Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Neue Stu­die zum Fleischkonsum

Symbolbild Bildung

Fleisch­kon­sum – ein Aus­druck von ‚Männ­lich­keit‘?

Deutsch-nie­der­län­di­sche Stu­die unter­sucht kul­tu­rel­le Ein­flüs­se auf das Ernährungsverhalten

Der Ver­zehr von Fleisch wird in vie­len kul­tu­rel­len Tra­di­tio­nen als Aus­druck ‚wah­rer Männ­lich­keit‘ ange­se­hen und gesell­schaft­lich aner­kannt. Wie sehr beein­flus­sen sol­che Wert­ur­tei­le die Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten in der Bevöl­ke­rung? Und wel­che Fol­gen erge­ben sich dar­aus für Bestre­bun­gen in west­li­chen Indu­strie­län­dern, den Fleisch­kon­sum im Inter­es­se einer gesun­den Lebens­wei­se und einer nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft zu ver­rin­gern? Eine deutsch-nie­der­län­di­sche Stu­die, an der Dr. Han­na Schös­ler von der Uni­ver­si­tät Bay­reuth maß­geb­lich betei­ligt war, kommt zu dem Ergeb­nis: Die Vor­stel­lung, ein hoher Fleisch­kon­sum sei cha­rak­te­ri­stisch für eine mas­ku­li­ne Lebens­ein­stel­lung, ist in Milieus mit unter­schied­li­chen kul­tu­rel­len Tra­di­tio­nen ver­schie­den stark aus­ge­prägt. Je stär­ker sie das Selbst­bild von Män­nern beein­flusst, desto mehr erschwert sie deren Hin­wen­dung zu einer flei­sch­är­me­ren Ernährung.

Die Stu­die, an der zusam­men mit Dr. Han­na Schös­ler auch Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Lei­den und der Frei­en Uni­ver­si­tät Amster­dam mit­ge­ar­bei­tet haben, beruht auf einer Befra­gung von Frau­en und Män­nern im Alter zwi­schen 18 und 35 Jah­ren. Die Befrag­ten wur­den ent­we­der in den Nie­der­lan­den gebo­ren oder sind vor ihrem 8. Lebens­jahr mit ihren Eltern in die Nie­der­lan­de immi­griert. Sie ver­tei­len sich dabei auf drei eth­ni­sche Grup­pie­run­gen: Erwach­se­ne Kin­der von gebür­ti­gen Nie­der­län­dern, erwach­se­ne Kin­der von chi­ne­si­schen Ein­wan­de­rern und erwach­se­ne Kin­der von tür­ki­schen Ein­wan­de­rern. In per­sön­li­chen Inter­views gaben die Befrag­ten Aus­künf­te über ihren wöchent­li­chen Fleisch­ver­zehr, die von ihnen bevor­zug­ten Por­tio­nen, ihre Kennt­nis­se in Bezug auf Flei­scher­satz­pro­duk­te sowie ihre mög­li­che Bereit­schaft zu einem gerin­ge­ren Fleisch­kon­sum; zudem wur­de anhand ihres Body-Mass-Index ihre Nei­gung zu Über­ge­wicht ermittelt.

Inner­halb der Befrag­ten mit nie­der­län­di­schen Vor­fah­ren unter­schei­den sich die Ein­stel­lun­gen und Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten der bei­den Geschlech­ter rela­tiv wenig. Män­ner und Frau­en über­neh­men bei­na­he zu glei­chen Tei­len die Ver­ant­wor­tung für das Ein­kau­fen und das Kochen von Mahl­zei­ten. Die Män­ner in die­ser Grup­pe bevor­zu­gen – ver­gli­chen mit Män­nern in den bei­den ande­ren Grup­pen – eher gerin­ge Fleisch­por­tio­nen und sind über­dies stär­ker bereit, ihren Fleisch­kon­sum zu redu­zie­ren. Zudem ver­zeh­ren sie häu­fig Flei­scher­satz­pro­duk­te. Die tra­di­tio­nel­le Ver­bin­dung zwi­schen Fleisch­kon­sum und Männ­lich­keit scheint bei den Kin­dern von gebür­ti­gen Nie­der­län­dern nicht mehr so stark aus­ge­prägt zu sein.

Anders ver­hält es sich bei den Nach­kom­men tür­ki­scher Ein­wan­de­rer. Sie erklä­ren fast alle, kei­ne Flei­scher­satz­pro­duk­te zu kon­su­mie­ren. Zudem zei­gen die Män­ner in die­ser Grup­pe eine Vor­lie­be für einen signi­fi­kant höhe­ren wöchent­li­chen Fleisch­ver­zehr. Sie las­sen nur eine schwa­che Bereit­schaft erken­nen, im Inter­es­se der Umwelt oder der Tie­re auf Fleisch zu ver­zich­ten. In die­sen bei­den Punk­ten unter­schei­den sie sich deut­lich von tür­kisch­stäm­mi­gen Frauen.

Die Kin­der chi­ne­si­scher Ein­wan­de­rer bil­den gleich­sam das Mit­tel­feld zwi­schen bei­den Grup­pen. Die Vor­lie­be für gro­ße Fleisch­por­tio­nen ist unter ihnen weni­ger stark aus­ge­prägt, und sie zei­gen eine grö­ße­re Bereit­schaft, ihren Fleisch­kon­sum zu redu­zie­ren. Adi­po­si­tas ist bei den Män­nern in die­ser Grup­pe deut­lich sel­te­ner anzu­tref­fen als bei den Kin­dern von tür­kisch­stäm­mi­gen Einwanderern.

„Die Ergeb­nis­se unse­rer Stu­die zei­gen, dass kul­tu­rel­le Tra­di­tio­nen und eth­ni­sche Zuge­hö­rig­kei­ten einen nicht zu unter­schät­zen­den Ein­fluss dar­auf haben, was inner­halb der Bevöl­ke­rung eines Lan­des als ‚typisch männ­lich‘ gilt. Sie wir­ken sich dadurch auch auf das Ernäh­rungs­ver­hal­ten der Men­schen aus, was sich am Bei­spiel des Fleisch­kon­sums deut­lich nach­wei­sen lässt“, erklärt Dr. Schös­ler. „Man soll­te sich aller­dings hüten, auf der Basis sol­cher Resul­ta­te zu vor­schnel­len Beur­tei­lun­gen des Ess­ver­hal­tens zu kom­men, denn die kul­tu­rel­len Unter­schie­de sind tief­grei­fend. In der tür­ki­schen Küche wer­den bei­spiels­wei­se viel mehr Hül­sen­früch­te, wie etwa Lin­sen oder Kicher­erb­sen, geges­sen. Die­se sind als Flei­scher­satz sehr gut geeig­net, wer­den aller­dings in der tür­ki­schen Kul­tur nicht unbe­dingt als sol­cher wahr­ge­nom­men. Auch ist das Tier­wohl durch die isla­mi­schen Spei­se­vor­schrif­ten viel stär­ker in der Ess­kul­tur ver­an­kert, als dies in der west­li­chen Tra­di­ti­on der Fall ist.“

„Wir möch­ten mit unse­rer Stu­die vor allem dar­auf auf­merk­sam machen, dass gesund­heits­po­li­ti­sche Kam­pa­gnen, die auf ein gesün­de­res Ernäh­rungs­ver­hal­ten abzie­len, kul­tu­rell beding­te Ver­hal­tens­mu­ster immer mit­be­rück­sich­ti­gen müs­sen, fügt Dr. Schös­ler hin­zu. „Denn wenn tra­dier­te Vor­stel­lun­gen bezüg­lich eines ‚typisch männ­li­chen‘ Fleisch­kon­sums und eine gro­ße Aus­wahl preis­wer­ter Fleisch­pro­duk­te in euro­päi­schen Indu­strie­län­dern auf­ein­an­der tref­fen, kann dies den Erfolg sol­cher Kam­pa­gnen behin­dern.“ Die Bay­reu­ther Ernäh­rungs­wis­sen­schaft­le­rin koor­di­niert an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth das Pro­fil­feld „Lebens­mit­tel- und Gesund­heits­wis­sen­schaf­ten“ und ist an der Kon­zep­ti­on des gleich­na­mi­gen Master­stu­di­en­gangs betei­ligt, der zum Win­ter­se­me­ster 2015/16 an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth star­tet. In die­sem Stu­di­en­gang wer­den Aspek­te einer gesun­den Ernäh­rung und deren gesell­schaft­li­che Vor­aus­set­zun­gen eine zen­tra­le Rol­le spielen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Han­na Schös­ler, Joop de Boer, Jan J. Boer­se­ma, Har­ry Aiking,
Meat and mas­cu­li­ni­ty among young Chi­ne­se, Tur­ki­sh and Dutch adults in the Netherlands,
in: Appe­ti­te, Volu­me 89, 2015, DOI: 10.1016/j.appet.2015.02.013

Vgl. auch die im Auf­trag des Nie­der­län­di­schen Wirt­schafts­mi­ni­ste­ri­ums erar­bei­te­te Studie:
Han­na Schös­ler, Healt­hy and sus­tainable food choices among nati­ve and migrant citi­zens of the Net­her­lands, Insti­tu­te for Envi­ron­men­tal Stu­dies, Amster­dam, 2014.