Wenn der Haupt-Job nicht mehr reicht: 3.990 „Mul­ti-Job­ber“ im Kreis Forchheim

Unter­su­chung weist dra­sti­schen Zuwachs bei Zweit- und Dritt-Jobs nach

Immer mehr Men­schen im Kreis Forch­heim brau­chen einen Zweit-Job: Mehr als 3.990 Berufs­tä­ti­ge waren im ver­gan­ge­nen Jahr auf einen Mini-Job als zusätz­li­che Ein­nah­me­quel­le ange­wie­sen. Das geht aus einer Unter­su­chung her­vor, die das Pest­el-Insti­tut in Han­no­ver im Auf­trag der Ver­ein­ten Dienst­lei­stungs­ge­werk­schaft (ver.di) und der Gewerk­schaft Nah­rung-Genuss-Gast­stät­ten (NGG) gemacht hat.

Dem­nach ist die Zahl der der­je­ni­gen, die neben ihrer Haupt­be­schäf­ti­gung noch einen Mini-Job als Neben­job haben, in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Kreis Forch­heim dra­stisch gestie­gen: „Blickt man zehn Jah­re zurück, so hat es eine Zunah­me von mehr als 135 Pro­zent gege­ben“, sagt Stu­di­en­lei­ter Mat­thi­as Gün­ther vom Pest­el-Insti­tut. Im ver­gan­ge­nen Jahr hät­ten nahe­zu acht Pro­zent Beschäf­tig­ten im Kreis Forch­heim sich mit einem 400-Euro-Job neben­her etwas dazuverdient.

„Wir haben das Phä­no­men der Mul­ti-Job­ber. Das sind Men­schen, die mit dem Geld, das sie in ihrem Haupt­job ver­die­nen, nicht mehr aus­kom­men. Des­halb müs­sen sie auf einen oder meh­re­re Neben­jobs aus­wei­chen, um über­haupt noch über die Run­den zu kom­men. Aus der puren Lust an einer 55- oder 60-Stun­den-Woche macht das jeden­falls kei­ner“, sagt die Geschäfts­füh­re­rin des ver.di-Bezirks Ober­fran­ken-West, Doris Stadelmeyer.

Sie macht für das „Mul­ti-Job­ben“ vor allem Nied­rig­löh­ne ver­ant­wort­lich. „Auf der einen Sei­te wer­den Stun­den­löh­ne bezahlt, die im Kel­ler sind. Auf der ande­ren Sei­te stei­gen die Lebens­hal­tungs­ko­sten. Das beste Bei­spiel ist das Woh­nen. Hier dreht sich – nicht zuletzt wegen der Heiz- und Neben­ko­sten – die Preis­spi­ra­le unauf­hör­lich nach oben. Da sind Nied­rig­ver­die­ner gezwun­gen, nach Fei­er­abend und an den Wochen­en­den noch ein­mal zur Zweit-Arbeit zu gehen“, so Stadelmeyer.

Abhil­fe kann nur ein ein­heit­li­cher gesetz­li­cher Min­dest­lohn schaf­fen, dar­in sind sich ver.di und NGG einig. „8,50 Euro pro Stun­de – das ist der Min­dest­preis, den Arbeit bei uns hat. Wer heu­te für weni­ger Geld arbei­ten muss, der hat kei­ne Chan­ce, von dem, was er ver­dient, auch leben zu kön­nen“, sagt der Geschäfts­füh­rer der NGG-Regi­on Ober­fran­ken, Micha­el Grundl.

Er macht deut­lich, dass selbst ein Min­dest­lohn von 8,50 Euro am Ende gera­de ein­mal für ein Leben rei­che, das „haar­scharf über dem Hartz-IV-Niveau“ lie­ge. Die gene­rel­le Lohn­un­ter­gren­ze von 8,50 Euro pro Stun­de kön­ne daher nur ein Ein­stieg sein. „Alles dar­un­ter bedeu­tet erheb­li­che Abstri­che beim Lebens­stan­dard. Und vor allem auch ‚Ebbe bei der Ren­te’ – Alters­ar­mut ist so pro­gram­miert“, so Grundl. Auch ein 8,50-Euro-Mindestlohn müs­se daher rasch in wei­te­ren Schrit­ten ange­ho­ben werden.

Eine kla­re Absa­ge ertei­len ver.di und NGG dem Vor­ha­ben der schwarz-gel­ben Regie­rungs­ko­ali­ti­on in Ber­lin, regio­nal unter­schied­li­che Lohn­un­ter­gren­zen ein­zu­füh­ren. „Dann wür­de Deutsch­land zu einem ‚Lohn-Flicken­tep­pich’. Das Ziel, das Uni­on und FDP dabei ver­fol­gen, ist klar: Bil­lig-Regio­nen eta­blie­ren, in denen die Arbeit dann über­all unter 8,50 Euro Stun­den­lohn gehan­delt wird“, sagt Doris Stadelmeyer.

Die ver.di-Geschäftsführerin warnt vor einer „Deutsch­land­kar­te mit Dum­ping­lohn-Löchern“, in die hin­ein dann „von skru­pel­lo­sen Unter­neh­men die Auf­trä­ge ver­ge­ben“ wür­den. Abge­se­hen davon hält Sta­del­mey­er regio­na­le Min­dest­lohn-Tarif­ver­hand­lun­gen „schlicht­weg für nicht mach­bar, da sich die Arbeit­ge­ber von Lohn­drücker-Bran­chen garan­tiert nicht an einen Ver­hand­lungs­tisch set­zen wür­den“. Auch wirk­sa­me Kon­trol­len wären bei wech­seln­den Min­dest­lohn­ge­bie­ten in der Pra­xis nicht machbar.

„Beim Min­dest­lohn gilt: Einer für alle“, unter­streicht Micha­el Grundl. Der NGG-Geschäfts­füh­rer appel­liert an Beschäf­tig­te, die heu­te im Kreis Forch­heim zu einem Nied­rig­lohn arbei­ten, beim „Dum­ping­l­ohn­mel­der“ unter www​.dum​ping​l​ohn​mel​der​.de dar­auf hin­zu­wei­sen, um so an der „Deutsch­land-Bil­lig­lohn-Land­kar­te“ mit­zu­schrei­ben. NGG und ver.di for­dern die Bun­des­re­gie­rung auf, noch vor der Bun­des­tags­wahl einen ein­heit­li­chen gesetz­li­chen Min­dest­lohn von 8,50 Euro ein­zu­füh­ren. CDU/CSU und FDP soll­ten damit dem Bei­spiel von SPD und Grü­nen im Bun­des­rat folgen.