Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 45

Kür­bis­se der Rache

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Der Gar­ten­teil am Acker hat­te eine beson­de­re Zau­ber­kraft. Jeden Tag zog es Jank und Mill dort­hin. Ganz gleich, ob die Mut­ter ihre Mit­hil­fe ein­for­der­te oder nicht, sie waren da. Mit Fleiß oder Gehor­sam hat­te das nichts zu tun. Das war ihr Acker.

Nach der Flucht aus ihrer Sedan­stra­ße, dem zer­mür­ben­den Vor­wärts­rück­wärts in unge­heiz­ten und gepferch­ten Zügen, dem eisi­gen Trans­port auf offe­nem LKW, den Zwangs­ein­quar­tie­run­gen und Rus­sen­äng­sten war der Acker eine feste Insel. Die bot ihnen nicht nur die Grund­la­ge zum Wei­ter­le­ben. Sie war auch eine Unter­kunft, zwar ohne Dach, doch waren sie hier nicht mehr auf die Almo­sen oder die Gna­de ande­rer Men­schen angewiesen.

Auf dem mäch­ti­gen Kom­post­hau­fen rank­te das Gewirr der Kür­bis­pflan­zen mit fet­ten, gel­ben Blü­ten. Jank und Mill bestaun­ten die Kür­bis­bäu­che, die von Tag zu Tag zuse­hens pral­ler wurden.

„Für den da braucht man ein ganzn Hand­wagn, wir­ste sehn.“

Jank deu­te­te auf den Kai­ser, den größ­ten und schwer­sten Brocken.

„Einer allein kann den nich hebm.“

Mill ver­such­te ver­geb­lich, ihn zu umfas­sen, gab aber respekt­voll auf.

Auch die Flücht­lin­ge aus Beu­then vom Nach­bar­feld hat­ten sich ein Kür­bis­beet ange­legt, aber ihre Zucht­er­geb­nis­se waren höch­stens halb so groß. Die vier­zehn und sieb­zehn Jah­re alten Söh­ne der Beu­the­ner benah­men sich muf­fig, abwei­send und manch­mal sogar pam­pig, obwohl sie ja jetzt durch die gemein­sa­me Feld­gren­ze Nach­barn gewor­den waren.

„Das sind rich­ti­ge Peffs, die könn nich mal grüßn“, empör­te sich Hedwig.

Peff – das war für sie etwas Nie­der­träch­ti­ges – jemand, der nicht wuss­te, was sich gehört. Einer, für den Höf­lich­keit oder Hilfs­be­reit­schaft Fremd­wor­te waren. Sie ver­mu­te­te Neid als Ursa­che für das Beneh­men. Die Beu­the­ner hat­ten von den Rus­sen ein wesent­lich schma­le­res Acker­stück zuge­teilt bekom­men. Sie waren ja auch bloß zu dritt.

Jank ent­deck­te eines Tages, dass die Stie­le ihrer zwei Gigan­ten, vom Kai­ser und vom König, durch­ge­schnit­ten wor­den waren.

„Das kön­nen nur die Peffs gewe­sen sein.“

In die­sem Ver­dacht, ja in die­ser Gewiss­heit waren sich bei­de einig. Die Peffs, die­se drecki­gen Dreck­säue muss­ten es auch gewe­sen sein, die damals ihre Sirup­ko­che­rei an die Rus­sen ver­ra­ten hat­ten. Mill kam sofort eine hand­fe­ste Racheidee. Man konn­te ihm dabei anse­hen, dass er sich von die­sem Gedan­ken durch nichts und nie­man­den abbrin­gen las­sen würde.

„Wir schneidn den ihrn größtn Kür­bis auf, dann scheißn wir rein und dann machn wir ihn wie­der zu.“

Jank nick­te und konn­te dazu noch einen Ver­bes­se­rungs­vor­schlag machen.

„Wenn wir den Kür­bis an der dickn Bauch­sei­te auf­schneidn, dann mer­kn se was. Wir schneidn ein Loch rund um den Stängl. Dann ziehn wir ihn mit­samt den Ker­nen raus. In das Loch scheißn wir dann rein und steckn den Stängl mit dem Kern­ge­häu­se wie­der zurück ins Loch.“

Noch nicht ein­mal ihren älte­ren Brü­dern erzähl­ten sie von die­sem Rache­plan. So konn­ten sie ihre feind­schaft­li­che Erre­gung noch wei­ter bis zu einer fast fieb­ri­gen Vor­freu­de auf die­sen Ver­gel­tungs­schlag stei­gern. Ihre Mut­ter hät­te ihnen mit Sicher­heit nicht nur abge­ra­ten, son­dern einen ent­schie­de­nen Ver­bots­rie­gel vor­ge­scho­ben. Sie wäre zu den Peffs gegan­gen und hät­te dann ver­sucht, die Ange­le­gen­heit in einem Gespräch zu klä­ren. Die Peffs hät­ten natür­lich alles abge­strit­ten und sogar noch die Belei­dig­ten gespielt. Sie wür­de sich dann für die fal­sche Ver­däch­ti­gung bestimmt noch ent­schul­di­gen. Das durf­te nicht passieren.

***

Noch am glei­chen Tag führ­ten sie ihre Tat aus. Das Gelän­de war wegen der wei­ten Acker­flä­chen gut über­schau­bar. Ein spit­zes Mes­ser zum Aus­ste­chen der vie­len Disteln lag immer griff­be­reit an der Schöpf­stel­le beim Bach. Jank stieß es tief in den feind­li­chen Kür­bis und zog um den Stän­gel einen kreis­run­den Schnitt. Sein Bru­der beob­ach­te­te, an eine klei­ne Erle gelehnt, die wei­ten Acker­flä­chen. Nun zog Jank den her­aus­ge­schnit­te­nen Teil behut­sam aus dem Inne­ren. Er staun­te über die Mas­se der dar­an hän­gen­den Ker­ne. Jetzt dreh­te er den Kür­bis noch etwas, damit das Loch oben war.

„Los, komm, du zuerst!“

Mill zog sich jetzt schnell die Hose her­un­ter. Er stand erst noch einen Moment gebückt da. Sei­ne erbärm­li­chen, gestopf­ten und geflick­ten Unter­ho­sen hin­gen in den Kniekehlen.

„Aber du musst kuckn!“
„Nich drauf­setzn, sonst geht er kaputt.“

Breit­bei­nig duck­te er sich hin­über bis zur Schöpf­stel­le am Gar­ten­bach und wusch sich die Kacke­re­ste ab.

Jank lie­fer­te sei­nen Rache­an­teil, führ­te den Stän­gel mit den Ker­nen vor­sich­tig wie­der in den Kür­bis­bauch ein und ach­te­te sogar dar­auf, dass die Wachs­tums­ril­len an der Kür­bisscha­le wie­der genau zuein­an­der pass­ten. Die kreis­run­de Schnitt­stel­le ver­schmier­te er noch mit etwas Acker­er­de und dreh­te den feind­li­chen Kür­bis wie­der in sei­ne ursprüng­li­che Lage zurück.

***

Jeden Tag lach­ten die zwei sich fast bis zum Ersticken, wenn sie sich aus­mal­ten, wie ihre Tod­fein­de dann beim Essen des süß­sauren Kom­potts alles aus­spucken müss­ten und dabei „Das schmeckt ja nach Schei­ße!“ schrei­en würden.

Aller­dings war­te­ten sie ver­geb­lich auf irgend­wel­che Reak­tio­nen der Peffs. Mit dem Erfin­den immer kras­se­rer Kacke­ge­schich­ten genos­sen sie noch lan­ge ihren Triumph.