Wie Schüt­zen­fi­sche die Geset­ze der Bal­li­stik beherrschen

Schützenfische dicht unterhalb der Wasseroberfläche. Foto: Lehrstuhl für Tierphysiologie, Universität Bayreuth

Schüt­zen­fi­sche dicht unter­halb der Was­ser­ober­flä­che. Foto: Lehr­stuhl für Tier­phy­sio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Bayreuth

Die Fähig­keit, auf der Jagd nach Beu­te zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort zu sein, ist im Tier­reich über­le­bens­wich­tig. Sie beruht auf neu­ro­na­len Netz­wer­ken, die Sin­nes­ein­drücke, die Aus­wahl von Hand­lungs­op­tio­nen und moto­ri­sche Bewe­gun­gen prä­zi­se auf­ein­an­der abstim­men. Schüt­zen­fi­sche kön­nen der­ar­ti­ge Auf­ga­ben mit nur weni­gen hun­dert Neu­ro­nen äußerst erfolg­reich lösen, wie Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster (Uni­ver­si­tät Bay­reuth) in einem aktu­el­len Bei­trag für die Zeit­schrift „Cur­rent Opi­ni­on in Neu­ro­bio­lo­gy“ zeigt. Die an Fischen erziel­ten For­schungs­er­geb­nis­se kön­nen grund­sätz­lich dazu bei­tra­gen, tie­fer in die neu­ro­na­len Grund­la­gen von Ent­schei­dungs­pro­zes­sen vorzudringen.
Auf der Jagd nach Beu­te: blitz­schnell und pünkt­lich am rich­ti­gen Ort

Schüt­zen­fi­sche sind vor allem in tro­pi­schen Brack­was­ser­ge­bie­ten zuhau­se. Sie ernäh­ren sich mit Vor­lie­be von Insek­ten, die sich auf Blät­tern und Hal­men von Pflan­zen dicht am Ufer nie­der­las­sen. Mit einem schar­fen geziel­ten Was­ser­strahl gelingt es den Fischen, die Insek­ten seit­lich von unten anzu­schie­ßen, so dass die­se im hohen Bogen ins Was­ser fal­len. Damit ein Schüt­zen­fisch sei­ner Beu­te hab­haft wer­den kann, muss er sich blitz­schnell dort­hin bege­ben, wo das Insekt auf die Was­ser­ober­flä­che trifft. Andern­falls ist die Gefahr groß, dass ihm die Beu­te von einem Art­ge­nos­sen oder einem ande­ren Fisch weg­ge­schnappt wird. Denn Schüt­zen­fi­sche leben nicht nur in Schwär­men, son­dern müs­sen auch mit einer Viel­zahl ande­rer Ober­flä­chen­fi­sche um die abge­schos­se­ne Beu­te konkurrieren.

In einem von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft geför­der­ten For­schungs­pro­jekt unter­sucht Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster seit meh­re­ren Jah­ren die Fra­ge, wie es den Schüt­zen­fi­schen gelingt, recht­zei­tig – noch wäh­rend die getrof­fe­ne Beu­te im hohen Bogen her­ab­fällt – genau dort­hin zu schwim­men, wo sie auf­tref­fen wird. Er hat her­aus­ge­fun­den, dass der Schüt­zen­fisch nur drei Infor­ma­tio­nen benö­tigt, um die Beu­te pünkt­lich an der Was­ser­ober­flä­che in Emp­fang neh­men zu kön­nen: Sobald der ‚Schuss aus dem Was­ser‘ das Insekt getrof­fen hat, nimmt der Fisch durch opti­sche Sin­nes­rei­ze wahr, an wel­cher Stel­le über der Was­ser­ober­flä­che es sich befin­det, in wel­che Rich­tung es sich bewegt und wel­che Geschwin­dig­keit es dabei hat. Als wür­de er die Geset­ze der Bal­li­stik ken­nen, setzt sich der Schüt­zen­fisch ziel­ge­nau und mit der erfor­der­li­chen Geschwin­dig­keit in Bewegung.

Kei­ne alter­na­tiv­lo­sen Refle­xe, son­dern Ent­schei­dun­gen zwi­schen Optionen

Die Schüt­zen­fi­sche kön­nen also auf die Infor­ma­tio­nen, die sie zu einem belie­bi­gen Zeit­punkt über Ort, Rich­tung und Geschwin­dig­keit ihrer Beu­te gewon­nen haben, blitz­schnell und prä­zi­se reagie­ren – ohne ihr Schwimm­ver­hal­ten zu einem spä­te­ren Zeit­punkt nach­ju­stie­ren zu müs­sen. „Das ist eine erstaun­li­che Lei­stung, die nicht zu ver­wech­seln ist mit einem alter­na­tiv­lo­sen Reflex“, erläu­tert Schu­ster. „Denn unse­re Expe­ri­men­te haben gezeigt, dass dem Schwimm­ver­hal­ten der Fische eine kom­ple­xe Ent­schei­dung zugrun­de liegt, näm­lich eine Aus­wahl aus einem Kon­ti­nu­um ver­schie­de­ner Handlungsoptionen.“

Dies wird beson­ders deut­lich in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen, die sich mit einem geeig­ne­ten Ver­suchs­auf­bau künst­lich erzeu­gen las­sen. Dabei wer­den die Fische mit zwei Beu­te­ob­jek­ten kon­fron­tiert, die zeit­gleich und gleich schnell, aber in unter­schied­li­che Rich­tun­gen fal­len. Das neu­ro­na­le System des Schüt­zen­fi­sches ist lei­stungs­stark genug, um die sich dar­aus erge­ben­den Hand­lungs­op­tio­nen zu bewer­ten und eine kla­re Ent­schei­dung zu tref­fen. Der Fisch star­tet so, dass er sicher zu der­je­ni­gen Beu­te geführt wird, deren spä­te­re Ankunfts­stel­le auf dem Was­ser der eige­nen Start­po­si­ti­on am näch­sten liegt.

Mauth­ner-Zel­len: Steue­rungs­zen­tra­len des Jagdverhaltens

Im Bay­reu­ther Labo­ra­to­ri­um haben Schu­ster und sei­ne Mit­ar­bei­ter das neu­ro­na­le Netz­werk der Schüt­zen­fi­sche genau­er unter­sucht, ins­be­son­de­re mit­hil­fe der Elek­tro­phy­sio­lo­gie und der Zwei-Pho­to­nen-Mikro­sko­pie. Jeder Schüt­zen­fisch ver­fügt im hin­te­ren Bereich des Gehirns über ein Paar soge­nann­ter Mauth­ner-Zel­len. Es han­delt sich dabei um beson­ders gro­ße Ner­ven­zel­len, die bei ande­ren Kno­chen­fi­schen das Flucht­ver­hal­ten steu­ern. Sobald ein Schüt­zen­fisch den Ort, die Rich­tung und die Geschwin­dig­keit sei­ner Beu­te wahr­ge­nom­men hat, feu­ert eine der bei­den Zel­len Signa­le ab. Die­se lösen – im Kon­zert mit wei­te­ren Zel­len des Netz­werks – den Start des Fisches aus, der dabei durch eine Längs­krüm­mung sei­nes Kör­pers eine cha­rak­te­ri­sti­sche C‑förmige Gestalt annimmt. Der Start muss so gewählt wer­den, dass der Dreh­win­kel des Fisches und sei­ne Start­ge­schwin­dig­keit exakt zu dem spä­te­ren Lan­de­punkt der Beu­te pas­sen, so dass der Fisch genau zum rich­ti­gen Zeit­punkt am rich­ti­gen Ort sein wird.

„Da der Schüt­zen­fisch für sei­ne kom­ple­xe Ent­schei­dung nur extrem wenig Zeit hat, muss er dafür ein sehr klei­nes hoch­ef­fi­zi­en­tes Netz­werk ver­wen­den“, erklärt Schu­ster. „Das eröff­net uns die ein­ma­li­ge Chan­ce, erst­ma­lig und auf zel­lu­lä­rer Ebe­ne zu einem Ver­ständ­nis vor­zu­drin­gen, wie Gesetz­mä­ßig­kei­ten der Umwelt – bei­spiels­wei­se die Fall­ge­set­ze mit und ohne Luft­rei­bung – in unse­rem Ner­ven­sy­stem ein­pro­gram­miert sind.“ Die DFG unter­stützt die­se Unter­su­chun­gen im Rah­men ihrer Rein­hart Koselleck-Pro­jek­te, die nach ihren Wor­ten dar­auf abzie­len, „beson­ders inno­va­ti­ve und im posi­ti­ven Sin­ne risi­ko­be­haf­te­te“ For­schungs­ar­bei­ten zu fördern.

Ver­öf­fent­li­chung:

Ste­fan Schuster,
Fast-starts in hun­ting fish: decis­i­on-making in small net­works of iden­ti­fi­ed neurons
in: Cur­rent Opi­ni­on in Neu­ro­bio­lo­gy 2012, 22, pp. 279–284
DOI: 10.1016/j.conb.2011.12.004

Zu den Rein­hart-Koselleck-Pro­jek­ten der DFG:

www​.dfg​.de/​f​o​e​r​d​e​r​u​n​g​/​p​r​o​g​r​a​m​m​e​/​e​i​n​z​e​l​f​o​e​r​d​e​r​u​n​g​/​r​e​i​n​h​a​r​t​_​k​o​s​e​l​l​e​c​k​_​p​r​o​j​e​k​te/