Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 51

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Rolf Schren­ker

Am Orts­aus­gang wohn­te der Rolf mit sei­nen Eltern und jün­ge­ren Schwe­stern. Der Vater hat­te eine Gärtnerei.

Mit den Flücht­lings­brü­dern befreun­det zu sein, das war dem Rolf unent­behr­lich. Jeden Tag hat­ten sie neue Ideen, die sein bis­her geord­ne­tes Jun­gen­le­ben auf lusti­ge, inter­es­san­te und manch­mal aben­teu­er­li­che Wege führten.

Rolfs Vater war schwer vom Krieg gezeich­net, als er schon nach einem Jahr aus der Gefan­gen­schaft heim­kam. Er war halb­sei­tig gelähmt. Kein Arzt hat­te es gewagt, ihm die Gra­nat­split­ter her­aus­zu­ope­rie­ren, weil sie nahe dem Rück­grat steck­ten. Sie pei­nig­ten ihn mit unauf­hör­li­chen, nagen­den Schmer­zen, die sein Leben ver­fin­ster­ten und ver­bit­ter­ten. Der lin­ke Arm hing ihm schlaff an der Hüf­te her­ab. Sei­ne bläu­lich ver­färb­te Hand sah aus, als ob sie mit ihm nichts zu tun hät­te und als ob er sie eben nur so her­um­tra­gen würde.

Auf die­se blaue Hand schau­ten die Brü­der aber nicht mit­lei­dig, son­dern scheu und ver­ständ­nis­los. Es hieß ein­fach bloß: Der Schren­ker hat eine blaue Hand. Und eine blaue Hand sieht eklig aus.

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Die weni­gen Män­ner, die vor­zei­tig, nicht aus­ge­heilt oder ver­stüm­melt aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft heim­ka­men, ver­kro­chen sich hin­ter den Fas­sa­den ihrer Gehöf­te, ver­such­ten sich in Arbeit und streng­ten sich an, so zu tun, als ob es das alles nicht gege­ben hät­te. Von Sie­gen konn­ten sie nichts, von Nie­der­la­gen woll­ten sie nichts erzäh­len. Hin­ter schwar­zer Klap­pe ver­steck­te sich die lee­re Augen­höh­le und man war­te­te auf das klei­ne Päck­chen mit dem Glas­au­ge, das aus der nahen Kreis­stadt geschickt wer­den sollte.

Vor den Blicken der Kin­der, die ihnen im Krieg groß und fremd gewor­den waren, exer­zier­ten die alten und jun­gen Ampu­tier­ten in der Abschir­mung ihrer Höfe die aller­er­sten Humpelversuche.

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Ein paar Gehöf­te wei­ter knie­te Mill an einem gro­ßen Hof­tor und lug­te durch ein wei­tes Ast­loch. Er hat­te irgend­wo auf­ge­schnappt, dass sie den jun­gen Bau­ern – so sag­ten die Leu­te – „zum Krüp­pel geschos­sen“ hät­ten und dass der jetzt schon mit sei­nem neu­en Holz­bein üben soll, ohne Krücken zu gehen.

Viel­leicht könn­te Mill ein­mal sehen, wie so ein Holz­bein aus­sieht, wenn es sich nicht unter einer Hose ver­steckt. Außer ein paar schar­ren­den Hüh­nern konn­te er aber nichts erkennen.

„Joa­chim, Abendessen!“

Das Unnach­gie­bi­ge in der Stim­me der Mut­ter riss ihn aus sei­ner Schau­lust. Was sie sagen wür­de, wenn sie ihn so vor dem Ast­loch erwischt hät­te, das war ihm klar. Er spür­te, wie ihm das Gesicht heiß wurde.

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Es muss Rolf eini­gen Mut geko­stet haben, hin­ter dem Rücken sei­nes fin­ste­ren, reiz­ba­ren­Va­ters an des­sen sorg­sam ein­ge­la­ger­te Obst­vor­rä­te zu gehen, wenn den bei­den Freun­den öfter mal der Magen knurr­te. Da öff­ne­te sich dann laut­los ein Kel­ler­fen­ster und Gärt­ner­mei­ster Schren­kers unver­gleich­li­che Bos­kop-Äpfel flo­gen, wie von unsicht­ba­rer Hand gewor­fen, aus der Luke und lan­de­ten in den Hän­den der Brüder.

Beson­ders gern schloss er sich den bei­den an, wenn ihre Plä­ne sie aus dem engen Ort hin­aus in die freie Natur zogen. Wolf­gang zeig­te ihm, wie die Gabel einer Stein­schleu­der aus­se­hen muss, aus wel­chem Holz sie sein soll­te, wel­ches Leder den Stein am besten hält und wie man den Schleu­der­gum­mi aus altem Fahr­rad­schlauch mit der Gabel ver­kno­tet, damit er beim Aus­zie­hen nicht durchrutscht.