Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 47

Jee­ste mit ins Heu ?

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Die größ­te Scheu­ne im Dorf gehör­te zum Gut des Herrn von Bran­den­steig. Sie stand gegen­über vom Gut auf der ande­ren Stra­ßen­sei­te, war her­ren­los und wur­de damit zum Aben­teu­er­platz für alle Kin­der und Jugendlichen.

Am Wochen­en­de spiel­te ein Akkor­de­on aus Schäcks­dorf in der Gast­wirt­schaft Pan­nack zum Tanz auf. Aber da hin­ein durf­ten nur rich­ti­ge Erwachsene.

Des­we­gen war Jugend­tanz auf dem Beton­bo­den der Guts­scheu­ne. Hans spiel­te mit sei­ner Mund­har­mo­ni­ka BLUT­RO­TE ROSEN. Ein ande­rer Jun­ge ver­stärk­te ihn mit dem ange­summ­ten Haar­kamm, der mit Per­ga­ment­pa­pier umwickelt wur­de. Nach­dem der erste Jun­ge sei­ne Ver­le­gen­heit über­wun­den und sei­ne heim­lich Ange­be­te­te auf­ge­for­dert hat­te, dreh­ten sich eini­ge Paa­re auf der beto­nier­ten Scheu­nen­ein­fahrt. Unnah­bar wir­ken­de oder auch unan­sehn­li­che­re Mäd­chen trau­te sich kei­ner auf­zu­for­dern. Die aber zier­ten sich nicht lan­ge und tanz­ten schließ­lich mit­ein­an­der. Von den Erwach­se­nen hat­ten sie sich alle die Hal­tung der Hän­de abge­schaut. Imi­tier­ten sie in unge­len­ken, ecki­gen Wink­be­we­gun­gen, die auf ihre klei­nen Zuschau­er unfrei­wil­lig belu­sti­gend wirkten.

Die Klei­nen stan­den drau­ßen vor dem auf­ge­roll­ten Scheu­nen­tor und durf­ten eine Zuschau­er­ku­lis­se bil­den. Mill war stolz, dass sein Hans mit der Chri­sta Lüde­ke tanz­te. Die war die Schön­ste von allen. Sie war groß, schlank, hat­te wun­der­bar lan­ge Zöp­fe und lie­be, ern­ste Augen.

Die hätt ich auch genomm. Schei­ße, dass ich noch zu klein bin.

Sein klei­nes Jun­gen­herz war schon genau­so in zärt­li­cher Ver­eh­rung für sie ent­flammt. Auf einem Klas­sen­fo­to stand sie damals in der ober­sten Rei­he und blick­te mit gro­ßen, trau­ri­gen Augen in die Kame­ra des Schul­fo­to­gra­fen. Sei­nem Bru­der Hans aber gönn­te er die schö­ne Chri­sta. Wenn der Hans sie hat, dann hät­te er sie irgend­wie auch.

Die Musik mit ein paar Summ­käm­men ohne die Mund­har­mo­ni­ka sei­nes Bru­ders klang aller­dings etwas jäm­mer­lich, falsch und dünn. Da war es Mill schon lie­ber, wenn sein Bru­der wie­der in der Kapel­le war. Nur er konn­te mit sei­nem Zun­gen­schlag an der Har­mo­ni­ka einen Rhyth­mus zum Tan­zen hineinbringen.

***

„Jee­ste mit ins Heu, die Wei­ber abkitzln?“, frag­te der Alfred einen ande­ren Kerl. Ein Signal, das Tänz­chen zu been­den. Die Mäd­chen flo­hen quiet­schend in den dunk­len Innen­bauch der rie­si­gen Guts­scheu­ne, um sich dort in den obe­ren Stroh­sta­peln und Heu­e­ta­gen zu ver­stecken. Die schwe­re Roll­tür fuhr nach links und schloss das grü­ne Gemü­se der kind­li­chen Zuschau­er­ku­lis­se vom wei­te­ren Gesche­hen aus.

Die Klei­nen stan­den jetzt zuerst ein­mal beläm­mert vor den gro­ßen Rit­zen der Roll­tür und ver­such­ten, doch noch Augen­zeu­ge, zumin­dest aber Belau­scher der uner­hör­ten Vor­gän­ge zu sein. Das fer­ne, gro­be Jun­gen­ge­läch­ter misch­te sich mit schril­lem Gekrei­sche der Mäd­chen und mal­te in den Kin­der­fan­ta­sien der Aus­ge­sperr­ten vor dem gro­ßen Scheu­nen­tor gro­tes­ke Vorstellungsbilder.

Als sich dann der gan­ze Spuk end­lich gelich­tet hat­te, tra­ten die Akteu­re wie­der blin­zelnd durch einen auf­ge­scho­be­nen Tor­spalt ans grel­le Licht des war­men Spät­nach­mit­tags. Sie klaub­ten sich, teils kichernd, teils noch etwas ver­le­gen, Heu­re­ste und Strohspel­zen aus Klei­dung und Haar. Man­cher Zopf muss­te dabei nach­ge­floch­ten und man­che Haar­schlei­fe gemein­sam gesucht werden.