Par­ti­kel stel­len sich quer: Über­ra­schen­de Ori­en­tie­rung in Kapillaren

Symbolbild Bildung

Wenn klei­ne Par­ti­kel durch dün­ne Kapil­la­ren hin­durch­strö­men, zei­gen sie ein äußerst unge­wöhn­li­ches Ori­en­tie­rungs­ver­hal­ten. Dies hat jetzt eine For­schungs­grup­pe um Prof. Dr. Ste­phan För­ster und Prof. Dr. Wal­ter Zim­mer­mann, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, ent­deckt. Im Wis­sen­schafts­ma­ga­zin PNAS berich­ten die betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, der Rad­boud Uni­ver­si­ty Nij­me­gen, des For­schungs­zen­trums DESY in Ham­burg und des Max-Planck-Insti­tuts für Dyna­mik und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in Göt­tin­gen über ihre neu­en Erkennt­nis­se. Für Spinn­pro­zes­se, die der Her­stel­lung künst­li­cher Fasern die­nen, oder für das Ver­ständ­nis von Gefäß­ver­en­gun­gen ist die Ent­deckung von zen­tra­ler Bedeutung.

Rönt­gen­ex­pe­ri­men­te machen das Strö­mungs­ver­hal­ten sichtbar

Stäb­chen- oder plätt­chen­för­mi­ge Par­ti­kel, die durch dün­ne Kapil­la­ren hin­durch­strö­men, ori­en­tie­ren sich nor­ma­ler­wei­se par­al­lel zur Strö­mungs­rich­tung. Falls eine Kapil­la­re eine Ver­en­gung auf­weist, ändert sich die­se Ori­en­tie­rung nicht, bis die Par­ti­kel die eng­ste Stel­le erreicht haben. Doch sobald sich die Kapil­la­re wie­der erwei­tert, ori­en­tie­ren sich die Par­ti­kel senk­recht zur Strö­mungs­rich­tung und stel­len sich quer. Die Wis­sen­schaft­ler in Bay­reuth, Ham­burg, Nij­me­gen und Göt­tin­gen haben die­ses über­ra­schen­de Phä­no­men nicht nur ent­deckt, son­dern auch eine Erklä­rung dafür gefun­den. Wie sie auf­grund theo­re­ti­scher Berech­nun­gen zei­gen konn­ten, tre­ten in dem sich erwei­tern­den Kapil­lar­ab­schnitt star­ke Deh­nungs­kräf­te senk­recht zur Strö­mungs­rich­tung auf. Die­se Deh­nungs­kräf­te bewir­ken, dass sich die Par­ti­kel umorientieren.

Die theo­re­ti­schen Berech­nun­gen wur­den bestä­tigt durch Mikro­rönt­gen­ex­pe­ri­men­te am Deut­schen Elek­tro­nen­syn­chro­tron (DESY). Hier wur­den an der Strah­lungs­quel­le PETRA III mit moder­nen rönt­gen­op­ti­schen Ver­fah­ren hoch­in­ten­si­ve Rönt­gen­strah­len mit Durch­mes­sern von nur weni­gen Mikro­me­tern erzeugt. Auf die­se Wei­se war es erst­mals mög­lich, das Strö­mungs­ver­hal­ten in beson­ders dün­nen Kapil­la­ren zu beob­ach­ten. Die Wis­sen­schaft­ler konn­ten prä­zi­se ermit­teln, wie sich die Par­ti­kel aus­rich­ten, wenn sie eine ver­eng­te Kapil­la­re durch­strö­men. Die senk­rech­te Ori­en­tie­rung, die sie nach dem Pas­sie­ren der eng­sten Stel­le anneh­men, ist sta­bil; sie ändert sich im wei­te­ren Ver­lauf in der Kapil­la­re nicht mehr.

Neue Erkennt­nis­se zur Her­stel­lung von Hoch­lei­stungs­fa­sern und zur Ent­ste­hung von Gefäßerkrankungen

Die Umori­en­tie­rung der Par­ti­kel beim Durch­strö­men enger Kapil­lar­stel­len ist von zen­tra­ler Bedeu­tung für das Ver­ständ­nis vie­ler bio­lo­gi­scher und tech­ni­scher Strö­mungs­pro­zes­se. Ein Bei­spiel ist der Vor­gang des Spin­nens. Dabei wer­den Lösun­gen von Makro­mo­le­kü­len und Par­ti­keln durch fei­ne Spinn­dü­sen gepresst. Für die Her­stel­lung von Fasern, die sich durch hohe Reiß­fe­stig­keit und ande­re gute mecha­ni­sche Eigen­schaf­ten aus­zeich­nen, ist es unbe­dingt erfor­der­lich, dass die Makro­mo­le­kü­le und Par­ti­kel par­al­lel zur Fließ­rich­tung ori­en­tiert sind. Doch wie sich jetzt her­aus­ge­stellt hat, sind sie beim Ver­las­sen der Düse senk­recht zur Fließ­rich­tung aus­ge­rich­tet. Dies erklärt die bereits seit lan­gem bekann­te Tat­sa­che, dass gespon­ne­ne Fasern ver­streckt wer­den müs­sen. Die Ver­streckung bewirkt, dass die Makro­mo­le­kü­le und Par­ti­kel – als Bau­stei­ne der Fasern – erneut die gewünsch­te par­al­le­le Aus­rich­tung anneh­men. Die in den PNAS ver­öf­fent­lich­ten neu­en Erkennt­nis­se machen es mög­lich, die Strö­mungs­ori­en­tie­rung die­ser Bau­stei­ne vor­her­zu­sa­gen und durch ein ent­spre­chen­des Design von Kapil­la­ren und Düsen genau zu kontrollieren.

Ein wei­te­res Anwen­dungs­ge­biet ist die Medi­zin, inso­fern Zel­len und Pro­te­ine durch fein­ste Blut­ge­fä­ße flie­ßen. Wenn sie sich auf­grund von Gefäß­ver­en­gun­gen umori­en­tie­ren, kann dies eine Agglo­me­ra­ti­on bewir­ken. Die Fol­ge ist eine Throm­bo­se oder ein Gefäß­ver­schluss. Mög­li­cher­wei­se hat die inter­na­tio­na­le For­scher­grup­pe jetzt einen wich­ti­gen Teil­pro­zess ent­deckt, der ent­schei­dend zur Ent­ste­hung die­ser Gefäß­er­kran­kun­gen beiträgt.

Inter­na­tio­na­le Forschungskooperation

Zu den Autoren des in den PNAS ver­öf­fent­lich­ten Bei­trags zäh­len Prof. Dr. Ste­phan För­ster und sei­ne Grup­pe am Lehr­stuhl Phy­si­ka­li­sche Che­mie I sowie Prof. Dr. Wal­ter Zim­mer­mann am Lehr­stuhl Theo­re­ti­sche Phy­sik I an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth; des wei­te­ren Dr. Juli­an Thie­le (Rad­boud Uni­ver­si­ty Nij­me­gen), Dr. Jan Per­lich, Dr. Ade­line Buf­fet und Dr. Ste­phan V. Roth (DESY Ham­burg) sowie Dag­mar Stein­hau­ser (MPI für Dyna­mik und Selbsts­or­ga­ni­sa­ti­on, Göt­tin­gen, und Deut­sches Insti­tut für Kau­tschuk­tech­no­lo­gie e.V., Han­no­ver). Das Pro­jekt wur­de im Rah­men eines der bedeu­tend­sten För­der­pro­gram­me der Euro­päi­schen Uni­on rea­li­siert: 2012 ist Prof. Dr. Ste­phan För­ster ein ERC Advan­ced Grant zuer­kannt wor­den. Zudem hat auch das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) die For­schungs­ar­bei­ten gefördert.

Ver­öf­fent­li­chung:

Mar­tin Treb­bin, Dag­mar Stein­hau­ser, Jan Per­lich, Ade­line Buf­fet, Ste­phan V. Roth, Wal­ter Zim­mer­mann, Juli­an Thie­le, Ste­phan Förster,
Aniso­tro­pic par­tic­les ali­gn per­pen­di­cu­lar to the flow-direc­tion in nar­row microchannels,
in: PNAS (Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of Ame­ri­ca) Ear­ly Online Edi­ti­on, April 8, 2013;
DOI: 10.1073/pnas.1219340110

Kon­takt für wei­te­re Informationen:

Prof. Dr. Ste­phan Förster
Lehr­stuhl Phy­si­ka­li­sche Che­mie I
Uni­ver­si­tät Bayreuth
D‑95440 Bayreuth
Tel: +49 (0)921 / 55–2760
E‑Mail (Sekr.): elisabeth.​duengfelder@​uni-​bayreuth.​de