Über­ra­schend ähn­lich: Visu­el­le Suche bei Men­schen und Fischen

Symbolbild Bildung

Tier­phy­sio­lo­gen der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben über­ra­schen­de Ähn­lich­kei­ten von Men­schen und Schüt­zen­fi­schen ent­deckt. Deren visu­el­le Such­stra­te­gien sind ein­an­der ähn­lich und glei­cher­ma­ßen erfolg­reich, trotz gro­ßer Unter­schie­de im Auf­bau der zugrun­de lie­gen­den Nervensysteme.

Eine spe­zi­el­le Nudel­sor­te im Super­markt­re­gal zu fin­den oder den eige­nen Draht­esel auf einem vol­len Fahr­rad­park­platz zu ent­decken – das sind Bei­spie­le für eine erfolg­rei­che visu­el­le Suche, eine der her­vor­ra­gend­sten Lei­stun­gen des mensch­li­chen Gehirns. Dabei sorgt ein kom­ple­xes Netz­werk aus Ner­ven­zel­len in der Hirn­rin­de dafür, dass eine im Gan­zen unüber­sicht­li­che Sze­ne­rie Aus­schnitt für Aus­schnitt mit hoher Auf­merk­sam­keit abge­ta­stet wird. Über­ra­schen­der­wei­se gibt es Fische, die bei der visu­el­len Suche ganz ähn­lich und eben­so erfolg­reich ver­fah­ren – obwohl ihr Ner­ven­sy­stem erheb­lich ein­fa­cher und ihr Gehirn unver­gleich­lich klei­ner ist. Dar­über berich­ten Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster und Ingo Rischa­wy vom Lehr­stuhl für Tier­phy­sio­lo­gie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth im „Jour­nal of Expe­ri­men­tal Biology“.

„Ler­nen im Labor“: Was Schüt­zen­fi­sche fin­den sollen

Schüt­zen­fi­sche leben vor allem in tro­pi­schen Brack­was­ser­ge­bie­ten. Mit einem geziel­ten Was­ser­strahl schie­ßen sie Insek­ten, die sich auf Pflan­zen dicht am Ufer nie­der­ge­las­sen haben, seit­lich von unten an, so dass ihre Beu­te ins Was­ser hin­ab­fällt. In der Natur sind es ver­schie­den­ar­ti­ge Insek­ten, von denen sich Schüt­zen­fi­sche auf die­se Wei­se ernäh­ren. Als daher den Schüt­zen­fi­schen im Bay­reu­ther Ver­suchs­la­bor ver­schie­de­ne Objek­te prä­sen­tiert wur­den, fan­den sie die­se zunächst alle­samt als Beu­te inter­es­sant. Dann aber wur­den ihnen bei­gebracht, nur einen bestimm­ten Typ von Objek­ten als loh­nen­de Beu­te auf­zu­fas­sen. Immer dann, aber auch nur dann, wenn die Fische einen Was­ser­strahl auf ein flie­gen­för­mi­ges Objekt abge­feu­ert hat­ten, wur­den sie unmit­tel­bar anschlie­ßend mit einer ins Was­ser gewor­fe­nen toten Flie­ge belohnt – so als ob sie die­se tat­säch­lich erbeu­tet hät­ten. Auf die­se Wei­se gewöhn­ten sich die Fische dar­an, anders­för­mi­ge Objek­te nicht als Zie­le, son­dern als unin­ter­es­san­te Bestand­tei­le des Umfelds aufzufassen.

Prä­zi­se Ziel­er­ken­nung in unter­schied­lich kom­ple­xen Szenarien

Anschlie­ßend haben die Bay­reu­ther For­scher unter­sucht, wie gut die Fische in der Lage waren, die Zie­le ihrer Nah­rungs­su­che inner­halb eines mehr oder weni­ger kom­plex gestal­te­ten Umfelds zu iden­ti­fi­zie­ren. Von ent­schei­den­der Bedeu­tung waren dabei zwei Aspek­te der Ver­suchs­an­ord­nung: Die Sze­na­ri­en, mit denen die Fische kon­fron­tiert wur­den, ent­hiel­ten kei­ne Bewe­gungs­ab­läu­fe, mit deren Hil­fe sie ihre Beu­te – also die flie­gen­för­mi­gen Objek­te – von ihrem jewei­li­gen Umfeld hät­ten unter­schei­den kön­nen. Zudem beka­men die Fische die flie­gen­för­mi­gen Objek­te immer nur zeit­gleich mit deren Umfeld zu sehen. Es war ihnen daher nicht mög­lich, Erin­ne­run­gen an das Umfeld zu spei­chern und neu hin­zu­kom­men­de Objek­te als Zie­le der Nah­rungs­su­che zu identifizieren.

„Wir waren über­rascht, wie erfolg­reich die visu­el­le Suche der Schüt­zen­fi­sche unter die­sen unge­wöhn­li­chen Bedin­gun­gen ver­lief. Trotz eines Umfelds, das zahl­rei­che Objek­te mit jeweils unter­schied­li­chen For­men ent­hielt, waren die Fische imstan­de, ihre Beu­te zu erken­nen und per Was­ser­strahl dar­auf zu reagie­ren“, berich­tet Prof. Schu­ster. Sein Mit­ar­bei­ter Ingo Rischa­wy hat die Reak­ti­ons­zei­ten, also die Zeit zwi­schen der Prä­sen­ta­ti­on eines Sze­na­ri­os und dem Abfeu­ern eines Was­ser­strahls auf die Beu­te, gemes­sen. Dabei stell­te sich her­aus: Die durch­schnitt­li­che Reak­ti­ons­zeit der Fische ist umso län­ger, je mehr Objek­te in einem Sze­na­rio ent­hal­ten sind – so als ob jedes Objekt für eine kur­ze Zeit begut­ach­tet wird. Die­se Ein­zel­be­gut­ach­tun­gen dau­ern umso län­ger, je schwie­ri­ger die Unter­schei­dung zwi­schen der Beu­te und den Objek­ten in ihrem Umfeld ist.

Über­ra­schend ähn­li­che Such­stra­te­gien bei Men­schen und Schützenfischen

Die Wis­sen­schaft­ler waren erstaunt, als ähn­lich auf­ge­bau­te Ver­suchs­rei­hen mit Men­schen zu ana­lo­gen Ergeb­nis­sen führ­ten. Stu­die­ren­de blick­ten auf eine Wand, auf die ein gro­ßes kreis­run­des Feld pro­ji­ziert wur­de. Dar­in waren jedes Mal ein flie­gen­för­mi­ges Objekt sowie wei­te­re, mehr oder weni­ger ver­schie­den­ar­ti­ge Gegen­stän­de zu sehen. Die glei­chen Sze­na­ri­en also, wel­che die Fische auf der Glas­plat­te über dem Was­ser­becken zu sehen beka­men, wur­den mit­tels des Pro­jek­tors den Stu­die­ren­den vor­ge­führt. Die­se hat­ten die Auf­ga­be, die Flie­gen als Zie­le zu iden­ti­fi­zie­ren und mit Ten­nis­bäl­len nach ihnen zu wer­fen. Gleich­zei­tig aber muss­ten sie Kopf­re­chen­auf­ga­ben lösen. Mit die­ser Erschwer­nis woll­ten die Wis­sen­schaft­ler dem Umstand Rech­nung tra­gen, dass die Auf­merk­sam­keit eines Fisches, der sich per Was­ser­strahl eine Beu­te sichern will, in der Regel eben­falls abge­lenkt ist: Er muss sich gegen­über wach­sa­men Art­ge­nos­sen durch­set­zen, die ihm die Beu­te weg­schnap­pen wollen.

Mit zuneh­men­der Viel­ge­stal­tig­keit der Gegen­stän­de, die sich im Umfeld des Ziels befan­den, stieg auch die Scan-Zeit pro Objekt an, genau wie bei den Fischen. „Obwohl die neu­ro­na­le Aus­stat­tung der Schüt­zen­fi­sche ein­fa­cher ist und die Fische gar kei­ne Groß­hirn­rin­de besit­zen, gibt es offen­bar erheb­li­che Gemein­sam­kei­ten“, fasst Prof. Schu­ster die For­schungs­er­geb­nis­se zusam­men. „Es sieht so aus, als ob bei­de Orga­nis­men mit ähn­li­chen Algo­rith­men arbei­ten, wenn sie ein viel­ge­stal­ti­ges und zugleich unbe­weg­tes Sze­na­rio dar­auf­hin ‚abscan­nen’, ob und – falls ja – an wel­chem Ort sich ein gesuch­tes Ziel befin­det. Unse­re Stu­die zeigt daher deut­lich, dass anspruchs­vol­le men­ta­le Lei­stun­gen aus sehr unter­schied­li­chen phy­sio­lo­gi­schen Grund­la­gen her­vor­ge­hen kön­nen und kei­nes­wegs immer von den kom­ple­xen Struk­tu­ren und Pro­zes­sen inner­halb der mensch­li­chen Hirn­rin­de abhän­gig sind.“

Ver­öf­fent­li­chung:

Ingo Rischa­wy and Ste­fan Schuster,
Visu­al search in hun­ting archer­fi­sh shares all hall­marks of human performance,
In: Jour­nal of Expe­ri­men­tal Bio­lo­gy, first posted online April 25, 2013
DOI: 10.1242/jeb.087734