Neue Erkennt­nis­se zu Ver­wandt­schafts­be­zie­hun­gen der ein­hei­mi­schen Schwalbenwurz

Symbolbild Bildung

Die Schwal­ben­wurz ist das ein­zi­ge in Deutsch­land ein­hei­mi­sche Sei­den­pflan­zen­ge­wächs. Ihr latei­ni­scher Name „Vin­ce­to­xi­cum hirun­di­na­ria“ ent­hält die latei­ni­schen Wör­ter „vin­ce­re“ (besie­gen) und „toxi­cum“ (Gift) und erin­nert damit an die frü­her weit ver­brei­te­te Auf­fas­sung, die Schwal­ben­wurz sei ein medi­zi­ni­sches Gegen­gift, zum Bei­spiel bei Schlan­gen­bis­sen. Lan­ge Zeit waren ihre Stam­mes­ge­schich­te und ver­wandt­schaft­li­che Stel­lung in der bota­ni­schen For­schung unge­klärt. Ein For­scher­team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth um Prof. Dr. Sig­rid Lie­de-Schu­mann hat jetzt in einer umfang­rei­chen Stu­die Licht in die­ses Dun­kel brin­gen können.

Mole­ku­la­re Ana­ly­se von 71 Pflanzenarten

Bedeu­ten­de Erkennt­nis­se erbrach­te eine neue mole­ku­la­re Ana­ly­se mit inge­samt 71 Pflan­zen­ar­ten. Die Gat­tun­gen, denen die­se Arten ange­hö­ren, sind näher mit­ein­an­der ver­wandt; sie wur­den des­halb in einer Gat­tungs­grup­pe mit dem Namen „Tylo­pho­ri­nae“ zusam­men­ge­fasst. Die Ana­ly­se der 71 Pflan­zen­ar­ten ermög­lich­te es nun, die Stam­mes- und Ver­brei­tungs­ge­schich­te die­ser Ver­wandt­schafts­grup­pe sehr weit­ge­hend zu rekon­stru­ie­ren. Dabei stell­te sich her­aus, dass die Tylo­pho­ri­nae vor rund 18 Mil­lio­nen Jah­ren in Afri­ka ent­stan­den sind; unge­fähr zu der Zeit, als sich der Tethys­oze­an – das „Urmeer“ zwi­schen den dama­li­gen Kon­ti­nen­ten – zu schlie­ßen begann. Bereits vor 15 bis 12 Mil­lio­nen Jah­ren, in einer Peri­ode mit zuneh­men­der Trocken­heit und einem dar­aus resul­tie­ren­den nied­ri­gen Mee­res­spie­gel, dürf­ten sich die Tylo­pho­ri­nae fast über ihr gesam­tes heu­ti­ges Ver­brei­tungs­ge­biet in Afri­ka, Austra­li­en, Asi­en und Euro­pa aus­ge­dehnt haben.

An gemä­ßig­te Kli­ma­te ange­passt: Zwei Grup­pen des auf­rech­ten Vincetoxicum-Typs

Bis­lang wur­den Vin­ce­to­xi­cum und Tylo­pho­ra als zwei sepa­ra­te Gat­tun­gen inner­halb der Tylo­pho­ri­nae auf­ge­fasst. Doch die mole­ku­la­re Ana­ly­se hat die tra­di­tio­nel­le Sicht­wei­se wider­legt. Viel sinn­vol­ler erscheint es jetzt, zwei Wuchs­for­men-Typen von­ein­an­der zu unter­schei­den: einer­seits Pflan­zen des Vin­ce­to­xi­cum-Typs mit nicht oder nur schwach win­den­den Stau­den, die die ungün­sti­ge Jah­res­zeit mit Hil­fe unter­ir­di­scher Rhi­zo­me über­dau­ern; ande­rer­seits win­den­de, ganz­jäh­rig wach­sen­de Klet­ter­pflan­zen des Tylo­pho­ra-Typs. „Aus einer Grup­pe des Klet­ter­pflan­zen-Typs haben sich im Ver­lauf der Geschich­te zwei­mal Pflan­zen des auf­rech­ten Vin­ce­to­xi­cum-Typs heraus­ent­wickelt, die an gemä­ßig­te Kli­ma­te ange­passt sind“, erklärt Prof. Dr. Lie­de-Schu­mann. „Dar­aus folgt, dass Vin­ce­to­xi­cum und Tylo­pho­ra als eigen­stän­di­ge Gat­tun­gen nicht mehr auf­recht erhal­ten wer­den kön­nen und alle Arten unter dem älte­ren Namen, Vin­ce­to­xi­cum Wolf, zusam­men­ge­fasst wer­den müssen.“

Die erste der bei­den Grup­pen des auf­rech­ten Vin­ce­to­xi­cum-Typs ist bereits vor 9,3 Mil­lio­nen Jah­ren ent­stan­den. Die­se Grup­pe, zu der auch unse­re ein­hei­mi­sche Schwal­ben­wurz gehört, hat sich vor ca. 5 Mil­lio­nen Jah­ren, also nach der letz­ten Anhe­bung des Tibe­ti­schen Pla­teaus und damit ein­her­ge­hen­der zuneh­men­der Trocken­heit, über das gan­ze tem­pe­ra­te Asi­en sowie Tei­le Euro­pas und spä­ter bis nach Süd­schwe­den und Finn­land aus­ge­brei­tet. Da eini­ge Arten die­ser Grup­pe zur Selbst­be­fruch­tung befä­higt sind, haben sie sich nach ihrer Ein­schlep­pung in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Kana­da vor etwa 100 Jah­ren dort sehr stark aus­ge­brei­tet und wer­den dort als aggres­si­ve Neu­bür­ger (Neo­phyten) bekämpft wer­den. Die ande­re Grup­pe des auf­rech­ten Vin­ce­to­xi­cum-Typs ist vor etwa 7,2 Mil­lio­nen Jah­ren, zeit­gleich mit dem Beginn des asia­ti­schen Som­mer­mon­suns, ent­stan­den und blieb aber bis heu­te auf Chi­na und Japan beschränkt.

Rück­kehr nach Afri­ka: Neue Erkennt­nis­se zur Ent­wick­lung der Arten

Auch hin­sicht­lich der Ent­wick­lung der Arten haben die mole­ku­la­ren Ana­ly­sen zu neu­en Ergeb­nis­sen geführt: In Afri­ka, Austra­li­en und Eura­si­en kam es vor 9 bis 10 Mil­lio­nen Jah­ren zu einer inten­si­vier­ten Art­bil­dung, zeit­gleich mit der Inten­si­vie­rung des Indi­schen Som­mer­mon­suns und dem damit ein­her­ge­hen­den jah­res­zeit­li­chen Wech­sel des Kli­mas. Aus der Grup­pe der in Austra­li­en und Eura­si­en ent­stan­de­nen Arten her­aus ist vor etwa 6,8 Mil­lio­nen Jah­ren ein Ver­tre­ter der Tylo­pho­ri­nae wie­der zurück nach Afri­ka gekom­men und hat dort eine klei­ne Arten­grup­pe begrün­det. Bei die­ser Arten­grup­pe kam es zu einer Ver­viel­fa­chung der Chro­mo­so­men­zahl. In Afri­ka leben also heu­te Nach­fah­ren der ursprüng­li­chen Tylo­pho­ri­nae und die Arten asia­ti­scher Her­kunft neben­ein­an­der. Bei­de Grup­pen glei­chen sich hin­sicht­lich ihrer äuße­ren Gestalt, erst durch die gene­ti­schen Unter­su­chun­gen wur­den die Unter­schie­de in ihrer Stam­mes­ge­schich­te erkennbar.

Ver­öf­fent­li­chung:

Sig­rid Lie­de-Schu­mann, Hang­hui Kong, Ulrich Meve, and Mike Thiv,
Vin­ce­to­xi­cum and Tylo­pho­ra (Apocynaceae–Asclepiadoideae: Ascl­epia­de­ae) – two sides of the same medal: Inde­pen­dent shifts from tro­pi­cal to tem­pe­ra­te habitats.
Taxon (2012), 61: 803–825.