Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Gewalt und Kon­flikt­re­ge­lun­gen in Afrika

Neue Stu­di­en zu Macht­grup­pen und Machtstrukturen

Aus Mali, Gui­nea-Bis­sau, Nige­ria und ande­ren afri­ka­ni­schen Staa­ten wird seit kur­zem über gewalt­sa­me inner­staat­li­che Kon­flik­te berich­tet. Die oft unüber­sicht­li­chen Macht­struk­tu­ren, aus denen die­se bewaff­ne­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen her­vor­ge­hen, sind das The­ma einer neu­en Ver­öf­fent­li­chung, die der Bay­reu­ther Eth­no­lo­ge Prof. Dr. Georg Klu­te und sei­ne Kol­le­gin Dr. Bir­git Embaló her­aus­ge­ge­ben haben. Unter dem Titel „The Pro­blem of Vio­lence. Local Con­flict Sett­le­ment in Con­tem­po­ra­ry Afri­ca“ führt der Band neue For­schungs­an­sät­ze, län­der­über­grei­fen­de Ana­ly­sen und empi­ri­sche Stu­di­en zu ein­zel­nen afri­ka­ni­schen Staa­ten zusammen.

Eigen­stän­di­ge sozia­le Ord­nun­gen, inner­halb oder außer­halb staat­li­cher Strukturen

Den jetzt erst­mals ver­öf­fent­lich­ten Bei­trä­gen liegt die gemein­sa­me Vor­aus­set­zung zugrun­de, dass alle sozia­len Ord­nun­gen vor der Her­aus­for­de­rung ste­hen, das Pro­blem der Gewalt dau­er­haft zu regeln. Das Gewalt­mo­no­pol des Staa­tes, das heu­te in Euro­pa selbst­ver­ständ­lich scheint, ist dafür aber nur ein mög­li­cher Lösungs­weg. Vor allem in Afri­ka geschieht es häu­fig, dass sich inner- oder außer­halb exi­stie­ren­der Staats­struk­tu­ren eigen­stän­di­ge sozia­le und qua­si-poli­ti­sche Ord­nun­gen her­aus­bil­den. Die­se wer­den von nicht­staat­li­chen Macht­grup­pen getra­gen, die ihre Hand­lungs­spiel­räu­me nut­zen, um eige­ne Ord­nungs­vor­stel­lun­gen gegen den Staat, par­al­lel zum Staat oder sogar in Über­ein­stim­mung mit ihm durch­zu­set­zen. Der Staat agiert in die­sen Fäl­len oft nur als ein „pri­mus inter pares“ unter meh­re­ren Machtinstanzen.

Macht­grup­pen und Insti­tu­tio­nen in wech­seln­den Bezie­hun­gen. Zum Begriff der „Hete­r­ar­chie“

Zur Beschrei­bung der­ar­ti­ger Struk­tu­ren ver­wen­den die Autoren den Begriff der „Hete­r­ar­chie“, der ursprüng­lich aus der Orga­ni­sa­ti­ons­theo­rie kommt. Klu­te hält ihn für beson­ders geeig­net, um die gegen­wär­ti­gen Struk­tu­ren und Ent­wick­lun­gen in Afri­ka zu beschrei­ben: „In der neue­ren euro­päi­schen Tra­di­ti­on stellt man sich den Staat gern als eine zen­tra­le Instanz vor, der alle Macht­an­sprü­che auf sei­nem Ter­ri­to­ri­um hier­ar­chisch unter­ge­ord­net sind. Falls ein­zel­ne Grup­pen par­al­lel zum Staat eige­ne Macht­po­si­tio­nen ent­wickeln und teil­wei­se auch gegen den Staat durch­set­zen, wird dar­in oft ein Aus­druck staat­li­chen Schei­terns und poli­ti­schen Ver­falls gese­hen“, erklärt Klu­te. „Doch sol­che Wer­tun­gen sind vor­ei­lig. Sie ver­stel­len den Blick auf die tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­se in Afri­ka. Das Kon­zept der Hete­r­ar­chie hat den ent­schei­den­den Vor­teil, dass es sich von der Leit­idee einer zen­tral­staat­li­chen Hier­ar­chie frei macht.“

Genau des­halb wird der Begriff der Hete­r­ar­chie, wie der neue Band an zahl­rei­chen aktu­el­len Bei­spie­len belegt, den ste­tig wech­seln­den Bezie­hun­gen gerecht, in denen ver­schie­de­ne Macht­grup­pen und Insti­tu­tio­nen in afri­ka­ni­schen Län­dern zuein­an­der ste­hen. Die­se Akteu­re, ein­schließ­lich des Staa­tes und sei­ner Insti­tu­tio­nen, bil­den ein kom­ple­xes Macht­ge­fü­ge. Sie sind mit­ein­an­der ver­foch­ten, kön­nen sich von­ein­an­der tren­nen und in neu­en Kon­stel­la­tio­nen wie­der zusammenfügen.

Neue län­der­be­zo­ge­ne Stu­di­en. Zur aktu­el­len Lage in Gui­nea-Bis­sau: Rück­sichts­lo­se Kämp­fe der Eliten

Gewalt­tä­ti­ge inner­staat­li­che Kon­flik­te und tra­di­tio­nel­le Stam­mes­ord­nun­gen wer­den in den jetzt erst­mals ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­ar­bei­ten eben­so beleuch­tet wie die Ent­wick­lung eines moder­nen Rechts­plu­ra­lis­mus, der dem hete­r­ar­chi­schen Neben­ein­an­der ver­schie­de­ner Macht­grup­pen Rech­nung trägt. Im Mit­tel­punkt ste­hen dabei aktu­el­le Ent­wick­lun­gen in Gha­na, Mali, Gui­nea-Bis­sau, Gam­bia, im Sene­gal und im Kon­go. Die bei­den Her­aus­ge­ber haben vie­le Jah­re lang in Gui­nea-Bis­sau sozi­al­wis­sen­schaft­lich geforscht, ins­be­son­de­re im Rah­men eines von der Volks­wa­gen­stif­tung geför­der­ten Pro­jekts, an dem auch das Natio­nal Stu­dy and Rese­arch Insti­tu­te of Gui­nea-Bis­sau (INEP) betei­ligt war.

Zum Mili­tär­putsch in dem west­afri­ka­ni­schen Land, der vor kur­zem eine demo­kra­ti­sche Stich­wahl um das Amt des Staats­prä­si­den­ten gewalt­sam ver­hin­dert hat, meint Klu­te: „Es ist bemer­kens­wert, wie erbit­tert die Eli­ten die­ses so win­zi­gen, armen und von wei­tem gese­hen unbe­deu­ten­den Lan­des um poli­ti­sche Posi­tio­nen kämp­fen; die­se ver­schaf­fen ihnen Zugang zu Res­sour­cen, die von außen nach Gui­nea-Bis­sau gelan­gen: Abga­ben aus dem Tran­sit­han­del mit Dro­gen, beson­ders Koka­in, und Antei­le an Ent­wick­lungs­hil­fe­gel­dern. Erschreckend ist hier­bei zwei­er­lei: dass die­se blu­ti­gen Kämp­fe der Eli­ten qua­si zur Rou­ti­ne gewor­den sind, und dass sich die Eli­ten so gut wie nicht um das Los und Wohl­erge­hen der eige­nen Bevöl­ke­rung zu sche­ren schei­nen. Ob ein mög­li­ches mili­tä­ri­sches Ein­grei­fen der übri­gen west­afri­ka­ni­schen Staa­ten an die­ser Lage und an die­ser Hal­tung etwas wird ändern kön­nen, ist für mich aller­dings eine offe­ne Frage.“

Ver­öf­fent­li­chung:

Georg Klu­te and Bir­git Embaló (eds.),
The Pro­blem of Vio­lence. Local Con­flict Sett­le­ment in Con­tem­po­ra­ry Africa,
Topics in Inter­di­sci­pli­na­ry Afri­can Stu­dies 21,
Köln (Rüdi­ger Köp­pe Ver­lag) 2012.