Leserbrief: "Reinste Behördenwillkür"

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Sehr geehrte Damen und Herren!

Bamberger Onlinezeitung, 2. August 2013:

… konstatieren wir, dass eine wichtige Erschließungsachse innerhalb der inneren Inselstadt nun für Radler frei ist: die Habergasse.

Bamberger Onlinezeitung, 2. Mai 2013:

Schüler, Studenten, Stadtradler konnten gleich in bar oder auch per Überweisung 15 € zahlen, kamen sie aus der Habergasse … . Gleich drei Polizisten sorgten dafür, dass von diesen keiner ohne Knöllchen oder leichterem Beutel seinen Weg fortsetzte.

elektronischer Bürgerdialog der Stadt Bamberg, 24. Februar 2012:

Gegenüber der Einmündung der Austraße in die Lange Straße ist der entgegen der Einbahnrichtung verlaufende Radweg, beginnend in Höhe der Unteren Brücke, nacheinander durch drei Kraftfahrzeuge blockiert … .

Etwa in Höhe des Citymarkts notiert ein Mitarbeiter der Parküberwachung fleißig auf dem Parkstreifen abgestellte Kraftfahrzeuge und lichtet sie ab. Auf die verkehrsgefährdende Situation wenige Meter weiter angesprochen, fährt er seelenruhig fort und schlägt dabei die entgegengesetzte Richtung ein.

Antwort der Stadt Bamberg:

Diese hatten möglicherweise einen Parksonderausweis. Möglicherweise geschah die Situation auch während der regulären Lieferzeiten.

Kommentar:

Die Stadt Bamberg vergibt Parksonderausweise, die erlauben, den Radverkehr vom benutzungspflichtigen Radweg in den gegenläufigen Autoverkehr abzudrängen? Und während der regulären Lieferzeiten ist dies ohnehin gestattet?

Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO):

Benutzungspflichtige Radwege dürfen nur angeordnet werden, wenn ausreichende Flächen für den Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen. …

Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt.

Leitfaden zur Überprüfung der Radwegebenutzungspflicht in Mainz, Juni 2011:

Genauere Angaben, bei welchen Attributen ausreichende Flächen für den Fußverkehr vorhanden sind, werden in der VwV-StVO nicht gegeben. Gemäß VwV-StVO … ist in diesem Fall auf technische Regelwerke zurückzugreifen.

Bemessungsgrundlage nach RASt (Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen) – Dies ist dann der Fall, wenn der Verkehrsraum (befestigte Fläche) eine Breite von 1,80 m aufweist. Führt der Fußweg entlang einer Hauswand oder Mauer über 0,5m Höhe, ist auf dieser Seite ein Sicherheitsraum von 0,2 m hinzuzuzählen. Grenzt ein Fußweg an einen Radweg (Z. 241), ist dort ein Sicherheitsraum von 0,25m einzuhalten.

Laut … EFA (Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen) gelten 1,80m (anbaufrei) bzw. 2,00m (angebaut) nur als geeignete Fußwegbreiten für Wohnstraßen geringer Dichte. Bei dichterer Bebauung mit gemischter Wohn- und Geschäftsnutzung werden für die Fußgängerflächen größere Breiten gefordert … .

Beschwerdeschreiben, 6. Juli 2013:

Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) läßt grundsätzlich zu, das Parken auf Gehwegen zu erlauben. Der Normalfall aber sollte es nicht sein. Das Sicherheitsbedürfnis gerade der Schwächsten, der Kinder, spricht deutlich dagegen. Wird schon ihr Bewegungsraum eingeschränkt, führt insbesondere das Ein- und Ausparken zu großen Risiken. Den Kleinen ist die Gefahr – entwicklungsbedingt und daher zwangsläufig – nicht bewußt. Für die Autoinsassen hingegen sind sie auf Grund ihrer Körpergröße oft nicht wahrzunehmen. Unfälle, auch tödliche, gab es längst. …

Gehwegparken ist ausdrücklich angeordnet. Die dem Fußverkehr verbleibende Gasse ist nicht selten kaum 1 m breit. …

Eingeschränktes Halteverbot, Behindertenstellplatz, Gehwegparken nicht erlaubt – wen interessiert’s? Keine 50 m entfernt, liegt das zweistöckige Parkdeck der Arbeitsagentur, bei weitem nicht ausgelastet. Und: Hier verläuft die Zufahrt zum Personalparkplatz der Polizei. Fahren die Beamt/inn/en mit Tunnelblick durch?

Antwort des Sozial- (!) und Umwelt- (!) referenten der Stadt Bamberg, allerdings erst nach Einschalten der Bezirksregierung Oberfranken:

… hat es sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eingebürgert, … das Parken auf Gehwegen (ganz oder teilweise) zuzulassen. … nur dort das Parken (ganz oder teilweise) zulassen, wo ein verbleibender Querschnitt des Gehwegs von 1,80 m zuzüglich eines etwaigen Sicherheitsabstandes von 0,2 m zu Mauern und Gebäuden als unterste Grenze bei geringem Fußgängerverkehr besteht, … bei der überwiegenden Mehrheit der Verkehrsteilnehmer/Innen auf Unverständnis stoßen … davon ausgegangen, dass Kindergartenkinder nicht allein zum Kindergarten gehen, sondern von ihren Eltern dorthin gebracht werden und somit unter elterlicher Aufsicht stehen.

Anmerkung:

Die Stadt Bamberg selbst veröffentlicht Zahlen, die ausweisen: Die Mehrzahl der Wege wird nicht (!) mit dem privaten Kraftfahrzeug zurückgelegt. Der motorisierte Individualverkehr erscheint vor allem deswegen so übermächtig, weil er im Verhältnis zu seiner Verkehrsleistung mit Abstand den meisten Raum benötigt, ihn also sehr ineffektiv nutzt. Ihn, wie (nicht nur) in Bamberg Realität, zu fördern, indem die Bedingungen für die Alternativen einfach katastrophal sind, kann durchaus als menschenverachtend eingestuft werden.

elektronischer Bürgerdialog der Stadt Bamberg, 10. Juli 2013:

Seit Wochen parken meist dicke, schwere, Motorräder auf dem Gehsteig in der Langen Straße. Es kann nicht im Sinne der Erfindung sein, dass auf Fusswegen Motorisierte parken. Im Parkverbot, stehen sie den ganzen Tag dort (beinah alles Einheimische!) Ich fordere Sie auf, dem endlich Abhilfe zu schaffen.

Antwort der Stadt Bamberg:

Die Stadt Bamberg toleriert im Rahmen des Opportunitätsprinzips das Parkverhalten von motorisierten Zweiradfahrern, soweit … eine Restgehwegbreite von 1,50 m gewährleistet ist.

elektronischer Bürgerdialog der Stadt Bamberg, 16. Juli 2013:

Ihre Antwort kann ich leider nicht akzeptieren.

Antwort der Stadt Bamberg:

Im Ordnungswidrigkeitenrecht herrscht nicht das Legalitätsprinzip (Strafverfolgung bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen), sondern das Opportunitätsprinzip, d.h. es wird nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden, ob eine festgestellte OWi verfolgt und geahndet wird.

Schreiben der Stadt Bamberg, Sozial- und Umweltreferat, 23. April 2013:

… es hat uns sehr gefreut, dass Sie für den BArrierefrei-Preis vorgeschlagen wurde.

… schätzt die Stadt Bamberg Ihren Einsatz zum Abbau von Barrieren und erkennt Ihr Engagement, das Sie durch Ihren Beitrag zur Verbesserung der Mobilität auf den Fußverkehrsflächen der Stadt zeigen, an. … hoffen wir, dass Sie mit Ihrem Engagement für mehr Barrierefreiheit in Bamberg fortfahren.

Fazit:

Es ist opportun und entspricht pflichtgemäßem Ermessen, Radfahrer/innen rigoros mit Verwarnungsgeld zu belegen, die eine nur für Fußverkehr, indes wenige Wochen später auch für das Radfahren freigegebene, weitgehend leere Seitengasse befahren.

Es ist opportun und entspricht pflichtgemäßem Ermessen, hochgradig gefährdendes Falschparken auf einem Radweg, der entgegen der Einbahnrichtung der Straße verläuft, zu dulden.

Es ist opportun und entspricht pflichtgemäßem Ermessen, Gehwege (angeordnet oder geduldet) derart beparken zu lassen, daß Menschen mit Kinderwagen, Rollstuhl, Rollator oder sperrigem Gepäck über die Fahrbahn ausweichen müssen. Nicht legal? Egal!

Es ist opportun und entspricht pflichtgemäßem Ermessen, selbständige Mobilität von Kindern (nicht alle sind im Kindergartenalter und befinden sich begleitet auf dem Weg zum oder vom Kindergarten) durch Anordnen oder Dulden des Gehwegparkens zu einem lebensgefährlichen Abenteuer werden zu lassen.

Da war doch noch was?

Hatte ich nicht irgendwo etwas von Familienfreundlichkeit bzw. Barrierefreiheit gehört oder gelesen? Ich muß geträumt haben.

Eine starke Region Verlagsbeilage des Fränkischen Tags, 10. November 2012:

„Wo liegen Ihrer Meinung nach die Chancen für gedeihliches Wachstum auch in Zukunft?“ Oberbürgermeister Andreas Starke: „Bamberg ist auf dem Weg zur Autostadt.“ Na dann!

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
Martin-Ott-Straße 8