Leser­brief: Wege für Radler?

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Sehr geehr­te Damen und Herren!

Vor weni­gen Wochen ver­öf­fent­lich­te die Stadt Bam­berg ihr Falt­blatt „Bes­ser Rad­fah­ren in Bamberg“:

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Der Tenor der Publi­ka­ti­on läßt sich kurz zusam­men­fas­sen: „Wenn alle wis­sen, wel­che Anord­nun­gen zu befol­gen sind, wird alles gut.“ Die idea­li­sie­ren­de Bild­aus­wahl stützt die­se Intention.

Lei­der blei­ben dabei wich­ti­ge Sach­ver­hal­te außer acht:

Bau­li­che Män­gel und Unzu­läng­lich­kei­ten der Ver­kehrs­we­ge ver­hin­dern oder erschwe­ren die Befol­gung der Anordnungen.

Bau­li­che Män­gel und Unzu­läng­lich­kei­ten der Ver­kehrs­we­ge ver­ur­sa­chen Gefähr­dun­gen erheb­li­chen Ausmaßes.

Regel­wid­ri­ges Ver­hal­ten Drit­ter (Falsch­par­ken, feste und mobi­le Hin­der­nis­se, Vor­fahrt­miß­ach­tung, Nicht­ein­hal­ten erfor­der­li­cher Abstän­de) ver­hin­dert oder erschwert die Befol­gung der Anord­nun­gen und ver­ur­sacht Gefähr­dun­gen erheb­li­chen Aus­ma­ßes. Bau­li­che Gestal­tung wie auch Groß­zü­gig­keit der Ord­nungs­be­hör­den begün­sti­gen sol­ches Fehlverhalten.

Wider­sprüch­li­che For­de­run­gen der Ver­kehrs­be­hör­den (z. B. Kam­pa­gne gegen „Gei­ster­ra­deln“, aber Anord­nung des­sel­ben auf hoch­ge­fähr­li­chen Strecken­ab­schnit­ten) füh­ren fast zwangs­läu­fig dazu, daß Vor­schrif­ten nicht ernst­ge­nom­men wer­den. Die glei­che fata­le Wir­kung hat die Betei­li­gung öffent­li­cher und qua­si öffent­li­cher Betrie­be und Behör­den (Stadt­wer­ke, Post, Sozi­al­dien­ste, Poli­zei, …) am vor­ste­hend geschil­der­ten Fehlverhalten.

Vie­le Anord­nun­gen (Rad­we­ge­be­nut­zungs­pflicht, Durch­fahr­ver­bo­te) sind schlicht­weg rechts­wid­rig bzw. inter­pre­tie­ren etwa­igen Abwä­gungs­spiel­raum ein­sei­tig zu Lasten des Rad­ver­kehrs. Teils liegt eine das all­ge­mei­ne Maß erheb­lich über­stei­gen­de Gefähr­dung, wie sie die StVO als Recht­fer­ti­gung für Beschrän­kun­gen zwin­gend ver­langt, gar nicht vor. Teils sind die bau­li­chen Vor­aus­set­zun­gen, wel­che der­ar­ti­ge Beschrän­kun­gen selbst bei Vor­lie­gen einer sol­chen Gefahr erfor­dern, nicht gegeben.

Die Rad­we­ge­be­nut­zungs­pflicht ist gera­de des­halb (seit 1998 – StVO) auf weni­ge recht­fer­ti­gungs­be­dürf­ti­ge Aus­nah­me­fäl­le begrenzt, weil bau­li­che Rad­we­ge hoch­gra­dig unfall­träch­tig sind: im Strecken­ver­lauf zahl­rei­che Kon­flik­te mit dem Fuß­ver­kehr, an Kno­ten­punk­ten (Kreu­zun­gen, Ein­mün­dun­gen, Grund­stücks­zu­fahr­ten) häu­fi­ge­re Kol­li­sio­nen mit Kraft­fahr­zeu­gen bei teils schwer­wie­gen­de­ren Ver­let­zun­gen gegen­über Benut­zung der Fahr­bahn. Doch noch immer ver­wei­gern vie­le Ver­kehrs­be­hör­den, die Rechts­la­ge umzu­set­zen. Neben­bei bemerkt: Die Strei­chung der gene­rel­len Rad­we­ge­be­nut­zungs­pflicht erfolg­te unter der Ver­ant­wor­tung des Bun­des­ver­kehrs­mi­ni­sters Mat­thi­as Wiss­mann und der Bun­des­um­welt­mi­ni­ste­rin Ange­la Mer­kel zur Regie­rungs­zeit des Bun­des­kanz­lers Hel­mut Kohl. Kei­ne die­ser drei Per­so­nen ist jemals in den Ver­dacht gera­ten, ver­kehrs­po­li­tisch dem Fahr­rad nahe zu ste­hen und die (ver­meint­li­chen) Inter­es­sen des Auto­ver­kehrs hint­an­zu­stel­len. Anders for­mu­liert: Es waren star­ke Sach­zwän­ge, die zur Neu­aus­rich­tung des Ver­kehrs­rechts führ­ten. Wenn noch heu­te, fast ein­ein­halb Jahr­zehn­te spä­ter, Ver­kehrs­be­hör­den die­se Erkennt­nis­se nicht wahr­ha­ben wol­len, ist das mehr als blamabel.

Das bei­lie­gen­de Falt­blatt (PDF) ver­mit­telt einen rea­li­sti­schen Ein­druck: Der in Licht­bil­dern dar­ge­stell­ten Wirk­lich­keit ste­hen die recht­li­chen und fach­li­chen Erfor­der­nis­se und Vor­ga­ben gegen­über. Eine Quint­essenz sei vor­ab gezogen:

Die All­ge­mei­ne Ver­wal­tungs­vor­schrift zur Stra­ßen­ver­kehrs-Ord­nung for­mu­liert, daß Ver­kehrs­we­ge für das Fahr­rad „unter Berück­sich­ti­gung der gewünsch­ten Ver­kehrs­ver­hält­nis­se aus­rei­chend“ gestal­tet wer­den müs­sen. Die weit­ge­hen­de Ori­en­tie­rung – und ihre häu­fi­ge Unter­schrei­tung – an den Min­dest­ma­ßen die­ser Vor­schrift, wel­che ohne­hin meist deut­lich gerin­ger aus­fal­len als die anzu­stre­ben­den Regel­ma­ße und nach Aus­sa­ge des Innen­mi­ni­ste­ri­ums – auch nur bei Vor­lie­gen aller ande­ren Vor­aus­set­zun­gen – „eine Rad­we­ge­be­nut­zungs­pflicht gege­be­nen­falls noch ver­tret­bar“ erschei­nen las­sen, erlaubt nur eine Schluß­fol­ge­rung: Viel Fahr­rad­ver­kehr ist in Bam­berg über­haupt nicht gewollt – unge­ach­tet aller gegen­tei­li­gen Lippenbekenntnisse.

Abschlie­ßend sei dar­auf hin­ge­wie­sen: Das bei­lie­gen­de Falt­blatt befaßt sich weit­ge­hend mit Son­der­we­gen für das Rad­fah­ren. „Die Teil­nah­me der Rad­fah­rer an der Benut­zung der Stra­ße“ aber ist „der stra­ßen­ver­kehrs­recht­li­che ‚Nor­mal­fall’“ (Baye­ri­scher Ver­wal­tungs­ge­richt­hof) – und auch da liegt man­ches in der Wege­ge­stal­tung im Argen. Ein attrak­ti­ves Wege­netz und gar die intel­li­gen­te Ver­knüp­fung im Umwelt­ver­bund (Fuß- und Rad­ver­kehr, Bahn und Bus), unver­zicht­ba­re Bau­stei­ne zukunfts­fä­hi­ger Mobi­li­tät, erschei­nen vor die­sem Hin­ter­grund schon wie eine Uto­pie aus ande­ren Welten.

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig