For­scher der Unis Bay­reuth und Bonn ent­schlüs­seln Schilddrüsenhormonregulation

Symbolbild Bildung

Am Gas­pe­dal des Stoffwechsels

Grund­le­gen­de neue Erkennt­nis­se zur Struk­tur und zum Mecha­nis­mus eines wich­ti­gen Enzyms, mit dem die Kör­per­zel­len ihren Schild­drü­sen­hor­mon­spie­gel steu­ern, bie­ten Ansatz­punk­te für neue Therapien.

Gesund­heit und Wohl­be­fin­den hän­gen ent­schei­dend davon ab, dass der Haus­halt der Schild­drü­sen­hor­mo­ne nicht aus dem Gleich­ge­wicht gerät. For­schungs­grup­pen an den Uni­ver­si­tä­ten Bay­reuth und Bonn haben nun in Koope­ra­ti­on mit der Cha­ri­té-Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ber­lin die Struk­tur und den Mecha­nis­mus eines wich­ti­gen Enzyms ent­schlüs­selt, mit dem die Kör­per­zel­len ihren Schild­drü­sen­hor­mon­spie­gel steu­ern. Die Ergeb­nis­se wer­den online in der aktu­el­len Aus­ga­be des Wis­sen­schafts­ma­ga­zins PNAS (Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of Ame­ri­ca) vorgestellt.

Bei einer Schild­drü­sen-Unter­funk­ti­on läuft der Stoff­wech­sel lang­sa­mer ab als nor­mal, Betrof­fe­ne füh­len sich schlapp. Bei Kin­dern kann dies auch zu gei­sti­ger Behin­de­rung und Ver­zö­ge­run­gen der kör­per­li­chen Ent­wick­lung füh­ren. Wird dage­gen zu viel vom Schild­drü­sen­hor­mon Thy­ro­xin pro­du­ziert, kommt es zu Herz­ra­sen, ver­mehr­tem Schwit­zen, Ner­vo­si­tät und Gewichts­ver­lust. „Bei Erwach­se­nen ist das Schild­drü­sen­hor­mon das Gas­pe­dal des Stoff­wech­sels“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Schwei­zer vom Insti­tut für Bio­che­mie und Mole­ku­lar­bio­lo­gie des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Bonn.

Wenn die Schild­drü­se das Hor­mon Thy­ro­xin pro­du­ziert, braucht sie Jod. Thy­ro­xin ent­hält vier Jod ‑Ato­me und wird des­halb auch T4 genannt. Es ist jedoch nicht das eigent­lich akti­ve Hor­mon, son­dern ein Vor­läu­fer. „Die Zel­len des Kör­pers haben die Mög­lich­keit, sich ihren Schild­drü­sen­hor­mon­spie­gel selbst maß­zu­schnei­dern“, erläu­tert Prof. Schwei­zer. Dabei kom­men spe­zi­el­le Enzy­me – so genann­te Dejod­a­sen – zum Ein­satz. Indem sie aus dem Thy­ro­xin ein bestimm­tes Jod-Atom ent­fer­nen und dadurch T4 in T3 umwan­deln, akti­vie­ren sie das Hor­mon. Die glei­chen Enzy­me über­neh­men aber auch eine deak­ti­vie­ren­de Funk­ti­on, indem sie aus T3 oder T4 ein ande­res Jod-Atom her­aus­neh­men. Auf die­se Wei­se kön­nen die Dejod­a­sen den gesam­ten Stoff­wech­sel sowohl beschleu­ni­gen als auch ‚abbrem­sen‘.

Erst­mals ent­schlüs­selt: Struk­tur und Mecha­nis­mus des Enzyms

„Seit mehr als 30 Jah­ren haben Bio­che­mi­ker und Endo­kri­no­lo­gen her­aus­zu­fin­den ver­sucht, wie die Dejod­a­sen genau arbei­ten. Doch erst mit den struk­tur­bio­lo­gi­schen Ana­ly­sen, die wir hier in Bay­reuth durch­ge­führt haben, ist ein weg­wei­sen­der Durch­bruch gelun­gen“, berich­tet Prof. Dr. Cle­mens Steeg­born, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Bio­che­mie lei­tet. Hier konn­te die Struk­tur der Dejodase3 ent­schlüs­selt wer­den. Gemein­sam mit Bio­che­mi­kern des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Bonn und in Koope­ra­ti­on mit der Cha­ri­té-Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ber­lin wur­de dann auf­bau­end auf der Struk­tur­in­for­ma­ti­on der Mecha­nis­mus des Enzyms aufgeklärt.

Dabei stell­te sich her­aus, dass es Ähn­lich­kei­ten zur Funk­ti­ons­wei­se einer ande­ren Enzym­fa­mi­lie gibt – näm­lich der Per­oxi­re­do­xi­ne, die schäd­li­che Sau­er­stoff­ver­bin­dun­gen abbau­en hel­fen und an der Abwehr von oxi­da­tiv­em Stress betei­ligt sind. Dejod­a­sen set­zen zwar völ­lig ande­re Sub­stan­zen um, sind aber struk­tu­rell ähn­lich zu Per­oxi­re­do­xi­nen und ver­wen­den einen sehr ähn­li­chen Reak­ti­ons­me­cha­nis­mus. Per­oxi­re­do­xi­ne sind eine weit ver­brei­te­te und evo­lu­ti­ons­bio­lo­gisch alte Enzym­fa­mi­lie, aus der die Dejod­a­sen offen­bar her­vor­ge­gan­gen sind. Pas­send dazu haben die For­scher des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Bonn außer­dem ein wei­te­res Rät­sel gelöst: Sie haben gezeigt, dass Dejod­a­sen durch klei­ne Redox­pro­te­ine wie Thio­re­do­xin und Glut­are­do­xin wie­der rege­ne­riert werden.

Ansatz­punk­te für neue Therapien

Die Erkennt­nis­se aus der Grund­la­gen­for­schung ber­gen auch Ansatz­punk­te für neue The­ra­pien. „Vor allem die Schild­drü­sen-Über­funk­ti­on ist schwie­rig zu the­ra­pie­ren, wenn zum Bei­spiel Anti­kör­per die Drü­se zu exzes­si­ver Hor­mon­frei­set­zung anre­gen“, sagt Prof. Schwei­zer. Hier könn­ten mit ent­spre­chen­den Wirk­stof­fen die akti­vie­ren­den Dejod­a­sen gebremst wer­den. „Die Struk­tur und der Mecha­nis­mus der Dejod­a­sen kön­nen jetzt genutzt wer­den, um viel geziel­ter pas­sen­de Hemm­stof­fe für The­ra­pien zu ent­wickeln“, ergänzt Prof. Steegborn.

Ver­öf­fent­li­chung

Ulrich Schwei­zer, Chri­sti­ne Schlicker, Doreen Braun, Josef Köhr­le, and Cle­mens Steegborn,
The Cry­stal Struc­tu­re of Mamma­li­an Sele­no­cy­stei­ne-Depen­dent Iod­o­thy­ro­ni­ne Dei­o­di­na­se Sug­gests a Per­oxi­re­do­xin-like Cata­ly­tic Mechanism,
PNAS – Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of America,
published ahead of print,
DOI: 10.1073/pnas.1323873111