Erste Vor­le­sung der Bam­ber­ger Poe­tik­pro­fes­so­rin: „Mit einer Mas­ke auf dem Gesicht“

Symbolbild Bildung

Jen­ny Erpen­beck ist Poe­tik­pro­fes­so­rin 2013

Jenny Erpenbeck

Jen­ny Erpenbeck

Das Spiel mit Mas­ken und Rol­len, mit gro­ßer Geschich­te im all­täg­li­chen Kon­text gehört zu den Beson­der­hei­ten der Wer­ke der dies­jäh­ri­gen Poe­tik­pro­fes­so­rin Jen­ny Erpen­beck. Die renom­mier­te Ber­li­ner Autorin, gera­de mit dem Joseph-Breit­bach-Preis aus­ge­zeich­net, sprach in ihrer ersten Vor­le­sung über ihren Debüt­ro­man, das Schrei­ben und ihre DDR-Vergangenheit.

Wer kennt das nicht: Nach der Lek­tü­re eines Buches ste­hen auf ein­mal vie­le Fra­gen­zei­chen im Raum und der drin­gen­de Wunsch ent­steht, die Autorin oder den Autoren um Rede und Ant­wort zu bit­ten. Mei­stens ist das leich­ter gesagt als getan, und gera­de Stu­die­ren­de der Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten kön­nen ein Lied über unter­schied­li­che Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze sin­gen und wün­schen sich wohl regel­mä­ßig einen leben­di­gen Goe­the an ihre Sei­te. Aus die­sem Grund ist die Bam­ber­ger Poe­tik­pro­fes­sur unter der Viel­zahl an uni­ver­si­tä­ren Ver­an­stal­tun­gen jeden Som­mer aufs Neue beson­ders beliebt. Denn hier „lesen Autoren nicht nur ein­fach vor, sie spre­chen auch über ihre Wer­ke“, hob der Bam­ber­ger Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Fried­helm Marx am Abend der ersten Poe­tik­pro­fes­sur-Vor­le­sung, am 7. Mai, her­vor. Er pro­phe­zei­te den über 200 Men­schen im Publi­kum einen Blick über die Schul­ter auf den Schreib­tisch von Jen­ny Erpen­beck, der aktu­el­len Poetikprofessorin.

Mas­ken als Schreibhilfe

Lächelnd, ein wenig schüch­tern, fast kind­lich ver­hal­ten trat die 1967 in Ost-Ber­lin gebo­re­ne Jen­ny Erpen­beck ans Pult, blick­te ins gespann­te Publi­kum und seufz­te: „Ich muss erst­mal ler­nen, Pro­fes­so­rin zu sein“. Das Wohl­wol­len und die Sym­pa­thie sämt­li­cher Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er war ihr damit sicher, auch wenn sich im Lau­fe des Abends immer wie­der eine lei­se Stim­me mel­de­te, die frag­te: Oder ist das nur eine ihrer Rol­len? Hat sie eine ihrer Mas­ken auf dem Gesicht?

Denn von Mas­ken sprach Jen­ny Erpen­beck viel und das nicht nur in Bezug auf die Prot­ago­ni­stin ihres Debüt­ro­mans „Geschich­te vom alten Kind“, auf den sie sich in ihrer ersten Vor­le­sung inhalt­lich kon­zen­trier­te. Hier geht es um ein Mäd­chen, das mit einem lee­ren Eimer auf der Stra­ße steht und schein­bar nichts weiß, außer dass es vier­zehn Jah­re alt ist. Es ist nicht schön, nie­mand kennt sei­nen Namen, nie­mand weiß, woher es kommt, nie­mand weiß, wer sei­ne Eltern sind. Also wird es in ein Heim gesteckt, auf eine Schu­le geschickt. Die gan­ze Zeit hin­durch bleibt das Gefühl, das Mäd­chen ver­steckt sich hin­ter einer Mas­ke und ver­birgt ein Geheim­nis. Am Ende der Schreck: Hin­ter dem Mäd­chen steckt eine drei­ßig­jäh­ri­ge Frau.

Mas­ken schei­nen für Erpen­beck in jeg­li­cher Hin­sicht eine wich­ti­ge Bedeu­tung zu haben: „Ein Buch ist immer auch etwas Ver­schlüs­sel­tes, eine Mas­ke, die man sich auf­set­zen kann, um nackt, aber uner­kannt durch ein vol­les Fuß­ball­sta­di­on zu lau­fen“. Immer wie­der wer­de sie gera­de im Hin­blick auf den Debüt­ro­man nach auto­bio­gra­phi­schen Aspek­ten gefragt. „Gewis­se Zusam­men­hän­ge zu leug­nen wäre Unsinn, natür­lich flie­ßen gesam­mel­te Erfah­run­gen, Lebens­um­stän­de und Impul­se mit in die Geschich­te ein“.

Doch so ein­fach sei es nicht. Anschau­lich erklär­te die gelern­te Buch­bin­de­rin und stu­dier­te Musik­thea­ter­re­gis­seu­rin, dass jedes Buch eine Moment­auf­nah­me sei und zu einem ande­ren Zeit­punkt von der glei­chen Per­son geschrie­ben völ­lig anders aus­fal­len kön­ne. „Bei­spiels­wei­se hät­te der Plot mei­nes Debüt­ro­mans auch eine hei­te­re Feu­er­zan­gen­bow­le-Vari­an­te erge­ben kön­nen“, ergänz­te Erpen­beck schmun­zelnd und nahm damit Bezug auf ihr Expe­ri­ment, in dem sie sich mit 27 Jah­ren für meh­re­re Wochen in eine 11. Jahr­gangs­stu­fe ein­schleu­ste, als Recher­che für ihren Roman. „Wis­sen kann häu­fig Macht und Mani­pu­la­ti­on bedeu­ten“, habe sie wäh­rend des Expe­ri­ments erfah­ren. Macht über den­je­ni­gen, der nichts über den eige­nen Wis­sens­vor­sprung weiß.

Wis­sen ist Macht

Wis­sen, Macht, Iden­ti­tät, Her­kunft, Frei­heit – Schlüs­sel­be­grif­fe der gro­ßen Geschich­te gei­ster­ten per­ma­nent durch den Hör­saal. Erpen­beck gab ihnen eine per­sön­li­che Note, ver­band sie mit Ein­zel­schick­sa­len und indi­vi­du­el­len Lebens­ent­wür­fen. Eine kenn­zeich­nen­de Eigen­schaft ihres Werks: Die Ver­zah­nung von gro­ßer Geschich­te und klei­nen Zusam­men­hän­gen, Schick­sa­len und Momentaufnahmen.

Auch dies­be­züg­lich drängt sich ein auto­bio­gra­phi­scher Ver­gleich gera­de­zu auf, wenn man als Leser der „Geschich­te vom alten Kind“ an das Mäd­chen denkt, das dort ein­bricht, wo alle raus­wol­len, ins Heim. Und dann von der in der DDR auf­ge­wach­se­nen Autorin zu hören bekommt, dass sie die „neue Frei­heit des Westens“ nach dem Mau­er­fall zunächst als auf­ge­zwun­gen emp­fand und die „Wen­de“ als ein Gefühl, „als hät­te man uns den All­tag genom­men, der von einem Tag auf den and­ren zu einem Muse­um wurde“.

Aller­dings trägt die­se Inter­pre­ta­ti­on der Geschich­te als Para­bel auf den Unter­gang der DDR die Leser­schaft nur ein Stück­chen wei­ter und bringt sie schließ­lich doch wie­der dort­hin, wo sie am Anfang schon war: Das Buch ist nur ein Aus­schnitt der Geschich­te, die Vor- und Nach­ge­schich­te kennt kei­ner. Eine Geschich­te, die in einem ande­ren Moment erzählt, anders aus­ge­fal­len wäre und in jedem Leser­kopf eine ganz eige­ne Rea­li­tät entfaltet.

Zu den wei­te­ren Terminen:

Jen­ny Erpen­beck wird an drei wei­te­ren Aben­den, am 28. Mai sowie am 5. und 19. Juni jeweils um 20 Uhr im Hör­saal U2/00.25 über ihre Wer­ke sprechen.

Den Abschluss der Poe­tik­pro­fes­sur bil­det ein Inter­na­tio­na­les Kol­lo­qui­um am Don­ners­tag und Frei­tag, den 20. und 21 Juni im Thea­ter­treff des E.T.A. Hoff­mann-Thea­ters Bam­berg. Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler aus dem In- und Aus­land sowie Jen­ny Erpen­beck selbst wer­den zum Aus­tausch und zur Dis­kus­si­on ihres Werks zusam­men kom­men. Inter­es­sier­te sind herz­lich eingeladen.