Effi­zi­en­te­re Strom­ge­win­nung aus Abwär­me – Spit­zen­tech­no­lo­gie aus Bay­reuth und Amberg

Symbolbild Bildung

Indu­stri­el­le Abwär­me mit einem Tur­bi­nen­wir­kungs­grad von 75 Pro­zent in Strom ver­wan­deln – dies gelingt mit klei­nen Tur­bi­nen welt­weit nur sel­ten. Auf dem Cam­pus der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist ein sol­cher Spit­zen­wert All­tag: Wis­sen­schaft­lern der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und der Ost­baye­ri­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le (OTH) Amberg-Wei­den ist es gemein­sam mit dem Amber­ger Tur­bi­nen-Her­stel­ler Deprag Schulz GmbH & Co gelun­gen, ein For­schungs­kraft­werk so zu opti­mie­ren, dass die Tur­bi­ne Spit­zen-Wir­kungs­gra­de erreicht. Das bringt Bewe­gung in die Suche nach umwelt­scho­nen­der und siche­rer Strom­ver­sor­gung und stärkt die Ener­gie­ver­sor­gung von klei­ne­ren Industriebetrieben.

Der Orga­nic Ran­ki­ne Cycle (ORC), ein spe­zi­el­ler Dampf­kraft­pro­zess, bil­det die Grund­la­ge der Strom­erzeu­gung im Bay­reu­ther For­schungs­kraft­werk. Die­ser Pro­zess wird übli­cher­wei­se für die Strom­erzeu­gung in Geo­ther­mie-Anla­gen oder in Bio­mas­se­heiz­kraft­wer­ken genutzt. Dabei kom­men orga­ni­sche Flüs­sig­kei­ten als Arbeits­flui­de zum Ein­satz, von denen die Lei­stungs­fä­hig­keit von ORC-Anla­gen wesent­lich abhängt. Wir­kungs­gra­de der Tur­bi­ne von fast 75 Pro­zent konn­ten die Bay­reu­ther For­scher dadurch erzie­len, dass sie ein unge­wöhn­li­ches Arbeits­flu­id ein­ge­setzt haben – Hexa­me­thyl­di­sil­oxan, eine che­mi­sche Ver­bin­dung aus der Grup­pe der Siloxane.

Neu­land betre­ten: ein Arbeits­flu­id aus der Kosmetikindustrie

Sil­o­xa­ne kom­men vor allem in Kos­me­ti­ka, Sei­fen und Wasch­mit­teln vor. „Mit der Ent­schei­dung für ein sol­ches Arbeits­flu­id, haben wir Neu­land betre­ten“, berich­tet Dr.-Ing. Mar­kus Preiß­in­ger, Geschäfts­füh­rer des Zen­trums für Ener­gie­tech­nik (ZET) der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. „Sil­o­xa­ne haben den Nach­teil, dass sie sich bei hohen Tem­pe­ra­tu­ren zer­set­zen. Wir muss­ten daher im Ver­damp­fer des Kraft­werks dar­auf ach­ten, dass sich kei­ne Hot Spots, also kei­ne Berei­che mit sehr hoher Tem­pe­ra­tur, bil­den kön­nen.“ Mit einem beson­de­ren Wär­me­über­tra­ger haben die Bay­reu­ther For­scher die­ses Pro­blem in den Griff bekom­men. Und noch in einer wei­te­ren Hin­sicht waren sie erfolg­reich. Damit mög­lichst viel Wär­me in Strom ver­wan­delt wird, müs­sen sehr hohe Abgas­tem­pe­ra­tu­ren ver­wer­tet wer­den kön­nen. Knapp 410 Grad schafft die Bay­reu­ther Anla­ge – in Anla­gen mit Direkt­ver­damp­fung ist dies im inter­na­tio­na­len Ver­gleich ein Spitzenwert.

Enge Koope­ra­tio­nen zwi­schen Bay­reuth und Amberg

Das For­schungs­kraft­werk im ZET wur­de 2011 unter der Lei­tung von Prof. Dr.-Ing. Die­ter Brüg­ge­mann ein­ge­rich­tet. Seit­dem arbei­tet er zur Opti­mie­rung der Strom­ge­win­nung aus Abwär­me mit Prof. Dr.-Ing. Andre­as Weiß von der OTH und mit der Deprag Schulz GmbH & Co zusam­men. Die­se Koope­ra­ti­on wur­de bis 2013 von der Baye­ri­schen For­schungs­stif­tung mit 325.000 Euro finan­zi­ell unter­stützt „Schon damals haben wir schließ­lich eine elek­tri­sche Lei­stung von 12 Kilo­watt mit einem Tur­bi­nen­wir­kungs­grad von knapp 65 Pro­zent erzielt und Abgas­tem­pe­ra­tu­ren bis 300 Grad Cel­si­us nut­zen kön­nen“, erin­nert sich The­re­sa Weith M.Sc., die das Pro­jekt im Anschluss an ihr Bay­reu­ther Master­stu­di­um bear­bei­tet hat. Die jetzt erziel­te erneu­te Stei­ge­rung ist das Ergeb­nis von For­schungs­ar­bei­ten, die das Baye­ri­sche Staats­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und Kul­tus, Wis­sen­schaft und Kunst von 2014 bis 2016 mit 340.000 Euro im Zusam­men­hang mit dem Kom­pe­tenz­zen­trum für Kraft-Wär­me-Kopp­lung an der OTH geför­dert hat.

Vom Com­pu­ter zum Nach­weis im Experiment

„Die vie­len Jah­re der Zusam­men­ar­beit und die her­vor­ra­gen­de Arbeit der Tur­bi­nen­ent­wick­ler aus Amberg haben dazu geführt, dass wir mit den erreich­ten Wir­kungs­gra­den in die Welt­spit­ze der ORC-For­schung auf­ge­stie­gen sind“, fasst Dr.-Ing. Preiß­in­ger die bis­he­ri­gen Erfol­ge zusam­men. Alle betei­lig­ten Exper­ten haben dabei immer Wert dar­auf gelegt, theo­re­ti­sche Berech­nun­gen mit kon­kre­ten Nach­wei­sen im Labor zu ver­bin­den. „Zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen auf die­sen Gebie­ten haben sich mit Berech­nun­gen am Com­pu­ter begnügt, sind expe­ri­men­tel­le Nach­wei­se aber schul­dig geblie­ben. Die­se Lücke konn­ten wir schlie­ßen und zei­gen, wel­ches gro­ße Poten­zi­al für die Strom­erzeu­gung auch in klei­nen ORC-Anla­gen steckt“, betont Prof. Brüg­ge­mann. An der Uni­ver­si­tät Bay­reuth setzt er sich schon seit mehr als einem Jahr­zehnt dafür ein, sol­che Anla­gen so effi­zi­ent zu machen, dass sie sich eines Tages auch auf dem Ener­gie­markt durch­set­zen kön­nen. Der Bedarf ist vor­han­den: Die Indu­strie­ge­sell­schaf­ten haben nach wie vor einen unstill­ba­ren Ener­gie­hun­ger, welt­weit steigt das Inter­es­se, die in der Indu­strie ent­ste­hen­de Abwär­me wie­der für die Strom­erzeu­gung zu nut­zen. Die Fra­ge ist immer noch: Wel­che umwelt­freund­li­chen Tech­no­lo­gien kön­nen die Strom­ver­sor­gung in Zukunft sichern? In Bay­reuth arbei­tet man an der Antwort.

Zur For­schungs­ge­schich­te

Der Orga­nic Ran­ki­ne Cycle (ORC) ist nach dem schot­ti­schen Phy­si­ker und Inge­nieur Wil­liam John Mac­quorn Ran­ki­ne (1820 – 1872) benannt. Ran­ki­ne zählt zu den Begrün­dern der Ther­mo­dy­na­mik und hat wesent­li­che Bei­trä­ge zur Wär­me­theo­rie und zur Funk­ti­ons­wei­se der Dampf­ma­schi­ne geliefert.