Prof. Dr. Rüdi­ger See­se­mann ist neu­er Hei­sen­berg-Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bayreuth

Islam­wis­sen­schaft­li­che For­schung in und über Afrika

„Sät­ze, die mit den Wor­ten ‚Der Islam ist …’ oder ‚Der Islam will …’ begin­nen, sind von vorn­her­ein falsch“, erklärt Prof. Dr. Rüdiger
See­se­mann, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth vor kur­zem eine Hei­sen­berg-Pro­fes­sur für Islam­wis­sen­schaft über­nom­men hat. In For­schung und Leh­re will er die Viel­falt reli­giö­ser und kul­tu­rel­ler Lebens­for­men sicht­bar machen, die vom Islam geprägt sind. Ein Schwer­punkt liegt dabei auf der Geschich­te und Gegen­wart des Islams in Afri­ka. „Mich inter­es­siert, wie die Men­schen in ver­schie­de­nen afri­ka­ni­schen Kul­tur­krei­sen den Islam inter­pre­tie­ren und in ihre kon­kre­te Lebens­wirk­lich­keit über­set­zen. Nur so las­sen sich wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se über den Islam als Reli­gi­on, als Rechts­leh­re, als indi­vi­du­el­le Lebens­form und als gesell­schaft­lich ein­fluss­rei­che Strö­mung gewinnen.“

Prof. Dr. Rüdi­ger See­se­mann war bereits von 1993 bis 2004 an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth tätig, u.a. als Post­dok­to­rand im Gra­dier­ten­kol­leg „Inter­kul­tu­rel­le Bezie­hun­gen in Afri­ka“, als Wis­sen­schaft­li­cher Mit-arbei­ter in den Son­der­for­schungs­be­rei­chen „Iden­ti­tät in Afri­ka“ und
„Loka­les Han­deln in Afri­ka im Kon­text glo­ba­ler Ein­flüs­se“ sowie als Lehr­be­auf­trag­ter am Lehr­stuhl für Islam­wis­sen­schaft. Mit einem
Sti­pen­di­um der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft habi­li­tier­te er sich 2004 mit einer Arbeit, die eine im 20. Jahr­hun­dert in West­afri­ka ent­stan­de­ne isla­mi­sche Glau­bens­rich­tung ana­ly­siert. Unter dem Titel „The Divi­ne Flood. Ibra­him Nias­se and the Roots of a Twen­tieth-Cen­tu­ry Sufi Revi­val“ ist die Stu­die jetzt bei Oxford Uni­ver­si­ty Press erschienen.

Von 2005 bis 2011 war See­se­mann in For­schung und Leh­re an der Nor­thwe­stern Uni­ver­si­ty in Evanston/​Illinois tätig. Hier gehör­te er u.a. einem Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat für Afri­ka­stu­di­en an. Nach sei­ner Rück­kehr aus den USA will er den Bay­reu­ther Afri­ka­schwer­punkt mit sei­ner beson­de­ren islam­wis­sen­schaft­li­chen Kom­pe­tenz ver­stär­ken. „Ich freue mich auf die fächer­über­grei­fen­de Zusam­men­ar­beit mit frü­he­ren und mit neu­en Kol­le­gen. Die­se Viel­falt der kultur‑, rechts‑, und geo­wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen, die auf dem Bay­reu­ther Cam­pus an der Erfor­schung des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents mit­wir­ken, ist in Deutsch­land wirk­lich ein­zig­ar­tig“, meint Seesemann.

Afri­ka­for­schung und Islam­wis­sen­schaft bestehen für den neu­en Hei­sen­berg-Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth bei wei­tem nicht allein aus Bücher­stu­di­en. Seit 1988 hat er rund 20, in der Regel mehr­mo­na­ti­ge For­schungs­auf­ent­hal­te in ver­schie­de­nen Län­dern Afri­kas absol­viert. Vor allem im Sene­gal sowie in Mau­re­ta­ni­en, Ägyp­ten, Sudan, Kenia und Tan­sa­nia hat See­se­mann aus eige­ner Anschau­ung erlebt, wie Mus­li­me ihren Glau­ben ver­ste­hen und im All­tag prak­ti­zie­ren. Dabei konn­te er zahl­rei­che per­sön­li­che Kon­tak­te knüp­fen – sowohl zu ver­schie­de­nen reli­giö­sen und sozia­len Orga­ni­sa­tio­nen als auch zu ein­fluss­rei­chen isla­mi­schen Gelehr­ten. An die­sen For­schungs­er­fah­run­gen will See­se­mann auch die Bay­reu­ther Stu­die­ren­den in Vor­le­sun­gen und Semi­na­ren teil­ha­ben lassen.

Prof. Dr. Rüdi­ger See­se­mann, der flie­ßend ara­bisch spricht, ist sich der tra­di­tio­nel­len Nähe sei­nes Faches zu den phi­lo­lo­gi­schen Wis­sen­schaf­ten bewusst, wenn er erklärt: „Die Islam­wis­sen­schaft hat, histo­risch gese­hen, ihren Ursprung nicht in den Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten, son­dern in der Ori­en­ta­li­stik. Als phi­lo­lo­gi­sche Fach­rich­tung, die sich der Erfor­schung der im Nahen Osten und in Vor­der­asi­en ver­brei­te­ten Spra­chen und Lite­ra­tu­ren wid­me­te, hat sich die Ori­en­ta­li­stik im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts an zahl­rei­chen Uni­ver­si­tä­ten in Euro­pa eta­bliert. All­mäh­lich sind dann aus der Ori­en­ta­li­stik ver­schie­de­ne spe­zia­li­sier­te Ein­zel­dis­zi­pli­nen her­vor­ge­gan­gen – wie bei­spiels­wei­se die Semi­ti­stik und Ara­bi­stik, die Tur­ko­lo­gie, die Ira­ni­stik, die Indo­lo­gie oder auch die Islamwissenschaft.“

See­se­mann knüpft an die­se Tra­di­ti­on sei­nes Faches an, etwa wenn es um das sorg­fäl­ti­ge Quel­len­stu­di­um reli­giö­ser Über­lie­fe­run­gen geht. Aber sei­ne For­schungs­in­ter­es­sen rich­ten sich zugleich auf sozia­le und kul­tu­rel­le Phä­no­me­ne, um die Viel­falt isla­mi­scher Glau­bens-rich­tun­gen und die dadurch gepräg­ten Lebens­for­men in Afri­ka zu
erschließen.