For­scher­teams aus Bay­reuth und Würz­burg gelingt Durch­bruch: Bio­tin­te basie­rend auf Spinnenseide

Symbolbild Bildung

For­schungs­ge­biet Bio­fa­bri­ka­ti­on bie­tet neue Chan­cen für die rege­ne­ra­ti­ve Medizin

Spin­nen­sei­de eig­net sich her­vor­ra­gend als Mate­ri­al für Bio­tin­te, mit der gewe­be­ähn­li­che Struk­tu­ren im drei­di­men­sio­na­len Druck her­ge­stellt wer­den kön­nen. Die dabei ver­wen­de­ten leben­den Zel­len von Men­schen oder Tie­ren blei­ben in der Regel funk­ti­ons­tüch­tig. So eröff­nen sich ganz neue Mög­lich­kei­ten für die Rege­ne­ra­ti­on von Herzmuskel‑, Haut- oder Ner­ven­ge­we­be. Zu die­sem Ergeb­nis kom­men For­schungs­ar­bei­ten, die aus einer engen Zusam­men­ar­beit von Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel (Lehr­stuhl für Bio­ma­te­ria­li­en, Uni­ver­si­tät Bay­reuth) und Prof. Dr. Jür­gen Groll (Lehr­stuhl für Funk­ti­ons­werk­stof­fe der Medi­zin und der Zahn­heil­kun­de, Uni­ver­si­tät Würz­burg) her­vor­ge­gan­gen sind.

„Bio­fa­bri­ka­ti­on“ ist der Name eines jun­gen For­schungs­ge­biets, das welt­weit mit zuneh­men­der Inten­si­tät bear­bei­tet wird. Es geht dabei ins­be­son­de­re um die Pro­duk­ti­on von gewe­be­ähn­lich auf­ge­bau­ten Struk­tu­ren durch 3D-Druck­tech­ni­ken. Sol­che Struk­tu­ren, wie sie für die Wie­der­her­stel­lung von beschä­dig­tem Gewe­be benö­tigt wer­den, set­zen sich aus zwei Bestand­tei­len zusam­men: aus einem porö­sen Gerüst und aus leben­den Zel­len, die sich in den Zwi­schen­räu­men die­ses Gerüsts befinden.

Exzel­len­te Eigen­schaf­ten der Spin­nen­sei­de ermög­li­chen ein­fa­che 3D-Verfahren

Bis­her hat man der­ar­ti­ge Struk­tu­ren haupt­säch­lich in kon­se­ku­ti­ven Ver­fah­ren ent­wickelt. Dabei wird zunächst das Gerüst mit den gewünsch­ten mole­ku­la­ren Struk­tu­ren vor­ge­fer­tigt und anschlie­ßend mit leben­den Zel­len „bela­den“. Bei der Opti­mie­rung der Mate­ria­li­en, die als Gerüst­ma­te­ria­li­en zum Ein­satz kom­men, konn­ten bis­her deut­li­che Erfol­ge erzielt wer­den. Den­noch sind die­se Ver­fah­ren nur ein­ge­schränkt taug­lich, um Zel­len in den Gerü­sten gezielt gewe­be­ar­tig anzuordnen.

Erheb­lich vor­teil­haf­ter für sol­che medi­zi­ni­schen Anwen­dun­gen sind drei­di­men­sio­na­le Druck­ver­fah­ren, bei denen Bio­tin­te – bestehend aus den Bau­stei­nen des Gerüsts und aus leben­den Zel­len – zum Ein­satz kommt. Bei der Ent­wick­lung einer neu­en Bio­tin­te auf der Basis von Spin­nen­sei­de ist dem For­schungs­team in Bay­reuth und Würz­burg nun ein ent­schei­den­der Durch­bruch gelun­gen. Denn Spin­nen­sei­de hat kei­ne zell­to­xi­schen Wir­kun­gen, wird nur lang­sam abge­baut und löst kei­ne Immun­re­ak­tio­nen aus.

Vor allem aber konn­te das For­schungs­team in Bay­reuth und Würz­burg nach­wei­sen, dass eine Bio­tin­te auf der Basis von Spin­nen­sei­de allen ande­ren bis­her gete­ste­ten Mate­ria­li­en über­le­gen ist. Ein Gel, in dem Spin­nen­sei­den­mo­le­kü­le und leben­de Zel­len gemischt sind, „fließt“ im Druck­kopf des 3D-Druckers, so dass auch fei­ne Gerüst­struk­tu­ren auf einer Ober­flä­che auf­ge­tra­gen wer­den kön­nen; hier aber ver­fe­stigt sich das Gel sofort. Der Grund für die­sen blitz­schnel­len Wech­sel von „flüs­sig“ zu „fest“ liegt dar­in, dass sich die Spin­nen­sei­den­mo­le­kü­le in ihrer Struk­tur umla­gern – ein Mecha­nis­mus, den auch die Spin­ne bei der Faser­pro­duk­ti­on nutzt.

Neue Per­spek­ti­ven für die Wie­der­her­stel­lung von Herzmuskel‑, Ner­ven- oder Hautgewebe

Als leben­de Zel­len wur­den zunächst Fibro­bla­sten von Mäu­sen und anschlie­ßend – mit gleich­blei­ben­dem Erfolg – mensch­li­che Zel­len ver­wen­det. „Die bis­her erziel­ten For­schungs­er­geb­nis­se machen uns des­halb zuver­sicht­lich, dass sich durch den Ein­satz von Spin­nen­sei­de als Bio­tin­te lang­fri­stig völ­lig neue Per­spek­ti­ven für die rege­ne­ra­ti­ve Medi­zin erschlie­ßen“, erklärt Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel. „Es wäre bei­spiels­wei­se mög­lich, Zell­struk­tu­ren zu züch­ten, die funk­ti­ons­un­fä­hi­ges Herz­mus­kel­ge­we­be erset­zen. Und auch im Hin­blick auf die Repa­ra­tur zer­stör­ter Ner­ven­bah­nen oder Haut­par­tien zeich­nen sich hoch­in­ter­es­san­te Mög­lich­kei­ten ab, die wir in unse­ren For­schungs­ar­bei­ten zur Bio­fa­bri­ka­ti­on wei­ter aus­lo­ten wollen.“

Prof. Dr. Jür­gen Groll ergänzt: „Die Bio­fa­bri­ka­ti­on braucht drin­gend neue Bio­tin­ten mit varia­blen Eigen­schaf­ten, um funk­tio­na­le Gewe­be­struk­tu­ren züch­ten zu kön­nen. Mit dem neu­en 3D-Druck­ver­fah­ren auf der Basis von Spin­nen­sei­de konn­ten wir das For­schungs­feld um eine viel­ver­spre­chen­de Mög­lich­keit erweitern.“

Ein Bau­stein für das neue Baye­ri­sche Polymerinstitut

Die bei­den Wis­sen­schaft­ler sehen in ihren künf­ti­gen For­schungs­ar­bei­ten zur Bio­fa­bri­ka­ti­on einen viel­ver­spre­chen­den Bau­stein des künf­ti­gen Baye­ri­schen Poly­me­r­in­sti­tuts (BPI), das auf engen Koope­ra­tio­nen zwi­schen den Uni­ver­si­tä­ten Bay­reuth, Erlan­gen-Nürn­berg und Würz­burg beruht und von der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung im Rah­men ihres Nord­bay­ern-Plans finan­ziert wird. Die jetzt in der „Ange­wand­ten Che­mie“ publi­zier­ten Ergeb­nis­se wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) sowie aus dem sieb­ten Rah­men­pro­gramm der Euro­päi­schen Uni­on gefördert.

Ver­öf­fent­li­chung:
Kri­stin Schacht, Tomasz Jüngst, Mat­thi­as Schwein­lin, Andrea Ewald, Jür­gen Groll, und Tho­mas Scheibel,
Drei­di­men­sio­nal gedruck­te, zell­be­la­de­ne Kon­struk­te aus Spinnenseide,
Ange­wand­te Che­mie (2015), doi: 10.1002/ange.201409846