricht einer Pro­to­nen­re­so­nanz­fre­quenz von einem GHz. Der Lehr­stuhl für Bio­po­ly­me­re, das For­schungs­zen­trum für Bio-Makro­mo­le­kü­le sowie die ALNu­Med set­zen die NMR-Spek­tro­sko­pie in enger Koope­ra­ti­on auf vier For­schungs­fel­dern ein: HIV/​Aids, Anti­bio­ti­ka, All­er­ge­ne und Lebensmittelanalytik.

Ver­öf­fent­li­chung:

Tho­mas Mei­er, Nan Wang, Dario Mager, Jan G. Kor­vink, Syl­vain Petit­girard and Leo­nid Dubro­vin­sky, Magne­tic flux tail­oring through Lenz len­ses for ultrasmall samples: A new pathway to high-pres­su­re nuclear magne­tic reso­nan­ce, Sci­ence Advan­ces, 8 Dec 2017,
Vol. 3, no. 12, DOI: 10.1126/sciadv.aao5242

Inter­view mit Dr. Tho­mas Mei­er, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, in “Welt der Physik”:
www​.welt​der​phy​sik​.de/​g​e​b​i​e​t​/​s​t​o​f​f​e​/​n​e​w​s​/​2​0​1​7​/​k​e​r​n​s​p​i​n​r​e​s​o​n​a​n​z​-​u​n​t​e​r​-​h​o​c​h​d​r​u​ck/