Uni Bay­reuth: Neue Erkennt­nis­se der Sirtuinforschung

Symbolbild Bildung

Wie Enzy­me sich selbst eine Fal­le stel­len: Neue Erkennt­nis­se zur Deak­ti­vie­rung von Sirtuinen

Sir­tui­ne sind Enzy­me, die an der Steue­rung von Stoff­wech­sel- und Alte­rungs­pro­zes­sen einen ent­schei­den­den Anteil haben. Kön­nen sie durch phar­ma­ko­lo­gi­sche Wirk­stof­fe so beein­flusst wer­den, dass sie die The­ra­pie schwe­rer Erkran­kun­gen för­dern? Von beson­de­rem Inter­es­se ist in die­sem Zusam­men­hang eine unter dem Namen „Ex-527“ bekann­te Sub­stanz, die mög­li­cher­wei­se eines Tages zum Bei­spiel in der Krebs­be­kämp­fung ein­ge­setzt wer­den könn­te. Wie die Akti­vi­tät von Sir­tui­nen durch Ex-527 unter­drückt wird, hat jetzt eine For­schungs­grup­pe um Prof. Dr. Cle­mens Steeg­born an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth auf­klä­ren kön­nen. Im For­schungs­ma­ga­zin PNAS – den Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces der USA – stel­len die Wis­sen­schaft­ler einen über­ra­schen­den Mecha­nis­mus vor.

Sir­tui­ne durch Wirk­stof­fe ziel­ge­nau beein­flus­sen: Ansatz­punk­te der phar­ma­ko­lo­gi­schen Forschung

Im Men­schen kom­men sie­ben ver­schie­de­ne Sir­tui­ne vor, sie wer­den in der For­schung als „Sirt1“ bis „Sirt7“ bezeich­net. Indem sie die Struk­tu­ren wich­ti­ger Pro­te­ine ver­än­dern, erzeu­gen sie wesent­li­che Signa­le für zel­lu­lä­re Pro­zes­se, bei­spiels­wei­se für die Bil­dung neu­er Pro­te­ine auf der Grund­la­ge gene­ti­scher Infor­ma­tio­nen oder für die Anpas­sung des Nähr­stoff­ab­baus. Wirk­stof­fe, die imstan­de sind, ein Sir­tuin zu akti­vie­ren, bie­ten des­halb inter­es­san­te Ansatz­punk­te für die Ent­wick­lung von Medi­ka­men­ten. So könn­te etwa eine ziel­ge­naue, uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen aus­schlie­ßen­de Akti­vie­rung von Sirt1 ein Weg sein, um Stoff­wech­sel­stö­run­gen zu heilen.

In ande­ren Fäl­len wie­der­um las­sen sich the­ra­peu­ti­sche Effek­te mög­li­cher­wei­se dadurch erzie­len, dass die Akti­vi­tät eines Sir­tuins unter­drückt wird. Ins­be­son­de­re die ziel­ge­naue Hem­mung von Sirt1 oder Sirt3 gilt heu­te in der For­schung als eine ernst­zu­neh­men­de Per­spek­ti­ve für die Tumor­be­kämp­fung. Eine Sub­stanz, die eine hem­men­de Wir­kung auf Sir­tui­ne hat und inso­fern als Inhi­bi­tor wirkt, ist Ex-527; die exak­te Bezeich­nung lau­tet „6‑chloro‑2,3,4,9‑tetrahydro-1H-carbazole-1-carboxamide“.

Wie Sir­tui­ne die eige­ne Deak­ti­vie­rung ermög­li­chen: Ein über­ra­schen­der Mecha­nis­mus legt ihr Akti­vi­täts­zen­trum lahm

Damit auf der Basis die­ser Erkennt­nis­se geeig­ne­te phar­ma­ko­lo­gi­sche Wirk­stof­fe ent­wickelt wer­den kön­nen, ist zuvor eine inten­si­ve Grund­la­gen­for­schung erfor­der­lich. Vor allem muss der bio­che­mi­sche Mecha­nis­mus geklärt sein, durch den Ex-527 die Akti­vi­tät von Sirt1 oder Sirt3 unter­drückt. An die­sem Punkt ist der Bay­reu­ther For­schungs­grup­pe um Prof. Dr. Cle­mens Steeg­born in Zusam­men­ar­beit mit Prof. Dr. Mike Schut­kow­ski an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg jetzt ein Durch­bruch gelungen.

Sir­tui­ne ver­än­dern die Struk­tu­ren von Pro­te­inen, indem sie an aus­ge­wähl­ten Stel­len die­ser Mole­kü­le – genau­er gesagt: an den Lys­ing­rup­pen der Pro­te­ine – Ace­tyl­grup­pen abspal­ten. Die­ser Vor­gang, die Deace­tyl­ie­rung, wird dadurch ein­ge­lei­tet, dass drei mole­ku­la­re Struk­tu­ren auf­ein­an­der tref­fen: das Sir­tuin, das Pro­te­in und eine drit­te Sub­stanz namens „NAD+“. Ist die Deace­tyl­ie­rung abge­schlos­sen, sind zwei Pro­duk­te ent­stan­den: das Pro­te­in, das jetzt eine deace­tyl­ier­te Lys­ing­rup­pe ent­hält, und ace­tyl­ier­te ADP-Ribo­se (2’-O-acetyl-ADP ribo­se). Das Sir­tuin ist unver­än­dert. Nor­ma­ler­wei­se fährt es jetzt fort, mit ande­ren Pro­te­in- und NAD+-Molekülen wei­te­re Deace­tyl­ie­run­gen in Gang zu setzen.

Doch an genau die­ser Fort­set­zung wird das Sir­tuin von Ex-527 gehin­dert. Denn indem das Sir­tuin eine Deace­tyl­ie­rung bewirkt, schafft es selbst die Vor­aus­set­zun­gen dafür, dass es unmit­tel­bar anschlie­ßend von Ex-527 lahm­ge­legt wird. Ex-527 ver­bin­det sich näm­lich einer­seits mit dem Sir­tuin, ande­rer­seits mit der ace­tyl­ier­ten ADP-Ribo­se. Dabei sorgt Ex-527 dafür, dass die ace­tyl­ier­te ADP-Ribo­se sich an genau der Stel­le des Sir­tuins fest­setzt, wo nor­ma­ler­wei­se der Kon­takt mit einem neu­en NAD+-Molekül statt­fin­den und eine wei­te­re Deace­tyl­ie­rung in Gang gesetzt wür­de. Hier befin­det sich daher das Akti­vi­täts­zen­trum des Sir­tuins. Doch das Sir­tuin kann sich nicht von der ace­tyl­ier­ten ADP-Ribo­se befrei­en, und so ist den nach­fol­gen­den NAD+-Molekülen der Zugang zum Sir­tuin ver­sperrt. Das Akti­vi­täts­zen­trum des Sir­tuins bleibt blockiert; es ist nicht imstan­de, mit der Deace­tyl­ie­rung von Pro­te­inen fort­zu­fah­ren. So hat sich das Sir­tuin gleich beim ersten Mal eine Fal­le gestellt, in der es gefan­gen bleibt.

Ex-527 – eine attrak­ti­ve Sub­stanz für die wei­te­re Wirkstoff-Forschung

Die Bay­reu­ther Bio­che­mi­ker haben zudem ent­deckt, dass Ex-527 sei­ne inhi­bie­ren­de Wir­kung auf genau die­se und kei­ne ande­re Wei­se aus­übt. Ande­re beob­ach­te­te Kon­stel­la­tio­nen – bei­spiels­wei­se eine Ver­bin­dung von Ex-527 mit Sir­tuin und NAD+ – sind nicht geeig­net, die Akti­vi­tät des Sir­tuins zu unter­bin­den. „Unse­re For­schungs­er­geb­nis­se zei­gen, dass Ex-527 ein Inhi­bi­tor mit einer unge­wöhn­li­chen und zugleich sehr Sir­tuin-spe­zi­fi­schen Wir­kungs­wei­se ist. Gera­de das macht die­se Sub­stanz zu einem beson­ders attrak­ti­ven Ansatz­punkt für wei­te­re Unter­su­chun­gen“, erklärt Prof. Steeg­born. „Zudem zei­gen unse­re Ergeb­nis­se Wege auf, wie die Sub­stanz wei­ter ver­bes­sert wer­den kann, um gezielt nur die Akti­vi­tät eines ein­zi­gen Sir­tuins zu hem­men.“ Denn grund­sätz­lich gilt: Je spe­zi­fi­scher die Wir­kungs­wei­se einer Sub­stanz ist, die ein Sir­tuin hemmt oder akti­viert, desto bes­ser sind die Aus­sich­ten, dass sie als phar­ma­ko­lo­gi­scher Wirk­stoff infra­ge kommt. Unüber­schau­ba­re Neben­wir­kun­gen müs­sen von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen wer­den können.

Ver­öf­fent­li­chung:

Mela­nie Gertz, Frank Fischer, Giang Thi Tuy­et Nguy­en, Maha­de­van Lak­sh­mi­nara­sim­han, Mike Schut­kow­ski, Micha­el Wey­and, and Cle­mens Steegborn,
Ex-527 inhi­bits Sir­tuins by exploi­ting their uni­que NAD+-dependent deace­tyl­a­ti­on mechanism,
PNAS 2013 ; published in the week of July 8 – July 12, 2013
DOI: 10.1073/pnas.1303628110 (when published)