Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 58

Sand­blatt

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Eine Hälf­te sei­nes Gar­tens hat­te der alte Lettau mit Tabak bepflanzt. Der san­dig-leh­mi­ge Boden war dafür wie geschaf­fen. Die heiß begehr­ten Blät­ter wuch­sen mit ihren zart­ro­sa Blü­ten in schnur­ge­zo­ge­nen Rei­hen zu stram­men Stau­den her­an. Roland, dem frü­hen Rau­cher, kam der Anbau in greif­ba­rer Nähe sehr gele­gen. Es fiel nicht auf, dass er sich sei­nen eige­nen Bedarf an fei­nem Vir­gi­nia aus Lettaus Plan­ta­ge zusammenklaute.

„Das unter­ste Blatt, das liegt im Sand. Das heißt Sand­blatt. Das ist das Beste vom Besten. Aber davon ver­steht ihr ja sowie­so nix.“

Tage­lang weich­te er gedörr­te Pflau­men ein, nahm die brau­ne Pflau­men­brü­he in den Mund und bepru­ste­te damit sein gold­gel­bes Die­bes­gut. Dann sta­pel­te er sorg­fäl­tig Blatt auf Blatt und press­te sich einen dicken, gewich­ti­gen Tabak­ku­chen zusam­men. Der muss­te nun auf dem Küchen­schrank ziehen.

Nach meh­re­ren Tagen war dann alles reif.

„Fer­men­tie­ren, das ist eine Wis­sen­schaft für sich.“

Jetzt konn­te er den Tabak­ku­chen mit schar­fer Klin­ge schnei­den, den Tabak­krüll genie­ße­risch abrie­chen und sich einen Vor­rat von Selbst­ge­dreh­ten anlegen.

„Der Machor­ka, den die Russkis qual­men, da fal­len ja die Flie­gen tot von der Wand!“

Mit einem älte­ren Rus­sen hat­te er ein­mal Tabak getauscht. Der hat­te davon einen tie­fen Zug gemacht und Kara­scho gesagt.

„Das ist Vir­gi­nia­ta­bak, das ist Ame­ri­ka!“, plu­ster­te er sich vor dem gegerb­ten Front­kämp­fer auf.

„Das nix Ame­ri­ka, das Drannsdorr!“

Der Sol­dat lach­te breit.

***

Es konn­te eigent­lich nur eine Fra­ge der Zeit sein, bis Mill und Jank selbst nach Vir­gi­nia rei­sten. Natür­lich ent­schie­den sie sich für die aller­höch­ste Qua­li­tät Sand­blatt. Für tage­lan­ge Fer­men­tie­rungs­pro­zes­se fehl­ten ihnen sowohl Geduld als auch gün­sti­ge Gele­gen­heit. Jeder roll­te ein gan­zes Bün­del son­nen­ge­reif­ter Tabak­blät­ter in ein Zei­tungs­blatt VÖL­KI­SCHER BEOB­ACH­TER und zün­de­te sich sei­ne Rol­le an. Die­se Vir­gi­nia­zi­ga­ret­ten glimm­ten nicht, sie brann­ten. Nur beim Zie­hen san­ken die Flam­men kurz in sich zusam­men. Jank wur­de als erstem schlecht und schwin­de­lig. Kal­ter Schweiß zeig­te sich schon nach dem zwei­ten Zug auf Mills Stirn. Sofort hat­ten bei­de das drin­gen­de Bedürf­nis, in die Hocke zu gehen. Sie tru­gen nur ihre Som­mer­un­ter­ho­sen, unten glockig offen. Gewischt wur­de mit Blät­tern von wil­dem Rha­bar­ber aus dem nahen Stra­ßen­gra­ben, nach­ge­wa­schen unter dem Pum­pen­strahl im Garten.

So hun­de­elend hat­ten sie sich das letz­te Mal nach dem Blau­beer­wein in der Sedan­stra­ße gefühlt.