Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 61

Die Huf­nä­gel und das Rebhuhn

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Durch die ruß­ge­schwärz­ten Fen­ster der Dorf­schmie­de sahen Jank und Mill das Fun­ken­sprü­hen, wenn der alte Mann sei­nen Ham­mer auf die weiß­glü­hen­den Eisen­tei­le schwang. Die Kin­der näher­ten sich ihm ohne Furcht, denn er ließ es wort­los gesche­hen, dass sie ihm täg­lich bei sei­nem Hand­werk zuschau­ten. Aber selbst Vor­wit­zi­ge durf­ten den gro­ßen Leder­bla­se­balg mit den ris­si­gen Fal­ten nicht bedie­nen. Auch sei­ne Werk­zeu­ge wur­den von den Klei­nen immer nur respekt­voll betrach­tet. Nie brauch­te er sei­ne jun­gen Bewun­de­rer des­we­gen zu beleh­ren oder gar zu schimpfen.

An sei­nem Bla­se­balg hat­te er einen Käl­ber­strick befe­stigt. So konn­te er den Koks auf Weiß­glut brin­gen und hat­te gleich­zei­tig genü­gend Abstand von den Fun­ken, die manch­mal unbe­re­chen­bar aus dem Höl­len­feu­er her­aus­sprüh­ten. Dann rann­ten die Kin­der schnell hin­aus ins Freie, um zu sehen, was da alles aus dem Schlot kommt. Schon ein paar Sekun­den spä­ter aber stan­den sie bar­fuß wie­der auf dem küh­len, zement­hart fest­ge­tre­te­nen Lehm­bo­den der Werkstatt.

Wenn er dann unter dem klei­nen Vor­dach den rot­hei­ßen Eisen­rei­fen einem rie­sen­gro­ßen Wagen­rad auf­brann­te, sog sein jun­ges Publi­kum den Rauch des ver­brann­ten Eichen­hol­zes genie­ße­risch ein.

Manch­mal schob er den Ärmel des ver­wa­sche­nen Fla­nell­hemds hoch, um noch stär­ker zuschla­gen zu kön­nen. Dann staun­te Mill über den Mus­kel­arm. Er war dop­pelt so groß wie der von Roland, den er vor sei­ner Abrei­se in den Westen mal befüh­len muss­te. Ab und zu stand ein schwe­res Kalt­blut­acker­pferd zum Beschla­gen unter dem Vor­dach. Dann war­te­te ein Bau­er gedul­dig in aus­ge­bleich­tem Land­wirts­dril­lich und Schild­müt­ze neben sei­nem Arbeits­tier, den buschig behaar­ten Huf sei­nes mäch­ti­gen Gauls zwi­schen den Knien.

Gebro­che­ne, abge­nutz­te oder schief­ge­tre­te­ne Eisen soll­te ihm der Schmied ent­fer­nen, ein­ge­tre­te­ne Stei­ne, Nägel und Scher­ben aus den gequäl­ten Hufen muss­te er herausholen.

Janks Inter­es­se an der Schmie­de hat­te in letz­ter Zeit einen ande­ren Grund. Er war ganz gie­rig auf ein Abfall­pro­dukt, die krumm geschla­ge­nen Nägel, die aus den Hufen her­aus­ge­zo­gen wur­den. Er nahm sie sich heim­lich, weil er Fra­gen des Schmieds nach dem Ver­wen­dungs­zweck scheu­te. Über­all lagen die Din­ger auf der rost­ge­färb­ten Umge­bung der Werk­statt her­um. Er hat­te des­we­gen auch kein Dieb­stahls­ge­wis­sen. Mit einer Kampf­sche­re der Wehr­macht, die zum Knacken star­ker Sta­chel­draht­ver­haue ver­wen­det wor­den war, zwick­te er hin­ter Lettaus Scheu­ne den dün­nen Teil der alten Huf­nä­gel ab. Die­se Huf­na­gel­kup­pe hat­te nun die Form eines Pyra­mi­den­stumpfs. Sie lag kom­pakt und schwer im Leder der Gum­mi­schleu­der und war in sei­ner schon früh­zei­tig ver­sier­ten Hand eine treff­si­che­re Muni­ti­on. Ein­mal blieb sie in einer alten, wet­ter­ge­bleich­ten Scheu­nen­tür sogar stecken. Sein klei­ner Bru­der war ihm ein Bewun­de­rer, der aber wegen sei­ner unge­schick­ten Hand mei­stens dane­ben ziel­te. Einem Spat­zen, der sich auf einem Feld­weg gera­de mit einem Pfer­de­ap­fel beschäf­tig­te, schoss Jank ein­fach den Kopf ab. Zwar schäm­te er sich für kur­ze Zeit, doch die Zau­ber­macht der Jagd war bald wie­der stär­ker. Viel­leicht wür­de es ihm sogar ein­mal gelin­gen, den gro­ßen Kasten­vo­gel vom Him­mel zu holen. Der ging immer in nas­sen Wie­sen umher, war etwas klei­ner als ein Storch und erhob sich gleich scheu in die Lüf­te, wenn Jank sich anschlei­chen woll­te. Dann hät­te er sich auch genau anse­hen kön­nen, was das für ein Kasten ist, den der am Hals hat.

Mit sei­nen Tref­fern hat er nie ange­ge­ben. Ein Reb­hahn husch­te ihm beim Acker über den Feld­weg. Er traf ihn mit sei­ner Huf­na­gel­mu­ni­ti­on, dass er kei­nen Todes­kampf mehr hat­te. Er schoss dabei im Gehen aus der Hüf­te. Der Mut­ter über­lie­ßen die tap­fe­ren Jäger dann das Grau­sen des Rup­fens und Ausnehmens.

„Jedutt­nee, is das ein hib­sches, klei­nes Dingele!“

Das Erbar­men in der Stim­me sei­ner Mut­ter mach­te Jank ver­le­gen. Und noch bevor die ersten Federn fie­len erkann­te er einen unüber­seh­ba­ren Fin­ger­zeig. Erschwieg aber. Die rost­brau­nen Brust­fe­dern des Reb­hahns bil­de­ten die Form eines klei­nen Hufeisens.