Leser­brief: „The­ma ver­fehlt – Poli­tik plant, Bür­ger zahlt – 1.Mai 2014“ (im ZDF)

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Sehr geehr­te Damen und Her­ren, sehr geehr­te Frau Illner!

Die Aus­wahl der Dis­kus­si­ons­run­de hat­te mich zwar vor­ge­warnt. Den­noch ver­folg­te ich die Debat­te, deren The­ma die fort­wäh­ren­de Steu­er­ver­schwen­dung sein soll­te, mit Interesse.

Allein der Ver­tre­ter der Pira­ten­par­tei ließ erwar­ten, daß kri­ti­sche, an die Grund­la­gen der Miß­stän­de rei­chen­de Kri­tik geäu­ßert wur­de. Dem wur­de er zumin­dest in Tei­len gerecht, indem er das Feh­len effek­ti­ver Kon­troll­mög­lich­kei­ten deut­lich beim Namen nann­te. Denn die zustän­di­gen Gre­mi­en kön­nen erst im Nach­hin­ein rügen, was nicht kor­rekt abge­lau­fen ist – und selbst dann haben sie Pro­ble­me, die Her­aus­ga­be der benö­tig­ten Unter­la­gen zu erzwingen.

Erschreckend wirk­te, wie Herr Stoi­ber, auf Stutt­gart 21 bezo­gen, unwi­der­spro­chen die Wirk­lich­keit ver­dre­hen durf­te: Das Ver­fah­ren wäre rechts­staat­lich durch­ge­führt wor­den; nur hät­te die lan­ge Dau­er zur Fol­ge, daß die „neue Gene­ra­ti­on“ die Ergeb­nis­se nicht mehr akzep­tier­te. Nie­mand führ­te an, wie die fun­dier­ten, inzwi­schen wie­der­holt bestä­tig­ten Ein­wän­de bezüg­lich Kosten, Sinn­haf­tig­keit und unvoll­stän­di­ger bzw. geschön­ter Unter­la­gen, wel­che von Beginn an vor­ge­bracht wor­den waren, im Ver­fah­ren nie­der­ge­bü­gelt wur­den. Nie­mand erwähn­te, daß selbst die Daten, wel­che der zwi­schen­zeit­lich durch­ge­führ­ten Volks­ab­stim­mung zu Grun­de lagen, von Beginn an unglaub­wür­dig waren und auch längst wider­legt sind.

Immer­hin kam zur Spra­che, daß öffent­li­che Bau­vor­ha­ben in vie­len Fäl­len mit zu nied­rig ange­setz­ten Kosten­schät­zun­gen und zu hoch bewer­te­tem Nut­zen durch die Beschluß­fas­sung gebracht wer­den. Und die früh­zei­ti­ge Bür­ger­be­tei­li­gung wur­de als posi­ti­ver Ansatz gewür­digt. Ob aller­dings ein ein­ma­li­ger Bür­ger­ent­scheid zu Beginn als Frei­fahrt­schein für ein Pro­jekt sinn­voll ist, darf mit Fug und Recht bezwei­felt wer­den. Stutt­gart 21 hat gezeigt: Der ver­ein­ten Pro­pa­gan­da­ma­schi­ne­rie aus Poli­tik (teils aus Steu­er­gel­dern finan­ziert) und inter­es­sier­ter Wirt­schaft gelingt es nahe­zu mühe­los, mit­tels all­ge­gen­wär­ti­ger Beein­flus­sung sowie fal­scher Daten und Fak­ten die öffent­li­che Mei­nung zu steu­ern. Ohne spä­te­re Mög­lich­kei­ten zur Kor­rek­tur wäre jeg­li­cher Mani­pu­la­ti­on Tür und Tor geöffnet.

In wei­ten Tei­len beweg­te sich die Dis­kus­si­on um das The­ma Ver­kehr, doch in sehr ver­kürz­ter Wei­se. Obgleich bei­na­he täg­lich die ersten schwer­wie­gen­den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels vor Augen geführt wer­den, obgleich die mensch­li­chen und finan­zi­el­len Fol­gen der mas­si­ven Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gung durch Abga­se und Lärm lan­ge bekannt sind, obgleich weder der zeit­wei­li­ge Rück­gang des Flug­ver­kehrs nach den Anschlä­gen 2001 noch die wochen­lan­ge Beein­träch­ti­gung nach dem Vul­kan­aus­bruch auf Island noch der Pilo­ten­streik in die­sem Jahr nen­nens­wer­te Aus­wir­kun­gen auf die Wirt­schaft zeig­te, obgleich wir das welt­weit dich­te­ste Stra­ßen­netz bei schrump­fen­der Bevöl­ke­rung besit­zen, wird der auf­wen­di­ge Aus­bau bei­der Ver­kehrs­trä­ger nicht in Fra­ge gestellt. Aber klein­ste Ansät­ze, dem ent­ge­gen­zu­steu­ern, wer­den in pole­misch ver­kürz­ter Dar­stel­lung ver­un­glimpft: Mobi­li­tät 60+, Linienbusbeschleunigung.

Wen soll­te ver­wun­dern, daß Deutsch­lands angeb­li­che Vor­rei­ter­rol­le in wirk­lich zukunfts­fä­hi­gen Poli­tik­be­rei­chen wei­ter­hin auf lee­re Lip­pen­be­kennt­nis­se beschränkt bleibt. Die Umstän­de wer­den erzwin­gen, eine ande­re Rich­tung ein­zu­schla­gen. Doch je spä­ter dies erfolgt, desto ver­hee­ren­der wer­den sich die sozia­len Begleit­um­stän­de ent­wickeln. Nicht zu ver­ges­sen: Wer vor­an­geht, hat auch bei der Ver­mark­tung der benö­tig­ten Mit­tel die Nase vorn. Wie es nicht gemacht wer­den soll, führt die Bun­des­re­gie­rung, assi­stiert von etli­chen Lan­des­re­gie­run­gen, der­zeit bei der in die Bruch­lan­dung gesteu­er­ten Ener­gie­wen­de vor: Getä­tig­te Inve­sti­tio­nen wer­den zu Hauf ent­wer­tet, Fir­men in die Plei­te getrie­ben, Arbeits­plät­ze ver­nich­tet, um anti­quier­te Struk­tu­ren zu bewah­ren. Die Geschäf­te wer­den einst ande­re machen.

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig