Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Rekord in der Hochdruckforschung

Symbolbild Bildung
Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia und Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky  (Mitte) mit den Nachwuchswissenschaftlern Dr. Maxim Bykov (li.) und Dr. Elena Bykova (re.), die vor  kurzem ihre Dissertationen an der Fakultät für Mathematik, Physik und Informatik und in der Bayreuther Graduiertenschule für Mathematik und Naturwissenschaften (BayNAT) abgeschlossen haben. Foto: Pressestelle Universität Bayreuth.

Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia und Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky (Mit­te) mit den Nach­wuchs­wis­sen­schaft­lern Dr. Maxim Bykov (li.) und Dr. Ele­na Byko­va (re.), die vor kur­zem ihre Dis­ser­ta­tio­nen an der Fakul­tät für Mathe­ma­tik, Phy­sik und Infor­ma­tik und in der Bay­reu­ther Gra­du­ier­ten­schu­le für Mathe­ma­tik und Natur­wis­sen­schaf­ten (Bay­NAT) abge­schlos­sen haben. Foto: Pres­se­stel­le Uni­ver­si­tät Bayreuth.

In „Natu­re“: Rekord in der Hoch­druck­for­schung erzeugt bis­her unbe­kann­te Materiezustände

Bei einem Kom­pres­si­ons­druck von mehr als 770 Giga­pas­cal – dem höch­sten Druck, der bis­her im Labor erzeugt wur­de – ändert sich das Elek­tro­nen­ver­hal­ten in Osmi­um, dem Ele­ment mit der höch­sten bekann­ten Mas­sen­dich­te, auf eine äußerst unge­wöhn­li­che Wei­se. Kern­elek­tro­nen, die nor­ma­ler­wei­se pas­siv sind, tre­ten mit­ein­an­der in Wech­sel­wir­kung. Dar­über berich­tet eine inter­na­tio­na­le For­schungs­grup­pe unter der Lei­tung von Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia und Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth im For­schungs­ma­ga­zin „Natu­re“. Der jetzt erst­mals beob­ach­te­te Effekt lässt ver­mu­ten, dass unter extre­men Drücken wei­te­re, bis­her unbe­kann­te Mate­rie­zu­stän­de ent­ste­hen könnten.


Die neu­en Erkennt­nis­se, an denen in Deutsch­land auch Wis­sen­schaft­ler am Deut­schen Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY) in Ham­burg mit­ge­wirkt haben, kön­nen das Ver­ständ­nis von Struk­tu­ren und Pro­zes­sen in extrem kom­pri­mier­ter Mate­rie wei­ter vor­an­brin­gen und das Design hoch­be­last­ba­rer Funk­ti­ons­ma­te­ria­li­en för­dern. Sie kön­nen zudem die Astro­phy­sik bei der Model­lie­rung des Inne­ren von gro­ßen Pla­ne­ten und Ster­nen unterstützen.

Osmi­um unter Hochdruck

Osmi­um ist ein Pla­tin­me­tall, das in der Erd­kru­ste sehr sel­ten vor­kommt und sich durch eine außer­or­dent­li­che Här­te aus­zeich­net. In kei­nem ande­ren che­mi­schen Ele­ment ist das Ver­hält­nis von Mas­se zu Volu­men der­art hoch. Und kein ande­res Ele­ment ist so wider­stands­fä­hig gegen­über Kom­pres­si­ons­drücken. Eine inter­na­tio­na­le For­schungs­grup­pe aus Deutsch­land, Frank­reich, Schwe­den, den Nie­der­lan­den und den USA hat Eigen­schaf­ten und Struk­tu­ren die­ses unge­wöhn­li­chen Metalls jetzt erst­mals bei ste­tig stei­gen­den Drücken ana­ly­siert. Zwei­stu­fi­ge Dia­mant­stem­pel­zel­len mach­ten es mög­lich, den Druck auf eine Rekord­hö­he von mehr als 770 Giga­pas­cal zu stei­gern. In kei­nem ande­ren Labor der Welt wur­de bis­her bei Raum­tem­pe­ra­tur ein der­art hoher Kom­pres­si­ons­druck erzielt – mehr als dop­pelt so hoch wie der Druck, der im inne­ren Erd­kern herrscht.

Prof. Dubro­vins­ka­ia und Prof. Dubro­vin­sky in Bay­reuth haben die For­schungs­ar­bei­ten koor­di­niert. Erst vor weni­gen Jah­ren wur­den von ihnen die lei­stungs­star­ken Stem­pel­zel­len ent­wickelt. Die­se ent­hal­ten zwei Stem­pel aus Nano­dia­man­ten, deren halb­run­de Köp­fe ein­an­der exakt gegen­über lie­gen. Dazwi­schen wird die Mate­ri­al­pro­be plat­ziert. Die Stem­pel haben jeweils einen Durch­mes­ser von rund 10 bis 20 Mikro­me­tern, also zwi­schen 0,01 bis 0,02 Mil­li­me­tern. Auf­grund der win­zi­gen Korn­grö­ße der Nano­dia­man­ten, die unter­halb von 50 Nano­me­tern liegt, sind sie extrem belastbar.

Ein bis­her unbe­kann­ter Effekt: Extre­mer Druck beein­flusst das Ver­hal­ten von Elektronen

Wäh­rend der enor­men Stei­ge­rung des Kom­pres­si­ons­drucks blieb die hexa­go­na­le Grund­struk­tur des Osmi­ums durch­weg erhal­ten. Bei rund 150 Giga­pas­cal aber trat erst­mals eine Anoma­lie im Auf­bau der kri­stal­li­nen Ele­men­tar­zel­len auf. Die­se Struk­tur­än­de­rung ließ sich mit bekann­ten phy­si­ka­li­schen Vor­gän­gen erklä­ren. Doch eine wei­te­re Anoma­lie, die in den Ele­men­tar­zel­len bei etwa 440 Giga­pas­cal beob­ach­tet wer­den konn­te, über­rasch­te die For­scher. „Hier füh­ren kon­ven­tio­nel­le Erklä­run­gen nicht wei­ter. Viel­mehr sieht es so aus, als ob die Struk­tur­än­de­rung durch bis­her unbe­kann­te Ver­hal­tens­wei­sen der Kern­elek­tro­nen ver­ur­sacht wird“, erklärt Prof. Dubrovinskaia.

Kern­elek­tro­nen befin­den sich in unmit­tel­ba­rer Nähe der Atom­ker­ne und sind an che­mi­schen Bin­dun­gen nicht betei­ligt. Dies unter­schei­det sie von den soge­nann­ten Valenz­elek­tro­nen, die von den Atom­ker­nen deut­lich wei­ter ent­fernt sind. Valenz­elek­tro­nen lösen sich von der räum­li­chen Zuge­hö­rig­keit zu ihren jewei­li­gen Ato­men und bil­den ‚elek­tro­ni­sche Bän­der‘, so dass che­mi­sche Bin­dun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen Ato­men ent­ste­hen. Unter den hohen, ste­tig anstei­gen­den Kom­pres­si­ons­drücken blei­ben die Kern­elek­tro­nen aber nicht län­ger in ihren ursprüng­li­chen, klar unter­scheid­ba­ren Zustän­den. Sie begin­nen mit­ein­an­der zu inter­agie­ren – und zwar, wie theo­re­ti­sche Berech­nun­gen zei­gen, bei 392 Gigas­pas­cal. „Die Struk­tur­än­de­run­gen des Osmi­ums, die wir bei rund 440 Giga­pas­cal im Expe­ri­ment beob­ach­tet haben, las­sen sich daher mit Inter­ak­tio­nen der Kern­elek­tro­nen gut erklä­ren“, so Prof. Dubrovinskaia.

Eine viel­ver­spre­chen­de Rich­tung der Materialforschung

Die Autoren des „Nature“-Beitrags schla­gen für die sehr unge­wöhn­li­chen Inter­ak­tio­nen der Kern­elek­tro­nen, deren Zustän­de dabei inein­an­der über­ge­hen, die Bezeich­nung „Core Level Crossing Tran­si­ti­on“ vor. „Hier eröff­net sich ein viel­ver­spre­chen­des Gebiet für wei­te­re Unter­su­chun­gen“, meint Prof. Dubro­vin­sky. „Denn wenn extrem hohe Drücke imstan­de sind, sogar in einem inner­lich sehr sta­bi­len Metall wie Osmi­um ein neu­ar­ti­ges Elek­tro­nen­ver­hal­ten aus­zu­lö­sen und so die Mate­ri­al­struk­tu­ren zu ändern, las­sen sich mög­li­cher­wei­se noch ande­re bis­her unbe­kann­te Mate­rie­zu­stän­de erzeu­gen. Nicht zuletzt des­halb ist die Hoch­druck­for­schung, wie wir sie hier an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth betrei­ben, ein viel­ver­spre­chen­der For­schungs­zweig“, fügt der Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler hin­zu. Er hält es für durch­aus mög­lich, dass die dabei gewon­ne­nen Erkennt­nis­se bei der Ent­wick­lung neu­er, für Extrem­be­din­gun­gen geeig­ne­ter Funk­ti­ons­ma­te­ria­li­en genutzt wer­den können.
Die neu­en For­schungs­er­geb­nis­se bele­gen die Bedeu­tung inter­na­tio­na­ler Koope­ra­tio­nen in der Mate­ri­al­wis­sen­schaft. Denn an den Struk­tur­un­ter­su­chun­gen der Osmi­um-Pro­ben waren drei der welt­weit lei­stungs­stärk­sten Teil­chen­be­schleu­ni­ger betei­ligt: das Deut­sche Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY) in Ham­burg, die Euro­pean Syn­chro­tron Radia­ti­on Faci­li­ty (ESRF) in Gre­no­ble und die Advan­ced Pho­ton Source (APS) am Argon­ne Natio­nal Labo­ra­to­ry in Chicago.

Ver­öf­fent­li­chung:

Leo­nid Dubro­vin­sky, Nata­lia Dubro­vins­ka­ia, et al., The Most Incom­pres­si­ble Metal Osmi­um at Sta­tic Pres­su­res abo­ve 750 GPa, Natu­re 2015, 24 August 2015 (Advan­ce Online Publi­ca­ti­on), DOI: 10.1038/nature14681