Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Ein Mei­len­stein für die Supraleiterforschung

Symbolbild Bildung

Hoch­druck­syn­the­se bestä­tigt theo­re­ti­sche Berechnungen

Ein inter­na­tio­na­les Team mit Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern aus Deutsch­land, Bel­gi­en, Frank­reich, Ita­li­en und den USA hat auf der Basis theo­re­ti­scher Berech­nun­gen einen völ­lig neu­en Supra­lei­ter ent­wickelt. Der extrem har­te Eisen­bo­rid hat eine in der Natur unbe­kann­te Kri­stall­struk­tur und zeich­net sich durch ein Eigen­schafts­pro­fil aus, das für eisen­hal­ti­ge Supra­lei­ter unge­wöhn­lich ist. In der aktu­el­len Aus­ga­be der „Phy­si­cal Review Let­ters“ berich­tet das Team über sei­ne Ent­deckung. Die­se ist inso­fern ein Mei­len­stein für die Supra­lei­ter­for­schung, als sie aus Berech­nun­gen am Com­pu­ter und nicht aus Expe­ri­men­ten nach dem Ver­such-und-Irr­tum-Ver­fah­ren her­vor­ge­gan­gen ist.

Hohes Inter­es­se an neu­en supra­lei­ten­den Materialien

Supra­lei­ter zeich­nen sich dadurch aus, dass sie unter­halb bestimm­ter Tem­pe­ra­tu­ren kei­nen elek­tri­schen Wider­stand auf­wei­sen und so eine ver­lust­freie Über­tra­gung von Strom ermög­li­chen. Aus zen­tra­len Berei­chen von For­schung und Tech­no­lo­gie sind sie heu­te nicht mehr weg­zu­den­ken. Sie kom­men bei­spiels­wei­se in der Ener­gie­tech­nik zum Ein­satz sowie über­all dort, wo star­ke Magnet­fel­der benö­tigt wer­den – wie etwa in der Medi­zin­tech­nik und in Teil­chen­be­schleu­ni­gern. Gleich­wohl besteht welt­weit ein hohes Inter­es­se an der Ent­wick­lung neu­er supra­lei­ten­der Mate­ria­li­en. Die­se sol­len lei­stungs­fä­hi­ger als die bis­her ver­wen­de­ten Supra­lei­ter sein und min­de­stens eben­so kosten­gün­stig im Indu­strie­maß­stab her­ge­stellt wer­den kön­nen. Die phy­si­ka­li­schen Grund­la­gen von Supra­lei­tern sind aber wegen ihrer Kom­ple­xi­tät bis­her nur ansatz­wei­se geklärt. Daher ist es äußerst schwie­rig, allein auf­grund theo­re­ti­scher Berech­nun­gen vor­her­zu­sa­gen, wie ein Mate­ri­al auf­ge­baut sein muss, damit es supra­lei­ten­de Eigen­schaf­ten hat. Völ­lig neue Supra­lei­ter wur­den daher in der Ver­gan­gen­heit nur auf expe­ri­men­tel­lem Weg, häu­fig auch durch Zufall entdeckt.

Von der Theo­rie zur Hoch­druck­syn­the­se im Laboratorium

Dem inter­na­tio­na­len For­schungs­team unter der Lei­tung von Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia und Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist es jetzt aber mit­hil­fe lei­stungs­star­ker Hoch­druck­tech­no­lo­gien erst­mals gelun­gen, ein Mate­ri­al, dem in der Theo­rie supra­lei­ten­de Eigen­schaf­ten zuge­schrie­ben wor­den sind, zu syn­the­ti­sie­ren und als Supra­lei­ter zu iden­ti­fi­zie­ren. Es han­delt sich dabei um Eisen­tetra­bo­rid (FeB4). Die­ses Mate­ri­al, das in der Natur nicht vor­kommt und nur im Labo­ra­to­ri­um unter hohen Drücken ent­steht, ist vor kur­zem von dem U.S.-amerikanischen Phy­si­ker Prof. Dr. Alek­sey N. Kol­mo­go­rov (New York Sta­te Uni­ver­si­ty) in den „Phy­si­cal Review Let­ters“ als ein poten­zi­el­ler Supra­lei­ter theo­re­tisch beschrie­ben wor­den. For­schungs­ar­bei­ten am Labo­ra­to­ri­um für Kri­stal­lo­gra­phie und am Baye­ri­schen Geo­in­sti­tut (BGI) der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben die­se Pro­gno­se jetzt bestä­tigt. Hier ist es gelun­gen, Eisen­tetra­bo­rid bei Drücken von 8 Giga­pas­cal und bei Tem­pe­ra­tu­ren von rund 1.500 Grad Cel­si­us zu syn­the­ti­sie­ren. Mes­sun­gen der phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten führ­ten anschlie­ßend zu dem Ergeb­nis, dass es sich tat­säch­lich um einen Supra­lei­ter handelt.

Eisen­tetra­bo­rid: ein neu­er Supra­lei­ter, fast so hart wie Diamant

Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phi­sche Unter­su­chun­gen wur­den an der Euro­päi­schen Syn­chro­tron­strah­lungs­quel­le ESRF in Gre­no­ble durch­ge­führt. Hier stell­te sich her­aus, dass Eisen­tetra­bo­rid tat­säch­lich die am Com­pu­ter vor­her­ge­sag­te Struk­tur besitzt. Uner­war­tet war für die Bay­reu­ther For­scher die extre­me Här­te des Mate­ri­als mit einer Nanoin­den­ta­ti­on von 65 Giga­pas­cal. Eisen­tetra­bo­rid ist damit här­ter als alle bis­her bekann­ten Metall­bo­ri­de. Es ist fast so hart wie Dia­mant und gehört zur Klas­se der super­har­ten Materialien.

„Unse­re For­schungs­er­geb­nis­se zei­gen, dass es grund­sätz­lich mög­lich ist, supra­lei­ten­de Mate­ria­li­en allein durch theo­re­ti­sche Berech­nun­gen am Com­pu­ter von Grund auf zu ent­wer­fen“, erklärt Prof. Dubro­vins­ka­ia, Hei­sen­berg-Pro­fes­so­rin für Mate­ri­al­phy­sik und Tech­no­lo­gie bei extre­men Bedin­gun­gen an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. „Mit geeig­ne­ten Hoch­druck-Ver­fah­ren las­sen sich die­se Ergeb­nis­se empi­risch über­prü­fen. Wir bewe­gen uns also auf einem span­nen­den, inno­va­ti­ven For­schungs­ge­biet. Aus­ge­hend von der Ent­wick­lung extrem har­ter Supra­lei­ter las­sen sich mög­li­cher­wei­se in Zukunft neue supra­lei­ten­de nano- und mikro­elek­tro­me­cha­ni­sche Syste­me konzipieren.“

Erfolg­rei­cher wis­sen­schaft­li­cher Nach­wuchs an der Uni­ver­si­tät Bayreuth

Die Syn­the­se des Eisen­tetra­bo­rids, das exakt die vor­her­ge­sag­te Kri­stall­struk­tur auf­weist, ist ins­be­son­de­re ein For­schungs­er­folg für Dr. Hui­yang Gou, der sich als Hum­boldt-Sti­pen­di­at an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth die­ser Her­aus­for­de­rung gewid­met hat. An der fol­gen­den Auf­klä­rung der supra­leit­fä­hi­gen und magne­ti­schen Eigen­schaf­ten von FeB4 haben Exper­ten in meh­re­ren euro­päi­schen Labo­ra­to­ri­en mit­ge­wirkt. Ele­na Byko­va, Dok­to­ran­din an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth im Pro­mo­ti­ons­pro­gramm Expe­ri­men­tel­le Geo­wis­sen­schaf­ten der Bay­NAT, hat dabei wesent­lich zu den erfor­der­li­chen Struk­tur­un­ter­su­chun­gen bei­getra­gen. Im Juli 2013 erhielt sie ein Sti­pen­di­um der Inter­na­tio­nal Asso­cia­ti­on for the Advance­ment of High Pres­su­re Sci­ence and Tech­no­lo­gy und konn­te so in Seattle/​USA an einer der füh­ren­den inter­na­tio­na­len Fach­kon­fe­ren­zen zur Hoch­druck-Mate­ri­al­for­schung teilnehmen.

DFG för­dert Supra­lei­ter­for­schung mit neu­er Hochdruckpresse

Die For­schungs­ar­bei­ten zum neu­en Supra­lei­ter ste­hen im engen Zusam­men­hang mit dem von Prof. Dubro­vins­ka­ia gelei­te­ten Pro­jekt „In incu­de Syn­the­se und Unter­su­chung inno­va­ti­ver mul­ti­funk­tio­na­ler fester Mate­ria­li­en – Bori­de von Über­gangs­me­tal­len (ÜM=Fe, Cr, Mn, Mo, W, Ti)“. Die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft för­dert dabei mit mehr als 250.000 Euro die Anschaf­fung einer Hoch­druck­pres­se, die dem­nächst im Labo­ra­to­ri­um für Kri­stal­lo­gra­phie instal­liert wird. Die­se Pres­se ermög­licht die Syn­the­se wei­te­rer kom­ple­xer Mate­ria­li­en, die bis­her nur in der Theo­rie exi­stie­ren, und kön­nen so auch einen wesent­li­chen Bei­trag zur künf­ti­gen Supra­lei­ter­for­schung leisten.

Ver­öf­fent­li­chung:

Hui­yang Gou, Nata­lia Dubro­vins­ka­ia, Ele­na Byko­va, Alex­an­der A. Tsir­lin, Deepa Kasi­nathan, Wal­ter Schnel­le, Asta Rich­ter, Mar­co Mer­li­ni, Micha­el Hanf­land, Artem M. Aba­ku­mov, Dmit­ry Batuk, Gustaaf Van Ten­de­loo, Yoi­chi Naka­ji­ma, Alek­sey N. Kol­mo­go­rov, and Leo­nid Dubrovinsky,
Dis­co­very of a Super­hard Iron Tetra­bo­ri­de Superconductor,
in: Phy­si­cal Review Let­ters, 111, 157002 (2013),
DOI: 10.1103/PhysRevLett.111.157002, published 7 Octo­ber 2013