Sonn­tags­ge­dan­ken: Colom­bin und die Schnecke

Pfarrer Dr. Christian Fuchs

Pfar­rer Dr. Chri­sti­an Fuchs

Peter Bich­sel erzählt uns fol­gen­de Geschichte:
Am Königs­hof hat­te alles sei­ne Ord­nung: Der König regier­te, die Rit­ter kämpf­ten, die Hof­da­men tanz­ten, die Pfar­rer hiel­ten Got­tes­dienst, die Pagen bedien­ten die Herr­schaf­ten. Nur Colom­bin war nichts Beson­de­res. Wenn jemand ihn auf­for­der­te: „Kämpf doch mit mir“, ant­wor­te­te er: „Nein, ich bin schwä­cher als Du!“ Wenn jemand ihn auf die Pro­be stell­te und frag­te: „Wie viel ergibt zwei­mal sie­ben?“, erwi­der­te er: „Ich bin doch düm­mer als Du!“ Wenn einer ihn anspitz­te: „Traust Du Dich, über die­sen Bach zu sprin­gen?“, hieß es nur: „Nein, ich bin nicht so mutig wie Du!“ Als der König ihn schließ­lich halb besorgt, halb unwil­lig frag­te: „Colom­bin, was soll aus Dir bloß wer­den?“, bekam er die Ant­wort: „Ich will nichts wer­den, ich bin doch schon wer, ich bin Colombin!“

Natür­lich kann man zu Recht eini­ges an Colom­bin kri­ti­sie­ren: Ist er nicht doch zu gleich­gül­tig, zu trä­ge, zu selbst­zu­frie­den? Ver­geu­det er nicht sei­ne Zeit, sei­ne Bega­bun­gen? Und doch beein­druckt er mich mit sei­ner Ruhe, sei­nem Gleich­mut. Viel­leicht könn­ten wir Chri­sten uns in die­sem Mann wie­der fin­den. Wer auf Chri­stus ver­traut, muss nicht mit jedem kon­kur­rie­ren, muss nicht jeden benei­den, muss sich kei­ne Min­der­wer­tig­keits­ge­füh­le ein­re­den las­sen, wenn er nicht so geschickt, so klug, so jung, so reich und bewun­dert ist wie ande­re, denn wir dür­fen gewiss sein, dass Gott uns unbe­dingt liebt, auch wenn wir gar nicht lie­bens­wert sind, auch wenn ande­re uns links lie­gen las­sen oder gar uns abservieren.
Natür­lich muss auch der Christ zur Schu­le gehen, auf die Arbeit, muss sich mit uner­freu­li­chen Zeit­ge­nos­sen her­um­schla­gen, erlei­det Krank­hei­ten und Schick­sals­schlä­ge, aber das soll mich nicht beherr­schen; und wenn mir etwas gelingt, soll ich nicht über­mü­tig wer­den, denn letzt­lich hat es Gott gelin­gen las­sen. Mit allem Ernst, aber in aller Frei­heit kann und soll der Christ den Wil­len Got­tes zu tun ver­su­chen, so wie er ihn eben ver­steht auch auf die Gefahr hin, sich zu täu­schen. Wie ein Christ zu Gott beten kann, das hat Rudolf Otto Wie­mer humor­voll und doch hin­ter­sin­nig im „Gebet einer Schnecke“ so zusammengefasst:

Du weißt, HERR, ich bin nicht eine der schnell­sten. Ich tra­ge mein schwe­res Haus, habe nur Stum­mel­fü­ße, muss lan­ge nach­den­ken über den Weg. Die Augen sehen eben nur bis zum näch­sten Gras­halm. Viel­leicht bin ich manch­mal an Dir vor­über gekro­chen und habe Dich nicht erkannt. Ver­gib, HERR, der Du zählst die Schleim­spu­ren im Schot­ter, und lass, wenn auch spät, die lang­sa­men Lasten­trä­ger ankom­men bei Dir.“

Pfar­rer Dr. Chri­sti­an Fuchs, www​.neu​stadt​-aisch​-evan​ge​lisch​.de