Neue indu­strie­re­le­van­te Erkennt­nis­se der Bor-Forschung

Einem For­schungs­team an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist es gelun­gen, Alpha-Bor ein­deu­tig als ther­mo­dy­na­misch sta­bi­le Pha­se von Bor zu iden­ti­fi­zie­ren. Die jetzt in „Sci­en­ti­fic Reports“ ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­er­geb­nis­se bil­den zudem eine Grund­la­ge, um Alpha-Bor-Ein­kri­stal­le im Indu­strie­maß­stab mit Hoch­druck­tech­no­lo­gien her­zu­stel­len. Damit eröff­nen sich neue Per­spek­ti­ven für indu­stri­el­le Anwen­dun­gen, ins­be­son­de­re für die Halb­lei­ter-Indu­strie und die Gewin­nung von Solarstrom.

Das 1808 ent­deck­te Bor ist eines der rät­sel­haf­te­sten che­mi­schen Ele­men­te. Wegen sei­ner äußerst hohen Reak­ti­vi­tät kommt es in der Natur nicht in Rein­form vor. Unter hohen Drücken und Tem­pe­ra­tu­ren las­sen sich rei­ne Bor­kri­stal­le künst­lich her­stel­len. Dabei ent­ste­hen, abhän­gig von der Höhe der Drücke und Tem­pe­ra­tu­ren, drei ver­schie­de­ne Arten von Bor­kri­stal­len, die in der For­schung als „Pha­sen“ bezeich­net wer­den. Die­se unter­schei­den sich durch ihre unter­schied­lich kom­ple­xen Struk­tu­ren und wer­den Alpha‑, Beta- oder Gam­ma-Bor genannt.

Lan­ge Zeit war die Wis­sen­schaft uneins über eine für die Grund­la­gen­for­schung und eben­so für tech­no­lo­gi­sche Anwen­dun­gen hoch­re­le­van­te Fra­ge: Wel­ches ist die sta­bil­ste Bor-Pha­se? Ein Team um Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia, Hei­sen­berg-Pro­fes­so­rin für Mate­ri­al­phy­sik und Tech­no­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky am Baye­ri­schen Geo­in­sti­tut (BGI) hat die­sen Streit jetzt ein­deu­tig zugun­sten von Alpha-Bor ent­schei­den kön­nen. Wäh­rend gemein­sa­mer For­schungs­ar­bei­ten in Bay­reuth, in die auch das Geo­For­schungs­Zen­trum Pots­dam ein­be­zo­gen war, stell­te sich über­dies her­aus: Moder­ne Hoch­druck-Tech­no­lo­gien kön­nen vor­aus­sicht­lich so ange­passt wer­den, dass es mög­lich ist, Alpha-Bor im Indu­strie­maß­stab zu pro­du­zie­ren. Über die­se Erkennt­nis­se berich­ten die Wis­sen­schaft­ler aus Bay­reuth und Pots­dam in der neue­sten Aus­ga­be von „Sci­en­ti­fic Reports“.

In den Hoch­druck­la­bo­ra­to­ri­en des BGI – einem For­schungs­zen­trum der Uni­ver­si­tät Bay­reuth – wur­de eine Serie unter­schied­li­cher Bor­kri­stal­le syn­the­ti­siert, bei Tem­pe­ra­tu­ren bis zu 2300 Kel­vin (ca. 2030 Grad Cel­si­us) und Drücken bis zu 15 Giga­pas­cal. Ein Ver­gleich zeigt die Außer­ge­wöhn­lich­keit die­ser künst­lich erzeug­ten Bedin­gun­gen: Wür­de man den Pari­ser Eif­fel­turm auf einer Fin­ger­spit­ze balan­cie­ren, ent­sprä­che das einem Druck von 10 Giga­pas­cal. Bor­kri­stal­le der Alpha-Pha­se ent­stan­den im BGI bei Drücken zwi­schen 4 und 11 Giga­pas­cal, die mit Tem­pe­ra­tu­ren zwi­schen 1400 und 1900 Kel­vin ein­her­gin­gen. Die expe­ri­men­tell gewon­ne­nen Daten führ­ten zu dem Ergeb­nis, dass die­se Alpha-Bor­kri­stal­le – und nicht, wie viel­fach ver­mu­tet, Beta-Bor­kri­stal­le – die sta­bil­ste Bor-Pha­se darstellen.

Zugleich gelang es den For­schern, die im Labor syn­the­ti­sier­ten Alpha-Bor­kri­stal­le genau­er zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Eine Rei­he von Eigen­schaf­ten, die für tech­no­lo­gi­sche Anwen­dun­gen beson­ders rele­vant sind, wur­den durch hoch­prä­zi­se Mes­sun­gen ent­we­der bestä­tigt oder erst­mals zuver­läs­sig nach­ge­wie­sen: Alpha-Bor ist ein Halb­lei­ter mit brei­ter direk­ter Band­lücke, zeich­net sich durch einen außer­or­dent­li­chen Här­te­grad aus, ist hit­ze­be­stän­dig und ver­gleichs­wei­se leicht.

Von beson­de­rem Inter­es­se für die For­schung und für indu­stri­el­le Anwen­dun­gen sind Bor-Ein­kri­stal­le. Ein­kri­stal­le sind Fest­kör­per mit einer durch­gän­gi­gen Kri­stall­struk­tur, die von inne­ren Bruch­stel­len frei ist und daher kei­ne soge­nann­ten Korn­gren­zen auf­weist. Eine der­ar­ti­ge feh­ler­freie Struk­tur kann einem Ein­kri­stall ein­zig­ar­ti­ge mecha­ni­sche, opti­sche und elek­tri­sche Eigen­schaf­ten ver­lei­hen. Die­se Eigen­schaf­ten machen Ein­kri­stal­le zu wert­vol­len Bestand­tei­len von Juwe­len. Vor allem aber kön­nen sie für tech­no­lo­gi­sche Anwen­dun­gen, ins­be­son­de­re auf den Gebie­ten der Optik und der Elek­tro­nik, indu­stri­ell genutzt wer­den. Ver­tief­te For­schungs­ar­bei­ten zu den Anwen­dungs­po­ten­zia­len von Alpha-Bor wur­den bis­lang dadurch erschwert, dass es kein zuver­läs­si­ges Ver­fah­ren gab, um Alpha-Bor-Ein­kri­stal­le zu syn­the­ti­sie­ren. Die­ses Hin­der­nis ist jetzt aus­ge­räumt. Der in „Sci­en­ti­fic Reports“ ver­öf­fent­lich­te Bei­trag ent­hält ein Pha­sen­dia­gramm, das Sta­bi­li­täts­fel­der der Bor­pha­sen mit unter­schied­li­chen Eigen­schaf­ten und Struk­tu­ren abbil­det. Damit liegt jetzt eine Anlei­tung für die geziel­te Her­stel­lung von Bor­kri­stal­len vor, ein­schließ­lich von Alpha-Bor-Einkristallen.

Die an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth erziel­ten For­schungs­er­geb­nis­se erschlie­ßen so die Mög­lich­keit, Bor­kri­stal­le für inno­va­ti­ve Anwen­dun­gen in ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gie­zwei­gen nut­zen zu kön­nen. Ins­be­son­de­re für die Halb­lei­ter-Indu­strie ist das vor­aus­sicht­lich im Indu­strie­maß­stab pro­du­zier­ba­re Alpha-Bor ein hoch­at­trak­ti­ver Werk­stoff. Zudem eig­net es sich mög­li­cher­wei­se für den Bau von Solar­zel­len, die mit hoher Effi­zi­enz das Son­nen­licht in elek­tri­sche Ener­gie umwandeln.

Ver­öf­fent­li­chung:

Gleb Parakhons­kiy, Nata­lia Dubro­vins­ka­ia, Ele­na Bykova,
Richard Wirth, Leo­nid Dubrovinsky,
Expe­ri­men­tal pres­su­re-tem­pe­ra­tu­re pha­se dia­gram of boron:
resol­ving the long-stan­ding enigma,
in: Sci­en­ti­fic Reports (2011), 1 : 96,
DOI-Book­mark: 10.1038/srep00096
Ver­öf­fent­licht am 19. Sep­tem­ber 2011, siehe:
http://​www​.natu​re​.com/​s​r​e​p​/​2​0​1​1​/​1​1​0​9​1​9​/​s​r​e​p​0​0​0​9​6​/​f​u​l​l​/​s​r​e​p​0​0​0​9​6​.​h​tml