Auf Initia­ti­ve der Kli­ni­kum Bay­reuth GmbH grün­det sich die Selbst­hil­fe­grup­pe Medikamentenabhängigkeit

Die neue Selbsthilfegruppe ist eine Team-Leistung: Die Initiative von Christine Seeber von der Klinikum Bayreuth GmbH (vordere Reihe mitte) unterstützen Gotthard Lehner, Leiter der Fachklinik Haus Immanuel in Hutschdorf, Walter von Narcotics Anonymus, Irene von der Weth (Geschäftsführerin Paritätischer Wohlfahrtsverband Oberfranken - hinter Reihe von links), Eva Kluge (Suchtberatung Diakonie) und Claudia Friedel (Selbsthilfeunterstützungsstelle).

Die neue Selbst­hil­fe­grup­pe ist eine Team-Lei­stung: Die Initia­ti­ve von Chri­sti­ne See­ber von der Kli­ni­kum Bay­reuth GmbH (vor­de­re Rei­he mit­te) unter­stüt­zen Gott­hard Leh­ner, Lei­ter der Fach­kli­nik Haus Imma­nu­el in Hut­sch­dorf, Wal­ter von Nar­co­tics Anony­mus, Ire­ne von der Weth (Geschäfts­füh­re­rin Pari­tä­ti­scher Wohl­fahrts­ver­band Ober­fran­ken – hin­ter Rei­he von links), Eva Klu­ge (Sucht­be­ra­tung Dia­ko­nie) und Clau­dia Frie­del (Selbst­hil­fe­un­ter­stüt­zungs­stel­le).

Gemein­sam gegen die stil­le Sucht

Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge fal­len nicht auf. Sie rie­chen nicht nach Alko­hol und haben kei­ne Ein­stich­stel­len an den Armen, sie sind weder laut noch aggres­siv. Aber es sind vie­le: Schät­zun­gen zufol­ge sind rund 1,9 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land abhän­gig von Medikamenten.

In Stadt und Land­kreis Bay­reuth gab es bis­lang kei­ne Selbst­hil­fe­grup­pe, die aus­schließ­lich für Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge da ist. Das ändert sich jetzt. Auf Initia­ti­ve der Kli­ni­kum Bay­reuth GmbH ist eine sol­che Selbst­hil­fe­grup­pe ent­stan­den. Der Pari­tä­ti­sche Wohl­fahrts­ver­band, die Sucht­be­ra­tung der Dia­ko­nie, das Bezirks­kran­ken­haus in Bay­reuth und die Fach­kli­nik für sucht­kran­ke Frau­en Haus Imma­nu­el in Hut­sch­dorf unter­stüt­zen die­se Initia­ti­ve. Die Selbst­hil­fe­grup­pe Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit, die sich an Betrof­fe­ne und deren Ange­hö­ri­ge wen­det, triff sich jede Woche am Don­ners­tag ab 19 Uhr im Pfarr­zen­trum „Hei­lig Geist“, Huge­not­ten­stra­ße 12. Das erste Tref­fen fin­det am Don­ners­tag, 18. Mai, statt.

„Wir wol­len damit einen Infor­ma­ti­ons- und Erfah­rungs­aus­tausch unter den Betrof­fe­nen und Ange­hö­ri­gen ermög­li­chen“, sagt Chri­sti­ne See­ber, betrieb­li­che Sucht­kran­ken­hel­fe­rin der Kli­ni­kum Bay­reuth GmbH. „Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge soll sich aus­spre­chen, sich gegen­sei­tig Hil­fe geben und gemein­sam Wege der Pro­blem­be­wäl­ti­gung fin­den können.“

War­um eine eigen­stän­di­ge Selbst­hil­fe­grup­pe für Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge not­wen­dig ist? „In Bay­reuth besteht durch­aus ein gut aus­ge­bau­tes System von Selbst­hil­fe­grup­pen“ sagt Ani­ta Busert, Sozi­al­päd­ago­gin in der Abtei­lung für Kli­ni­sche Sucht­me­di­zin der Kli­nik für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­so­ma­tik am Bezirks­kran­ken­haus. Die­se Selbst­hil­fe­grup­pen sei­en aller­dings vor­wie­gend für Betrof­fe­ne mit einer Alko­hol­ab­hän­gig­keit kon­zi­piert. „Vie­le Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge und vor allem vie­le Frau­en haben in der Ver­gan­gen­heit dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sie sich in die­sen Grup­pen nicht gut auf­ge­ho­ben fühl­ten.“ Mit der Grün­dung der Selbst­hil­fe­grup­pe Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit wird also eine Lücke geschlossen.

Nach wie vor sind über­wie­gend Frau­en von einer Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit betrof­fen, Alters­gren­zen gibt es kaum. „In der Regel fin­den Medi­ka­men­ten­ab­hän­gi­ge erst sehr spät den Weg in die Behand­lung“, sagt Gott­hard Leh­ner, Lei­ter der Fach­kli­nik Haus Imma­nu­el in Hut­sch­dorf. Von den Pati­en­tin­nen, die im Haus Imma­nu­el behan­delt wer­den, sind etwa fünf bis zehn Pro­zent auch mit einer Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit bela­stet. Die­se Sucht fällt häu­fig erst nach lan­ger Ver­schrei­bungs­zeit durch den Arzt auf. Oder dann, wenn sie als soge­nann­ter Bei­kon­sum auf­tritt. Wenn also zum Bei­spiel Alko­hol zur Ver­stär­kung der Medi­ka­men­ten­wir­kung ein­ge­setzt wird oder eine Sucht­ver­la­ge­rung nach Dro­gen­ab­hän­gig­keit statt­fin­det. „In der Behand­lung haben Pati­en­tin­nen ein star­kes Bedürf­nis, sich von alko­hol­ab­hän­gi­gen Frau­en abzu­gren­zen. Es besteht der Wunsch nach spe­zi­el­len Ange­bo­ten“, sagt Leh­ner. Die Fach­kli­nik Imma­nu­el bie­tet sol­che spe­zi­el­le Ange­bo­te an. Dass jetzt auch eine eigen­stän­di­ge Selbst­hil­fe­grup­pe ent­steht, begrüßt der Lei­ter der Fach­kli­nik ausdrücklich.

Das tut auch Eva Klu­ge von der Sucht­be­ra­tung des Dia­ko­ni­schen Werks Bay­reuth. „Lei­der fin­den nur weni­ge Men­schen mit Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit den Weg zu uns in die Bera­tungs­stel­le oder in das Sucht­hil­fe­sy­stem, obwohl die Zahl der Betrof­fe­nen sehr hoch ist“, sagt sie. „Daher freu­en wir uns, wenn die The­ma­tik in die Öffent­lich­keit gerückt wird und wenn es nun ein neu­es Hilfs­an­ge­bot für Betrof­fe­ne gibt.“

Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit wird in der Sucht­be­ra­tung der Dia­ko­nie deut­lich sel­te­ner ange­spro­chen als ande­re Abhän­gig­kei­ten. „Sie wird daher auch häu­fig die stil­le Sucht genannt“, sagt Eva Klu­ge . Vie­le Betrof­fe­ne mer­ken selbst über lan­ge Zeit nicht, dass sie abhän­gig gewor­den sind, da es sich ja meist um eine ver­schrie­be­ne und somit legi­ti­mier­te Abhän­gig­keit han­delt. Erst wenn es um das Abset­zen des Medi­ka­men­tes oder um eine Dosis­stei­ge­rung geht, mer­ken sie, dass es ihnen nicht mehr gut damit geht.

Die Selbst­hil­fe­un­ter­stüt­zungs­stel­le für Bay­reuth Stadt und Land­kreis kennt gut 110 Selbst­hil­fe­grup­pen zu den unter­schied­lich­sten The­men­be­rei­chen. Und den­noch sind damit noch längst nicht alle The­men der gesund­heits- und sozi­al­ori­en­tier­ten Selbst­hil­fe abge­deckt. „Mit der nun zu grün­den­den Selbst­hil­fe­grup­pe Medi­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit wird ein sol­ches The­ma auf­ge­grif­fen“, sagt Clau­dia Frie­del von der Selbst­hil­fe­un­ter­stüt­zungs­stel­le Bay­reuth . Die Selbst­hil­fe wird häu­fig als vier­te Säu­le der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung bezeich­net. „Sie ist neben der ambu­lan­ten und der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung sowie dem Bereich der Reha­bi­li­ta­ti­on wich­ti­ger Bestand­teil unse­res Gesund­heits­sy­stems.“ In Abgren­zung zu den ande­ren Berei­chen der Gesund­heits­ver­sor­gung gibt es hier kei­ne pro­fes­sio­nel­le oder the­ra­peu­ti­sche Lei­tung. Die­ses sind die Grund­la­gen aller Selbst­hil­fe­grup­pen. Jeder Selbst­hil­fe­grup­pe, die einen gesund­heits­ori­en­tier­ten Ansatz hat und den dar­ge­stell­ten Grund­sät­zen folgt, steht es offen, eine För­de­rung nach den unter­schied­li­chen gesetz­li­chen Grund­la­gen zu bean­tra­gen. „Die­se Mög­lich­keit zeigt noch­mals die Bedeu­tung der Selbst­hil­fe auf.“