Rück­kehr in Reue? War­um Unter­neh­men ihre Pro­duk­ti­on aus dem Aus­land nach Deutsch­land verlagern

Dr. Dominik Schultheiß, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Management, Universität Bayreuth. Foto: Christian Wißler

Dr. Domi­nik Schult­heiß, Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für Inter­na­tio­na­les Manage­ment, Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: Chri­sti­an Wißler

„Reu­mü­ti­ge Rück­kehr“, „Schluss mit bil­lig“ – so und ähn­lich lau­ten die Schlag­zei­len in den Medi­en, wenn deut­sche Unter­neh­men Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten aus dem Aus­land nach Deutsch­land ver­la­gern. Dabei wird unter­stellt, die Unter­neh­men hät­ten die hei­mi­schen Stand­ort­be­din­gun­gen zunächst zu unvor­teil­haft ein­ge­schätzt und wür­den mit einer Rück­ver­la­ge­rung Fehl­ent­schei­dun­gen kor­ri­gie­ren. Trifft das zu? Dr. Domi­nik Schult­heiß, Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, ent­wickelt in sei­ner jetzt als Buch erschie­ne­nen Dis­ser­ta­ti­on ein dif­fe­ren­zier­te­res Bild von den Grün­den, die deut­sche Unter­neh­men zu einer Ände­rung ihrer Stand­ort­po­li­tik bewegen.

Für sei­ne Stu­die, die am Lehr­stuhl für Inter­na­tio­na­les Manage­ment (Prof. Dr. Rein­hard Meckl) ent­stan­den ist, hat Schult­heiß 95 Fäl­le, in denen deut­sche Unter­neh­men aus­län­di­sche Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten nach Deutsch­land ver­la­gert haben, ein­ge­hend unter­sucht. Dabei konn­te er teil­wei­se auf detail­lier­te Aus­künf­te zurück­grei­fen, die er aus eini­gen Fir­men­lei­tun­gen hin­sicht­lich ihrer Stand­ort­po­li­tik erhal­ten hat­te. Die Stu­die zeigt, dass die Unter­neh­men kei­nes­wegs nur Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten, die frü­her ein­mal in Deutsch­land ange­sie­delt und von hier ins Aus­land ver­la­gert wor­den waren, nach Deutsch­land zurück­ho­len. In mehr als der Hälf­te der unter­such­ten Fäl­le ver­la­ger­ten die Unter­neh­men Akti­vi­tä­ten nach Deutsch­land, die im Aus­land ursprüng­lich als zusätz­li­che Kapa­zi­tä­ten – bei­spiels­wei­se mit dem Ziel der Markt­er­schlie­ßung – eta­bliert wor­den waren.

Plä­doy­er für eine dif­fe­ren­zie­ren­de Betrachtung

Aus wel­chen Grün­den wur­den Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten aus dem Aus­land nach Deutsch­land ver­la­gert? Weni­ger als die Hälf­te der Unter­neh­men haben ein­fach nur Kapa­zi­tä­ten im Aus­land abge­baut, um sie für die glei­chen Pro­duk­ti­ons­zwecke in Deutsch­land wie­der zu errich­ten. Die mei­sten Unter­neh­men lie­ßen sich viel­mehr von über­grei­fen­den stra­te­gi­schen Zie­len und einer Neu­aus­rich­tung ihrer Geschäfts­po­li­tik lei­ten. Sie woll­ten bei­spiels­wei­se Über­ka­pa­zi­tä­ten abbau­en, auf einen Rück­gang der inter­na­tio­na­len Nach­fra­ge reagie­ren oder neue Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren mit hoch­qua­li­fi­zier­ten Fach­kräf­ten im Inland erpro­ben. Ins­ge­samt las­sen die Aus­künf­te der befrag­ten Unter­neh­men sehr unter­schied­li­che Moti­ve für Ände­run­gen ihrer Stand­ort­po­li­tik erken­nen. Die­se wer­den von Schult­heiß drei Kate­go­rien zugeordnet:

• Erstens: Wesent­li­che Rah­men­be­din­gun­gen haben sich unvor­her­seh­bar geän­dert, etwa die Nach­fra­ge auf aus­län­di­schen Märk­ten, die Prei­se für schnel­le und zuver­läs­si­ge Trans­por­te, die Pro­duk­ti­ons­ko­sten oder die Qua­li­fi­ka­tio­nen der im In- oder Aus­land ver­füg­ba­ren Arbeits­kräf­te. Infol­ge­des­sen scheint es dem Unter­neh­men nicht län­ger vor­teil­haft, die aus­län­di­schen Akti­vi­tä­ten unver­än­dert fortzuführen.

• Zwei­tens: Das Unter­neh­men hat die Rah­men­be­din­gun­gen falsch ein­ge­schätzt und erkennt die­sen Feh­ler erst, nach­dem die Pro­duk­ti­on im Aus­land ange­lau­fen ist. Die Ver­la­ge­rung nach Deutsch­land dient dazu, ein adäqua­tes Umfeld für die Pro­duk­ti­on herzustellen.

• Drit­tens: Die Ent­schei­dung, im Aus­land zu pro­du­zie­ren, beruh­te auf einer in sich unstim­mi­gen Stra­te­gie­pla­nung. Bei­spiels­wei­se wur­den die Kosten unter­schätzt, die durch den Betrieb par­al­le­ler Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten im In- und Aus­land ent­ste­hen. Die Ver­la­ge­rung nach Deutsch­land ist Aus­druck einer kor­ri­gier­ten, von Wider­sprü­chen berei­nig­ten Standortpolitik.

Grün­de, die in die bei­den letz­ten Kate­go­rien fal­len, wur­den von den befrag­ten Unter­neh­men dop­pelt so oft genannt wie unvor­her­seh­ba­re Ände­run­gen von Rah­men­be­din­gun­gen im In- oder Ausland.

Ver­la­ge­rung nach Deutsch­land: nicht immer eine „reu­mü­ti­ge Rückkehr“

Wenn Unter­neh­men ihre Kapa­zi­tä­ten aus dem Aus­land nach Deutsch­land holen, han­delt es sich kei­nes­wegs immer um eine „Rück­kehr in Reue“. Schult­heiß warnt daher auch davor, sol­che Ver­la­ge­run­gen als „Ent­war­nung“ für den Pro­duk­ti­ons­stand­ort Deutsch­land miss­zu­ver­ste­hen. So sei­en die hie­si­gen Lohn­stück­ko­sten im inter­na­tio­na­len Ver­gleich wei­ter­hin hoch. Auch dür­fe aus einer Ver­la­ge­rung nach Deutsch­land nicht vor­ei­lig der Schluss gezo­gen wer­den, das Unter­neh­men habe durch sein Aus­lands­en­ga­ge­ment Wert ver­nich­tet. Man­che Fir­men­lei­tun­gen, die sich auf­grund geän­der­ter Rah­men­be­din­gun­gen für den Abbau aus­län­di­scher Kapa­zi­tä­ten ent­schei­den, tun dies in der Über­zeu­gung, die Pro­duk­ti­on im Aus­land habe sich ins­ge­samt gelohnt. Es gibt also, in nicht weni­gen Fäl­len, eine erfolg­rei­che Inter­na­tio­na­li­sie­rung auf Zeit.

Ver­la­ge­rung ins Aus­land: nicht immer eine „Flucht“

Eben­so wäre es falsch, jedes Aus­lands­en­ga­ge­ment deut­scher Unter­neh­men als „Flucht“ vor ungün­stig ein­ge­schätz­ten Stand­ort­be­din­gun­gen in Deutsch­land zu wer­ten. Vie­le Unter­neh­men, die Pro­duk­ti­ons­stand­or­te im Aus­land errich­ten, las­sen sich dabei von der Absicht lei­ten, neue Märk­te zu erschlie­ßen. Sie sind der Auf­fas­sung, dass dies von aus­län­di­schen Stand­or­ten her leich­ter mög­lich ist. „Wenn die­se Fir­men sich dafür ent­schei­den, im Aus­land zu pro­du­zie­ren, geht es ihnen also nicht dar­um, ent­spre­chen­de inlän­di­sche Akti­vi­tä­ten im glei­chen Umfang zurück­zu­fah­ren“, erklärt Schult­heiß und fügt hin­zu: „Man­che deut­sche Unter­neh­men unter­schät­zen aber die Gesamt­ko­sten, die ent­ste­hen, wenn sie ihre Pro­duk­ti­on auf räum­lich weit ent­fern­te Stand­or­te ver­tei­len. Im End­ef­fekt kann es sich durch­aus loh­nen, die Pro­duk­ti­on in Deutsch­land zu bün­deln, selbst wenn der Pro­duk­ti­ons­stand­ort Deutsch­land ver­gleichs­wei­se teu­er ist.“

Es zäh­len nicht nur quan­ti­fi­zier­ba­re Kosten …

Die neue Stu­die hält daher eine zen­tra­le Bot­schaft für alle Unter­neh­men bereit: Bei Bewer­tun­gen in- und aus­län­di­scher Pro­duk­ti­ons­stand­or­te gilt es, die rele­van­ten Fak­to­ren mög­lichst früh­zei­tig zu erken­nen und mit Bezug auf das eige­ne Unter­neh­men rich­tig zu gewich­ten. Dazu zäh­len nicht allein die quan­ti­fi­zier­ba­ren Kosten, etwa für Löh­ne oder Roh­stof­fe, son­dern auch Trans­port­be­din­gun­gen, die Struk­tur von Absatz­märk­ten, fach­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen und das Arbeits­ethos von Mit­ar­bei­tern, die vor­han­de­ne tech­no­lo­gi­sche Infra­struk­tur und nicht zuletzt das kul­tu­rel­le Umfeld.

Ver­öf­fent­li­chung

Domi­nik Schultheiß,
Ver­la­ge­rung und Rück­ver­la­ge­rung aus­län­di­scher Pro­duk­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten nach Deutschland,
Bay­reuth 2011, XXXII und 522 S.
Erhält­lich auch im Web­shop des NMP-Ver­lags (www​.nmp​-ver​lag​.de).