Bay­reu­ther For­scher züch­ten Ner­ven­zel­len im Reagenzglas

Symbolbild Bildung
Zebrafische, hier im Aquarium am Lehrstuhl für Tierphysiologie an der Universität Bayreuth, helfen dabei, das Wachstum von Nervenzellen in vitro zu erforschen. Foto: Wolfram Schulze

Zebra­fi­sche, hier im Aqua­ri­um am Lehr­stuhl für Tier­phy­sio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, hel­fen dabei, das Wachs­tum von Ner­ven­zel­len in vitro zu erfor­schen.
Foto: Wolf­ram Schulze

Rege­ne­rie­rung von Ner­ven­zel­len im Zebra­fisch lässt sich auch in vitro, in Zell­kul­tu­ren, erforschen

Zebra­fi­sche besit­zen die unge­wöhn­li­che Fähig­keit, neue Ner­ven­zel­len zu bil­den und dadurch abge­stor­be­ne oder beschä­dig­te Ner­ven­zel­len zu erset­zen. Einem For­schungs­team um Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster am Lehr­stuhl für Tier­phy­sio­lo­gie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist es gelun­gen, groß­flä­chi­ge Kul­tu­ren aus Zebra­fisch-Ner­ven­zel­len anzu­le­gen, die ein genau­es Stu­di­um die­ser Pro­zes­se erlau­ben. Damit erge­ben sich viel­ver­spre­chen­de neue Mög­lich­kei­ten für die neu­ro­bio­lo­gi­sche und bio­me­di­zi­ni­sche Forschung.

Beschä­dig­te mensch­li­che Ner­ven­zel­len in mög­lichst gro­ßem Umfang repa­rie­ren oder erset­zen zu kön­nen, ist ein Ziel, auf das die Medi­zin welt­weit hin­ar­bei­tet. Dabei sind Zebra­fi­sche von beson­de­rem Inter­es­se. Denn sie besit­zen die unge­wöhn­li­che Fähig­keit, neue Ner­ven­zel­len zu bil­den und dadurch abge­stor­be­ne oder beschä­dig­te Ner­ven­zel­len zu erset­zen. Es wäre für die neu­ro­lo­gi­sche For­schung eine wert­vol­le Unter­stüt­zung, wenn sie die­se Pro­zes­se nicht nur an leben­den Zebra­fi­schen beob­ach­ten, son­dern auch im Reagenz­glas repro­du­zie­ren und unter­su­chen könn­te. Doch die bis­he­ri­gen Ver­fah­ren, mit denen Ner­ven­zell­kul­tu­ren von Zebra­fi­schen künst­lich ange­legt wur­den, haben sich als sehr arbeits- und zeit­auf­wän­dig erwie­sen. Zudem waren die Bemü­hun­gen, sol­che Zell­kul­tu­ren zu stan­dar­di­sie­ren und dadurch die Ver­suchs­be­din­gun­gen zu ver­ein­heit­li­chen, bis­her wenig erfolg­reich. Selbst die fluo­res­zenz­ak­ti­vier­te Zell­sor­tie­rung (FACS), eine in der Zell­bio­lo­gie ver­brei­te­te Metho­de, führt nicht zu den gewünsch­ten Ergebnissen.

In „Sci­en­ti­fic Reports“: Eine neu­ar­ti­ge Anwen­dung eines bewähr­ten Verfahrens

Mit­hil­fe eines bewähr­ten Ver­fah­rens ist es einem For­schungs­team am Lehr­stuhl für Tier­phy­sio­lo­gie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth aber jetzt gelun­gen, groß­flä­chi­ge Kul­tu­ren aus Zebra­fisch-Ner­ven­zel­len anzu­le­gen, die ein genau­es Stu­di­um der Neu­bil­dung und Rege­ne­ra­ti­on sol­cher Zel­len erlau­ben. Die Wis­sen­schaft­ler um Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster haben die magne­tisch akti­vier­te Zell­sor­tie­rung – die unter dem recht­lich geschütz­ten Namen „MACS“ (Magne­tic-Acti­va­ted Cell Sort­in) bekannt ist – erst­mals auf Ner­ven­zel­len von Zebra­fi­schen ange­wen­det. Über ihre viel­ver­spre­chen­den Ergeb­nis­se berich­ten sie im Wis­sen­schafts­ma­ga­zin „Sci­en­ti­fic Reports“.

Magne­ti­sche Par­ti­kel ermög­li­chen das Aus­sor­tie­ren deter­mi­nier­ter Stammzellen

Aus ste­ri­li­sier­ten Zebra­fisch-Embryo­nen wur­de zunächst eine gemisch­te Zell­kul­tur ein­ge­rich­tet. Die­se Zell­kul­tur ent­hielt also sehr ver­schie­de­ne Arten von Zel­len, dar­un­ter auch soge­nann­te „neu­ro­na­le Vor­läu­fer­zel­len“. Hier­bei han­delt es sich um unrei­fe Ner­ven­zel­len, die aus neu­ro­na­len Stamm­zel­len her­vor­ge­hen. Sie sind – im Unter­schied zu die­sen plu­ri­po­ten­ten Stamm­zel­len – bereits für einen bestimm­ten Funk­ti­ons­be­reich, bei­spiels­wei­se das Gehirn oder die Wir­bel­säu­le, vor­ge­prägt und wer­den daher auch als „deter­mi­nier­te Stamm­zel­len“ bezeichnet.

Cha­rak­te­ri­stisch für die neu­ro­na­len Vor­läu­fer­zel­len ist ein Mole­kül mit dem Namen „PSA-NCAM“. Die­ses Mole­kül konn­ten die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler daher als geeig­ne­ten Ansatz­punkt für das MACS-Ver­fah­ren iden­ti­fi­zie­ren. In die gemisch­te Zell­kul­tur haben sie win­zi­ge magne­ti­sche Par­ti­kel (Micro­Beads) ein­ge­bracht, die zuvor mit spe­zi­el­len Anti­kör­pern beschich­tet wor­den waren. Die­se Anti­kör­per „erkann­ten“ die in der Zell­kul­tur ent­hal­te­nen PSA-NCAM-Mole­kü­le und gin­gen mit ihnen eine che­mi­sche Ver­bin­dung ein. Somit waren die magne­ti­schen Par­ti­kel an die neu­ro­na­len Vor­läu­fer­zel­len gleich­sam ange­ket­tet. Nun wur­de die Zell­kul­tur durch einen säu­len­för­mi­gen Behäl­ter gespült, der von einem star­ken Magnet­feld umge­ben war. Die­ses Magnet­feld bewirk­te, dass die neu­ro­na­len Vor­läu­fer­zel­len – und nur sie – im Behäl­ter „fest­sa­ßen“, wäh­rend alle ande­ren Zel­len ihn wie­der ver­lie­ßen. Auf der Grund­la­ge der aus­sor­tier­ten Vor­läu­fer­zel­len wur­den nun groß­flä­chi­ge Zell­kul­tu­ren ange­legt, aus denen sich im Labor voll funk­ti­ons­tüch­ti­ge Ner­ven­zel­len ent­wickeln können.

Effi­zi­ent und kosten­gün­stig – ein viel­ver­spre­chen­der Weg für die bio­me­di­zi­ni­sche Forschung

„Die von uns kon­zi­pier­te und erfolg­reich gete­ste­te Anwen­dung des MACS-Ver­fah­rens auf Vor­läu­fer­zel­len von Zebra­fi­schen hat sich als sehr effi­zi­ent und zugleich als kosten­gün­stig erwie­sen“, resü­miert Georg Wel­zel, der die Expe­ri­men­te durch­ge­führt hat. „Zeit­auf­wän­di­ge manu­el­le Arbei­ten sind haupt­säch­lich nur bei der Gewin­nung der Zebra­fisch-Embryo­nen erfor­der­lich, aus denen zunächst die gemisch­te Zell­kul­tur gebil­det wird. Das anschlie­ßen­de Aus­sor­tie­ren der neu­ro­na­len Vor­läu­fer­zel­len ist ein weit­ge­hend auto­ma­ti­sier­tes Verfahren.“

Prof. Schu­ster ist daher zuver­sicht­lich, dass das Ver­fah­ren künf­tig wei­te­re Ver­brei­tung fin­den wird: „Damit erge­ben sich viel­ver­spre­chen­de Mög­lich­kei­ten für die neu­ro­bio­lo­gi­sche und bio­me­di­zi­ni­sche For­schung, die hof­fent­lich schon bald und bes­ser als heu­te in der Lage sein wird, mensch­li­che Ner­ven­zel­len wie­der­her­zu­stel­len oder durch neu­es Gewe­be zu erset­zen.“ Ein wei­te­rer Schritt kön­ne bei­spiels­wei­se dar­in bestehen, das MACS-Ver­fah­ren auf die neu­ro­na­len Vor­läu­fer­zel­len anzu­wen­den und aus ihnen genau die­je­ni­gen Zel­len zu iso­lie­ren, die für Hirn­funk­tio­nen vor­ge­prägt sind. „Auf die­se Wei­se könn­ten spe­zia­li­sier­te Zell­kul­tu­ren ein­ge­rich­tet wer­den, die bei­spiels­wei­se für die For­schun­gen zur Par­kins­kon- oder Alz­hei­mer-Erkran­kung wert­vol­le Unter­stüt­zung lei­sten“, meint der Bay­reu­ther Tierphysiologe.

For­schungs­för­de­rung

Die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft hat die in „Sci­en­ti­fic Reports“ ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­ar­bei­ten im Rah­men eines Rein­hart Koselleck-Pro­jekts unter­stützt. An eini­gen Ent­wick­lungs­ar­bei­ten war auch die Fried­rich Baur Bio­Med Cen­ter gGmbH betei­ligt, die von Dani­el Seitz und Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster gelei­tet und von der Fried­rich Baur Stif­tung in Burg­kunst­adt geför­dert wird.

Ver­öf­fent­li­chung
Georg Wel­zel, Dani­el Seitz, and Ste­fan Schuster,
Magne­tic-acti­va­ted cell sort­ing (MACS) can be used as a lar­ge-sca­le method for estab­li­shing zebra­fi­sh neu­ro­nal cell cultures,
Sci­en­ti­fic Reports 5 : 7959, DOI: 10.1038/srep07959