Bam­ber­ger Psy­cho­lo­gen ent­wickeln Lern­pro­gramm für Analphabeten

Symbolbild Bildung

Wort­sa­lat im Gehirn

14,5 Pro­zent der Men­schen in Deutsch­land zwi­schen 18 und 64 Jah­ren kön­nen ein­fa­che Wör­ter, Sät­ze oder Tex­te nicht oder kaum lesen und nur schlecht schrei­ben. Der Fach­be­griff hier­für lau­tet „funk­tio­na­ler Analpha­be­tis­mus“. Tätig­kei­ten des all­täg­li­chen Lebens, wie die Tabel­le mit den Abfahrt- und Ankunfts­zei­ten am Bahn­hof zu stu­die­ren, stel­len für funk­tio­na­le Analpha­be­ten eine Her­aus­for­de­rung dar. Scham und Lei­dens­druck sind groß.

Die Bam­ber­ger Psy­cho­lo­gen Dr. Jascha Rüs­se­ler, Pro­fes­sor für All­ge­mei­ne Psy­cho­lo­gie, und sei­ne Mit­ar­bei­te­rin Dr. Mela­nie Boltz­mann forsch­ten zu den Ursa­chen. Sie konn­ten erst­mals fest­stel­len, dass funk­tio­na­ler Analpha­be­tis­mus nicht nur sozia­le, son­dern auch neu­ro­bio­lo­gi­sche Ursa­chen hat und ent­wickel­ten mit AlphaPlus und AlphaPlus Job ein Pro­gramm, das hel­fen kann.

Mit­tels funk­tio­nel­ler Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­fie (fMRT) und Elek­tro­en­ze­pha­logra­fie (EEG) unter­such­ten Rüs­se­ler und sein Team, wel­che neu­ro­na­len Netz­wer­ke des Gehirns am Lese­pro­zess betei­ligt sind. „Wir konn­ten mes­sen, dass die Ner­ven­zel­len, die für die audi­tive Wahr­neh­mung zustän­dig sind, bei funk­tio­na­len Analpha­be­ten schlech­ter aus­ge­bil­det sind als bei Erwach­se­nen mit nor­ma­len Lese­fä­hig­kei­ten“, so Rüs­se­ler. „Erste­re kön­nen aku­sti­sche Rei­ze, die oft nur Mil­li­se­kun­den dau­ern, nicht unter­schei­den.“ Die Fol­ge: Ähn­lich klin­gen­de Lau­te wie „ba“, „pa“, „ta“ und „da“ sind für funk­tio­na­le Analpha­be­ten kaum zu erken­nen. Die Fähig­keit, sol­che Lau­te zu unter­schei­den, ist aber Grund­vor­aus­set­zung für eine gut aus­ge­bil­de­te Lese- und Schreibkompetenz.

AlphaPlus und AlphaPlus Job: Trai­nings­pro­gram­me für Erwachsene

Auf Basis die­ser Erkennt­nis­se erstell­ten Rüs­se­ler und sein Team zwei Pro­gram­me, deren Nut­zung sie wis­sen­schaft­lich beglei­te­ten: AlphaPlus und AlphaPlus Job. AlphaPlus rich­tet sich spe­zi­ell an Lang­zeit­ar­beits­lo­se, die auf­grund ihres funk­tio­na­len Analpha­be­tis­mus als berufs­un­fä­hig gel­ten. AlphaPlus Job ist gezielt auf die Bedürf­nis­se berufs­tä­ti­ger Ler­ne­rin­nen und Ler­ner abge­stimmt und ent­hält zum Bei­spiel Wort­schatz­übun­gen, die in bestimm­ten Berufs­grup­pen gehäuft vorkommen.

Eine Sit­zung von AlphaPlus oder AlphaPlus Job baut auf tech­ni­sche Pro­gram­me auf, die von den Bam­ber­ger Psy­cho­lo­gen mit­ent­wickelt wur­den. Eine Sit­zung beginnt mit dem Audio­trai­ner, einem Gerät, das die Wahr­neh­mung opti­scher und aku­sti­scher Rei­ze und die Unter­schei­dung von ähn­lich klin­gen­den Lau­ten wie „ba“ und „pa“ schu­len soll. Mit dem Com­pu­ter­pro­gramm Ortho­fix sol­len Lese‑, Schreib­kom­pe­tenz und der Wort­schatz aus­ge­baut wer­den. Der Late­r­al­trai­ner, der die Zusam­men­ar­beit bei­der Gehirn­hälf­ten ver­bes­sern soll, sowie eine fünf­bän­di­ge Hand­buch­rei­he ergän­zen die Lernmaterialien.

Was Häns­chen nicht lernt…

…lernt Hans nim­mer­mehr? Die­ses Sprich­wort ist zum Glück in Sachen Lesen und Schrei­ben nicht rich­tig. Die Bam­ber­ger Psy­cho­lo­gen zeig­ten: Nach dem Trai­nings­pro­gramm konn­te der Bereich im Gehirn, der am schnel­len und auto­ma­ti­sier­ten Erken­nen von Wör­tern betei­ligt ist, deut­lich stär­ker akti­viert wer­den als zuvor, die Lese- und Schreib­fä­hig­kei­ten der Teil­neh­men­den hat­ten sich nach Abschluss des Kur­ses um eine Klas­sen­stu­fe ver­bes­sert. „Die­se Lei­stungs­stei­ge­rung mag sich erst ein­mal klein anhö­ren, ist aber für das erwach­se­ne Gehirn, das das Lesen und Schrei­ben neu erlernt, eine enor­me Lei­stung“, erläu­tern Jascha Rüs­se­ler und Mela­nie Boltzmann.

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