Ziel­ge­naue Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­zes­se: Von poly­me­ren Bau­stei­nen zu hier­ar­chi­schen Strukturen

Prof. Dr. Axel Müller mit seinen Mitarbeitern Dipl.-Chem. André H. Gröschel und Dr. Holger Schmalz am Lehrstuhl für Makromolekulare Chemie II, Universität Bayreuth. Foto: Chr. Wißler

Prof. Dr. Axel Mül­ler mit sei­nen Mit­ar­bei­tern Dipl.-Chem. André H. Grö­schel und Dr. Hol­ger Schmalz am Lehr­stuhl für Makro­mo­le­ku­la­re Che­mie II, Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: Chr. Wißler

Selbst­or­ga­ni­sier­te Pro­zes­se, in denen sich klei­ne mole­ku­la­re Bau­stei­ne zu gro­ßen funk­ti­ons­fä­hi­gen Struk­tu­ren, z.B. Zel­len, zusam­men­schlie­ßen, sind für alle leben­den Orga­nis­men grund­le­gend. Kann die Poly­me­r­che­mie, dem Vor­bild der Natur fol­gend, der­ar­ti­ge Pro­zes­se unter Labor­be­din­gun­gen mit eben­so hoher Effi­zi­enz steu­ern? In der Online-Aus­ga­be des Wis­sen­schafts­ma­ga­zins „Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons“ stellt eine For­schungs­grup­pe um Prof. Dr. Axel Mül­ler (Uni­ver­si­tät Bay­reuth) ein neu­ar­ti­ges Kon­zept vor, mit dem es gelingt, aus­ge­hend von ein­zel­nen Kunst­stoff­mo­le­kü­len hier­ar­chisch auf­ge­bau­te Groß­struk­tu­ren ziel­ge­nau zu for­men – und zwar so, dass die­se Pro­zes­se wie in der Natur von selbst ablaufen.
An der inter­na­tio­na­len For­schungs­grup­pe waren zusam­men mit Prof. Dr. Axel Mül­ler und sei­nen Mit­ar­bei­tern am Lehr­stuhl für Makro­mo­le­ku­la­re Che­mie II in Bay­reuth auch Wis­sen­schaft­ler in Aachen, Jena, Pau (Frank­reich) und St. Peters­burg (Russ­land) betei­ligt. Der DFG-Son­der­for­schungs­be­reich 840 „Von par­ti­ku­la­ren Nano­sy­ste­men zur Meso­tech­no­lo­gie“ an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth hat die For­schungs­ar­bei­ten gefördert.

Bei den Kunst­stoff­mo­le­kü­len, die in den Bay­reu­ther Labo­ra­to­ri­en als Aus­gangs­ma­te­ri­al ver­wen­det wur­den, han­delt es sich um Tri­block­t­er­po­ly­me­re. Die­se bestehen aus drei line­ar auf­ge­bau­ten Abschnit­ten, die ket­ten­för­mig anein­an­der hän­gen. Dabei besteht jeder Abschnitt aus 10 bis 500 gleich­ar­ti­gen Bau­stei­nen. Ent­schei­dend ist nun, dass die drei Abschnit­te A, B und C hin­sicht­lich ihrer phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten – ins­be­son­de­re ihrer Lös­lich­keit – fun­da­men­tal ver­schie­den sind. Der­ar­ti­ge Unter­schie­de sind bei­spiels­wei­se dann gege­ben, wenn es sich bei den drei Abschnit­ten um die Kunst­stof­fe Poly­sty­rol, Poly­bu­ta­di­en und Poly­me­thyl­me­thacry­lat han­delt. „In der Natur kom­men der­ar­ti­ge Struk­tu­ren nicht vor“, betont Prof. Dr. Axel Mül­ler. „Denn ihre Bestand­tei­le ver­tra­gen sich nor­ma­ler­wei­se nicht gut mit­ein­an­der und wol­len von sich aus kei­ne che­mi­schen Bin­dun­gen ein­ge­hen. In unse­ren Labo­ra­to­ri­en aber haben wir ihnen sozu­sa­gen Hand­schel­len ange­legt und sie an ihren Enden so ver­knüpft, dass sie eine lan­ge feste Ket­te bilden.“

Der näch­ste Schritt besteht dar­in, dass die Tri­block­t­er­po­ly­me­re einem Lösungs­mit­tel aus­ge­setzt wer­den, in denen nur ihr Mit­tel­ab­schnitt B nicht lös­lich ist, wohl aber ihre Außen­ab­schnit­te A und C. In einem sol­chen Lösungs­mit­tel bil­den sich grö­ße­re Mole­kül­grup­pen her­aus; und zwar in der Wei­se, dass sich die B‑Abschnitte kugel­för­mig anein­an­der lagern, wäh­rend die lös­li­chen Enden A und C nach außen frei beweg­lich sind. Es ent­ste­hen stern­för­mi­ge Aggre­ga­te, Mizel­len genannt, die deut­lich grö­ßer sind als 10 Nanometer.

Die­se Stern­struk­tu­ren las­sen sich nun ihrer­seits in grö­ße­re, kom­ple­xe Ein­hei­ten über­füh­ren. Dazu wird ein Lösungs­mit­tel benö­tigt, in wel­chem auch die A‑Abschnitte nicht lös­lich sind, so dass die­se sich mit ihres­glei­chen zusam­men­la­gern. Die sym­me­tri­schen Struk­tu­ren, die dabei her­aus­kom­men, bewe­gen sich nun­mehr in einer Grö­ßen­ord­nung zwi­schen 50 und 100 Nano­me­tern. Unter dem Mikro­skop erin­nern sie an ver­trau­te All­tags­ob­jek­te. „Klee­blatt“, „Fuß­ball“, „Ham­bur­ger“ oder „Dou­ble-Bur­ger“ haben die Bay­reu­ther Poly­me­r­che­mi­ker sie genannt. Es hängt kei­nes­wegs vom Zufall ab, wel­che die­ser Struk­tu­ren sich her­aus­bil­den. Denn wie die Expe­ri­men­te in den Bay­reu­ther Labo­ra­to­ri­en gezeigt haben, ist es mit rela­tiv ein­fa­chen Mit­teln mög­lich, den Ent­ste­hungs­pro­zess aller die­ser Struk­tu­ren von Anfang an ziel­ge­nau zu steu­ern. Ent­schei­dend sind dabei zwei Fak­to­ren: die Län­ge der Abschnit­te A, B und C in den Tri­block­t­er­po­ly­me­ren, die als Aus­gangs­ma­te­ri­al gewählt wer­den, und die Qua­li­tät des Lösungs­mit­tels. Unter geeig­ne­ten Labor­be­din­gun­gen kann der Pro­zess bis zu ket­ten­för­mi­gen Struk­tu­ren wei­ter­ge­trie­ben wer­den, die in den Mikro­me­ter­be­reich vorstoßen.

Der aktu­el­le For­schungs­bei­trag in „Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons“ prä­sen­tiert damit einen prä­zi­se gesteu­er­ten Pro­zess der hier­ar­chi­schen Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, der dadurch cha­rak­te­ri­siert ist, dass sich poly­me­re Bau­stei­ne zu immer grö­ße­ren Ein­hei­ten zusam­men­schlie­ßen. Bei allen Struk­tu­ren, die im Zuge die­ser Pro­zes­se ent­ste­hen, han­delt es sich – che­misch gespro­chen – um Mul­ti­kom­part­ment-Mizel­len. Sie bestehen aus klar unter­scheid­ba­ren Abschnit­ten („Kom­par­ti­men­ten“), deren Anzahl und Anord­nung sich mit hoher Genau­ig­keit ansteu­ern lässt.

„Es ist klar, dass unse­re bis­he­ri­gen Erkennt­nis­se noch im Bereich der Grund­la­gen­for­schung ange­sie­delt sind“, erklärt Prof. Mül­ler. „Aber eben­so deut­lich zeich­nen sich bereits jetzt hoch­in­ter­es­san­te Anwen­dungs­po­ten­zia­le ab. In der Bio­me­di­zin kön­nen defi­nier­te Kom­par­ti­men­te der Mul­ti­kom­part­ment-Mizel­len genutzt wer­den, um Wirk­stof­fe ein­zu­la­gern und in die Zel­len zu trans­por­tie­ren; ande­re Kom­par­ti­men­te kön­nen magne­ti­sche Par­ti­kel oder Mar­ker ent­hal­ten, die zur Steue­rung oder räum­li­chen Ver­fol­gung der Mizel­len die­nen kön­nen. Der­zeit sind wir selbst gespannt, zu wel­chen Inno­va­tio­nen unse­re bis­he­ri­gen Erkennt­nis­se noch füh­ren werden.“

Ver­öf­fent­li­chung:

André H. Grö­schel, Felix H. Scha­cher, Hol­ger Schmalz, Oleg V. Boris­ov, Eka­te­ri­na B. Zhuli­na, Andre­as Walt­her, Axel H.E. Müller,
Pre­cise hier­ar­chi­cal self-assem­bly of mul­ti­com­part­ment micelles,
in: Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons, Volu­me 3, Artic­le num­ber 710, Published 28 Febru­ary 2012.
DOI: 10.1038/ncomms1707

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Prof. Dr. Axel Müller
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