Roh­stoff­han­del und Krieg im Ost­kon­go: Für eine Kon­flikt­for­schung ohne ‚Moral­lob­by­is­mus‘

In den letz­ten Jah­ren hat es im Ost­kon­go wie­der­holt bewaff­ne­te Kon­flik­te und gewalt­sa­me Über­grif­fe auf die Zivil­be­völ­ke­rung gege­ben. Ist der Han­del mit den wert­vol­len Boden­schät­zen der Regi­on dar­an schuld? Die­ser ver­brei­te­ten Auf­fas­sung wider­spricht Dr. Mar­tin Doe­ven­speck, Mit­ar­bei­ter am Geo­gra­phi­schen Insti­tut der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, in der aktu­el­len Aus­ga­be der „Geo­gra­phi­schen Rund­schau“. In den letz­ten Jah­ren hat er zahl­rei­che For­schungs­rei­sen in die ost­afri­ka­ni­schen Grenz­re­gio­nen ent­lang der Gro­ßen Seen unter­nom­men. Dabei hat er die von bewaff­ne­ten Kon­flik­ten erschüt­ter­ten Regio­nen im Ost­kon­go aus eige­ner Anschau­ung kennengelernt.
Mine­ra­li­en­han­del: Ursa­che gewalt­sa­mer Konflikte?

In der Kon­flikt­for­schung wird häu­fig die The­se ver­tre­ten, der Han­del mit sel­te­nen Mine­ra­li­en – ins­be­son­de­re mit Col­tan, Kas­si­terit und Wolf­ramit – sei die zen­tra­le Ursa­che gewalt­sa­mer Kon­flik­te im Osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go. Bewaff­ne­te Grup­pen wür­den hier dar­auf hin­ar­bei­ten, der sel­te­nen Boden­schät­ze hab­haft zu wer­den und mit deren Export Waf­fen und ande­res Kriegs­ge­rät zu finan­zie­ren. „Die­se bis heu­te weit­ver­brei­te­te Ein­schät­zung stützt sich jedoch auf Berich­te, die zehn Jah­re alt oder älter sind,“ kri­ti­siert Doe­ven­speck. Er ver­weist auf die „Group of Experts“ des UN-Sicher­heits­rats, der sich in jüng­ster Zeit mit den aktu­el­len Geld­quel­len bewaff­ne­ter Mili­zen in Ost­afri­ka befasst hat, sowie auf neue­re wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en: „Die­se aktu­el­len Ana­ly­sen brin­gen klar zum Aus­druck, dass die aus Roh­stoff­han­del erziel­ten Pro­fi­te kei­nes­wegs immer zur Finan­zie­rung des Krie­ges die­nen, son­dern in erster Linie das Über­le­ben gro­ßer Tei­le der länd­li­chen Bevöl­ke­rung im Ost­kon­go sichern.“

Berg­bau im Ost­kon­go: Mili­zen als Sicherheitsgaranten

Doe­ven­speck beklagt, dass Wis­sen­schaft und Poli­tik sich mit den loka­len Ver­hält­nis­sen im Ost­kon­go zu wenig befas­sen und des­halb ver­ken­nen, mit wel­chen poli­ti­schen Zie­len bewaff­ne­te Grup­pen dort agie­ren. Weil staat­li­che Struk­tu­ren feh­len, erfül­len pri­va­te Mili­zen und Tei­le der staat­li­chen Armee oft die Funk­ti­on pri­va­ter Sicher­heits­dien­ste. Sie sind nicht direkt am Abbau von Mine­ra­li­en betei­ligt, doch sie erhe­ben Steu­ern auf die Zufahrts- und Abfahrts­we­ge in der Nähe der Minen. Mit die­sen Ein­nah­men schaf­fen sie inner­halb der von ihnen kon­trol­lier­ten Gebie­te Sicher­heit und rela­tiv fried­li­che Ver­hält­nis­se – zum Vor­teil der Bevöl­ke­rung, die ihren Lebens­un­ter­halt im Berg­bau ver­dient. Allein in der Regi­on Nordki­vu sind Schät­zun­gen zufol­ge 200.000 Arbei­ter in den Minen tätig; von deren Ein­kom­men sind rund 1 Mil­li­on Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge abhängig.

Wider­sprü­che: Inter­na­tio­na­le Kam­pa­gnen, regio­na­le Interessen

Gleich­wohl ist die Auf­fas­sung inter­na­tio­nal ver­brei­tet, das Lei­den der Zivil­be­völ­ke­rung im Ost­kon­go lie­ße sich auf die Gier der Mili­zen nach pro­fi­ta­blen Mine­ra­li­en zurück­füh­ren. Der „Dodd-Frank Act“, ein 2010 im Rah­men der Finanz­markt­re­form vom US-ame­ri­ka­ni­schen Senat ver­ab­schie­de­tes Gesetz, ver­langt im sog. „Con­flict Mine­ral Act“ von allen in den USA täti­gen Unter­neh­men den Nach­weis, dass die in ihren Pro­duk­ten ver­wen­de­ten Roh­stof­fe nicht zur Finan­zie­rung einer bewaff­ne­ten Grup­pe im Ost­kon­go bei­getra­gen haben. Inter­na­tio­na­le Initia­ti­ven wie „Glo­bal Wit­ness“ und „The Enough Pro­ject“ haben Kam­pa­gnen mit dem Ziel gestar­tet, den Han­del mit sel­te­nen Mine­ra­li­en aus dem Ost­kon­go zurück­zu­drän­gen. „In den betrof­fe­nen Berg­bau­re­gio­nen wer­den alle die­se Akti­vi­tä­ten sehr kri­tisch gese­hen und gera­de­zu als kon­tra­pro­duk­tiv ein­ge­schätzt“, berich­tet Doe­ven­speck. „Die Befürch­tung ist weit­ver­brei­tet, dass vie­le Men­schen ihre Arbeits­plät­ze ver­lie­ren und sich in der Fol­ge bewaff­ne­ten Mili­zen anschließen.“

Kon­flikt­for­schung: Poli­ti­sche Ana­ly­sen statt ‚Moral­lob­by­is­mus‘

Vor die­sem Hin­ter­grund plä­diert Doe­ven­speck gegen einen „Inter­na­tio­na­len Moral­lob­by­is­mus“ und für eine „Poli­ti­sche Geo­gra­phie“, die sich deut­lich stär­ker den Gege­ben­hei­ten vor Ort zuwen­det. Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en soll­ten bewaff­ne­te Kon­flik­te im regio­na­len Kon­text betrach­ten und auf ihre poli­ti­schen Ursa­chen hin unter­su­chen, statt sie ober­fläch­lich mit einer ‚Gier nach Res­sour­cen’ erklä­ren zu wol­len. Dann kön­ne die For­schung indi­rekt dazu bei­tra­gen, die Lebens­si­tua­ti­on der Men­schen im Ost­kon­go zu verbessern.

„Aktu­el­le Bestre­bun­gen, den Han­del mit sel­te­nen Mine­ra­li­en zu zer­ti­fi­zie­ren, haben durch­aus gehol­fen, den Mine­ra­li­en­han­del auf eine pro­fes­sio­nel­le­re Grund­la­ge zu stel­len und den kon­go­le­si­schen Berg­bau­sek­tor zu for­ma­li­sie­ren,“ erklärt Doe­ven­speck. „Wenn die Zer­ti­fi­zie­rung künf­tig aus­ge­baut wird, müs­sen die wirt­schaft­li­chen und sozia­len Inter­es­sen der Men­schen in Afri­ka ein­deu­tig Vor­rang haben, nicht aber die Inter­es­sen west­li­cher Indu­strie­län­der an einer kon­flikt­frei­en Mobilkommunikation.“

Ver­öf­fent­li­chung:

Mar­tin Doevenspeck,
„Kon­flikt­ma­te­ria­li­en“: Roh­stoff­han­del und bewaff­ne­te Kon­flik­te im Ostkongo,
in: Geo­gra­phi­sche Rund­schau 2, 2012, S. 12–18

Kon­takt­adres­se für wei­te­re Informationen:

Dr. Mar­tin Doevenspeck
Geo­gra­phi­sches Institut
Uni­ver­si­tät Bayreuth
D‑95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55–2281
E‑Mail: doevenspeck@​uni-​bayreuth.​de