Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Betrü­gen­de Blü­ten und betro­ge­ne Insekten

Symbolbild Bildung

Wie Leuch­terblu­men ihre Bestäu­ber in die Fal­le locken

Vie­le Blü­ten­pflan­zen locken Insek­ten an, die ihre Blü­ten bestäu­ben. Nur so kön­nen sie das Über­le­ben ihrer Art sichern. Eine unge­wöhn­lich listi­ge Stra­te­gie, um Flie­gen als Bestäu­ber anzu­locken, ver­folgt eine im süd­li­chen Afri­ka hei­mi­sche Klet­ter­pflan­ze, die Fall­schirm-Leuch­terblu­me (Cer­ope­gia san­der­so­nii). Was sie sich für die Bestäu­bung ihrer Blü­ten hat ein­fal­len las­sen, ist ein kom­pli­zier­tes Täu­schungs­ma­nö­ver in Tat­ein­heit mit Betrug und Frei­heits­be­rau­bung. Die­sen ‚Kri­mi­nal­fall‘ im Pflan­zen­reich hat jetzt Anne­ma­rie Hei­duk, Bio­lo­gie-Dok­to­ran­din an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, auf­ge­deckt. Wis­sen­schaft­ler aus Bay­reuth, Salz­burg, Bie­le­feld, Darm­stadt, Lon­don und Pietermaritzburg/​Südafrika haben sie bei der ‚Beweis­auf­nah­me‘ unter­stützt. In der aktu­el­len Aus­ga­be der Fach­zeit­schrift Cur­rent Bio­lo­gy stellt das inter­na­tio­na­le Team die neu­en For­schungs­er­geb­nis­se vor.

Unwi­der­steh­li­cher Blü­ten­duft: dem Geruch attackier­ter Honig­bie­nen täu­schend ähnlich

Die Opfer in die­ser Betrugs­ge­schich­te sind Nist­flie­gen der Gat­tung Des­mo­me­to­pa. Um sie anzu­locken, pro­du­ziert die Fall­schirm-Leuch­terblu­me einen kom­ple­xen Blü­ten­duft, der auf die zwei Mil­li­me­ter gro­ßen Insek­ten unwi­der­steh­lich wirkt. Die Des­mo­me­to­pa-Flie­gen haben näm­lich stets einen beson­de­ren Appe­tit auf Honig­bie­nen. Aller­dings erle­gen sie ihre Beu­te nicht selbst. Viel­mehr sind es Spin­nen und ande­re Insek­ten­räu­ber, wel­che die Honig­bie­nen angrei­fen und töten. Die Flie­gen aber spü­ren inner­halb weni­ger Sekun­den die­se Beu­te auf und laben sich an den Flüs­sig­kei­ten, die aus den Bie­nen­kör­pern aus­tre­ten, wenn die­se von den eigent­li­chen Räu­bern ver­speist wer­den. Sie agie­ren somit gegen­über den Spin­nen als Fut­ter­die­be. In der Bio­lo­gie wer­den sie des­halb auch als Klep­top­a­ra­si­ten bezeichnet.

Beim raschen Auf­spü­ren ihrer Lieb­lings-Beu­te hilft den Flie­gen ein Gemisch von Sub­stan­zen, die aus den Drü­sen der sich weh­ren­den und ster­ben­den Bie­nen strö­men. „Die­se in höch­ster Not abge­ge­be­nen Sub­stan­zen – wir bezeich­nen sie auch als Alarm-Phe­ro­mo­ne – bil­den einen Duft, der auf den Geruchs­sinn der Flie­gen ähn­lich ver­lockend wirkt wie der Geruch eines Sonn­tags­bra­tens auf die mensch­li­che Nase“, erklärt Anne­ma­rie Hei­duk. Die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­le­rin hat nach­ge­wie­sen, dass die Fall­schirm-Leuch­terblu­me nicht weni­ger als 33 Sub­stan­zen pro­du­ziert, die eben­so von töd­lich attackier­ten Honig­bie­nen abge­ge­ben wer­den. Zusam­men bil­den die­se Sub­stan­zen einen Blü­ten­duft, der dem Duft der Bie­nen so täu­schend ähn­lich ist, dass die Flie­gen buch­stäb­lich dar­auf her­ein­fal­len – eine nahe­zu per­fek­te che­mi­sche Mimi­kry. In Erwar­tung eines ‚Fest­mahls‘ stür­zen sich die Flie­gen in die kes­sel­för­mi­gen Blüten.

Gefan­gen und ohne Nah­rung: Flie­gen in der Blütenfalle

Doch hier sehen sich die Des­mo­me­to­pa-Flie­gen, die noto­ri­schen Fut­ter­die­be, ihrer­seits betro­gen – und zwar in dop­pel­ter Hin­sicht. Sie fin­den kei­ne ster­ben­den Bie­nen vor, und über­dies noch nicht ein­mal Nek­tar, oder ande­re Blü­ten­pro­duk­te wie Pol­len. Denn Fall­schirm-Leuch­terblu­men hal­ten in ihren Blü­ten über­haupt kei­ne Ver­kö­sti­gung für die Flie­gen bereit. Es sind Täusch­blu­men, die sich von ange­lock­ten Insek­ten bestäu­ben las­sen, ohne sie dafür mit Nah­rung zu beloh­nen. Und zum Betrug kommt noch die Frei­heits­be­rau­bung hin­zu, denn die Blü­ten hal­ten die Flie­gen in ihrem Kes­sel für unge­fähr 24 Stun­den gefan­gen. So ist gewähr­lei­stet, dass die Flie­gen – die Nah­rung und zugleich einen Aus­weg aus der Fal­le suchen – bei der Bestäu­bung gan­ze Arbeit lei­sten. Infol­ge die­ser Akti­vi­tät und des lan­gen Nah­rungs­ent­zugs sind sie erheb­lich geschwächt, wenn sie end­lich in die Frei­heit flie­gen dür­fen. Hung­rig wie sie sind, wer­den sie vom ver­füh­re­ri­schen Mimi­kry-Duft benach­bar­ter Blü­ten magisch ange­zo­gen, und das Spiel beginnt von vorn.

Kei­ne Sel­ten­heit: betrü­ge­ri­sche Bestäubungsstrategien

„Der­ar­ti­ge Täusch­pflan­zen, die ihre Blü­ten­be­su­cher auf unter­schied­li­che Wei­se mani­pu­lie­ren und zur Bestäu­bung ohne Gegen­lei­stung miss­brau­chen, sind gar nicht so sel­ten“, erklärt PD Dr. Ulrich Meve, der die Dis­ser­ta­ti­on von Anne­ma­rie Hei­duk an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth gemein­sam mit Prof. Dr. Ste­fan Döt­terl, Uni­ver­si­tät Salz­burg, betreut. „Man geht heu­te davon aus, dass es rund 15.000 sol­cher Pflan­zen gibt. Die Fall­schirm-Leuch­terblu­me, die in süd­afri­ka­ni­schen Trocken­ge­bü­schen vor­kommt und der Gat­tung Cer­ope­gia ange­hört, wen­det dabei aller­dings eine beson­ders über­ra­schen­de Stra­te­gie an.“

Der Bay­reu­ther Bio­lo­ge unter­sucht gemein­sam mit Prof. Dr. Sig­rid Lie­de-Schu­mann am Lehr­stuhl für Pflan­zen­sy­ste­ma­tik seit vie­len Jah­ren die Syste­ma­tik und Stam­mes­ge­schich­te von Cer­ope­gia und ande­ren Grup­pen der Schwal­ben­wurz­ge­wäch­se. Er erin­nert dar­an, dass Flie­gen hin­sicht­lich ihrer Bedeu­tung als Blü­ten­be­stäu­ber häu­fig unter­schätzt wür­den. „Tat­säch­lich sind unge­fähr 15 Pro­zent aller von Tie­ren bestäub­ten Pflan­zen für ihre sexu­el­le Repro­duk­ti­on auf bestäu­ben­de Flie­gen ange­wie­sen. Flie­gen sind damit gleich nach den Bie­nen, die für 20 Pro­zent der Blü­ten­pflan­zen ein ‚Bestäu­bungs­mo­no­pol‘ haben, die zweit­wich­tig­sten bestäu­ben­den Insek­ten“, so Dr. Meve.

Erfolg­rei­che For­schungs­ar­bei­ten in Bay­reuth und Salzburg

Anne­ma­rie Hei­duk kam den betrü­ge­ri­schen Tricks der Fall­schirm-Leuch­terblu­me mit tech­nisch anspruchs­vol­len Unter­su­chungs­me­tho­den auf die Spur. Um den Bie­nen- und Blü­ten­duft zu ana­ly­sie­ren, setz­te sie Gaschro­ma­to­gra­phie-Mas­sen­spek­tro­sko­pie (GC-MS) ein und führ­te an den Bestäu­bern elek­tro­an­ten­no­gra­phi­sche Unter­su­chun­gen (GC-EAD) durch. In Bay­reuth, Salz­burg und Kwa­Zu­lu-Natal, einer Pro­vinz der Repu­blik Süd­afri­ka, teste­te sie die Wir­kung ein­zel­ner Duft­sub­stan­zen auf die Flie­gen im Frei­land (Bio­tests). Es stell­te sich her­aus, dass die Des­mo­me­to­pa-Flie­gen fast die Hälf­te der Sub­stan­zen über ihre Anten­nen wahr­neh­men kön­nen, die sowohl im Bie­nen­duft als auch im Mimi­kry-Duft der Blü­ten ent­hal­ten sind.

Die Bay­reu­ther Dok­to­ran­din wur­de durch ein Sti­pen­di­um der Baye­ri­schen Eli­te­för­de­rung unter­stützt und ist Mit­glied der Uni­ver­si­ty of Bay­reuth Gra­dua­te School. Hier nimmt sie am Pro­gramm für Öko­lo­gie und Umwelt­for­schung teil. Zugleich forscht sie an der Uni­ver­si­tät Salz­burg bei Prof. Döt­terl, der frü­her gleich­falls an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth tätig war. „Das Zusam­men­spiel von pflanz­li­chen und tie­ri­schen Orga­nis­men bei der Befruch­tung ver­spricht noch vie­le span­nen­de Ent­deckun­gen, Täu­schung und Betrug ein­ge­schlos­sen“, meint Anne­ma­rie Hei­duk, die an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth sowohl den Master-Stu­di­en­gang ‘Mole­ku­la­re Öko­lo­gie‘ als auch das Éli­te-Stu­di­en­pro­gramm ‚Macro­mole­cu­lar Sci­ence‘ absol­viert hat. „Unse­re neue Stu­die wird die Erfor­schung noch unauf­ge­klär­ter Bestäu­bungs­stra­te­gien im Pflan­zen­reich sicher­lich beflü­geln. Allein in der Gat­tung der Leuch­terblu­men gibt es rund 250 Arten, von denen wir wis­sen oder ahnen, dass sie Mimi­kry-Tricks ein­set­zen, um ihre Bestäu­bung sicherzustellen.“

Ver­öf­fent­li­chung:
Anne­ma­rie Hei­duk, Iri­na Bra­ke, Micha­el von Tschirn­haus, Mat­thi­as Göhl, Andre­as Jür­gens, Ste­ven D. John­son, Ulrich Meve, and Ste­fan Dötterl,
Cer­ope­gia san­der­so­nii Mimics Attacked Honey­bees to Attract Klep­top­a­ra­si­tic Flies for Pol­li­na­ti­on, in: Cur­rent Bio­lo­gy (2016), doi: 10.1016/j.cub.2016.07.085