Neu­es aus der Gene­tik: Zell­tei­lungs­pro­zes­se, auf­ein­an­der abge­stimmt durch Ver­wen­dung von Kohäsin

Die Lebens­zy­klen mensch­li­cher Zel­len glie­dern sich in kom­ple­xe bio­che­mi­sche Pro­zes­se. Wie die­se Pro­zes­se auf­ein­an­der abge­stimmt wer­den, ist noch in vie­ler Hin­sicht rät­sel­haft. Ein For­schungs­team an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth hat jetzt mehr Licht in die­ses Dun­kel brin­gen kön­nen und prä­sen­tiert im Wis­sen­schafts­ma­ga­zin „Natu­re Cell Bio­lo­gy“ eine über­ra­schen­de Erkennt­nis. Mensch­li­che Zel­len ver­wen­den den glei­chen Pro­te­in­kom­plex (Kohä­sin) in unter­schied­li­chen Pro­zes­sen der Zell­tei­lung: näm­lich nicht nur im Chro­mo­so­men­zy­klus, son­dern auch – wie erst­mals nach­ge­wie­sen wer­den konn­te – im Zentro­so­men­zy­klus. Die neu­en For­schungs­er­geb­nis­se kön­nen ein bes­se­res Ver­ständ­nis der Tumor­ent­ste­hung fördern.

Wie die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler her­aus­ge­fun­den haben, ist das aus dem Chro­mo­so­men­zy­klus bekann­te Kohä­sin auch im Innern der Zentro­so­men ent­hal­ten. Hier hält es deren Bau­stei­ne, die Zen­trio­len, zusam­men. Das Enzym Sepa­ra­se, das die Chro­mo­so­men wäh­rend der Zell­tei­lung vom Kohä­sin befreit, ent­fernt das Kohä­sin auch von den Zen­trio­len. Der Zentro­so­men­zy­klus ist daher auf den Chro­mo­so­men­zy­klus sinn­voll abgestimmt.

Der Chro­mo­so­men­zy­klus

Die Erb­infor­ma­ti­on des Men­schen ist in Form von DNS auf den Chro­mo­so­men gespei­chert. Bevor die Zel­le sich teilt, damit zwei Toch­ter­zel­len ent­ste­hen, wird die Erb­infor­ma­ti­on ver­dop­pelt. Infol­ge die­ser Ver­dop­pe­lung hat jedes Chro­mo­som zwei glei­che DNS-Fäden. Die­se ver­tei­len sich auf zwei Mole­kül­kom­ple­xe, die in der For­schung als Schwe­ster­chro­ma­ti­den bezeich­net wer­den. Sie lagern sich eng anein­an­der, zusam­men­ge­hal­ten durch Kohä­sin. Hier­bei han­delt es sich um einen Mole­kül­kom­plex, der aus meh­re­ren Pro­te­inen besteht und die bei­den DNS-Fäden der Schwe­ster­chro­ma­ti­den ring­för­mig umschließt.

Wäh­rend der Zell­tei­lung müs­sen die jewei­li­gen Schwe­ster­chro­ma­ti­den auf die bei­den Toch­ter­zel­len auf­ge­teilt wer­den. Hier­zu ist eine Ent­fer­nung des Kohä­sin-Kom­ple­xes not­wen­dig. Die­ser Pro­zess wird durch ein Enzym namens Sepa­ra­se ver­mit­telt. Sobald die Sepa­ra­se akti­viert ist, zer­schnei­det sie die Kohäsinringe.

Der Zentro­so­men­zy­klus

Der Trans­port der Schwe­ster­chro­ma­ti­den wird von zwei Zell­or­ga­nel­len orga­ni­siert, den soge­nann­ten Zentro­so­men. Von ihnen strah­len vie­le win­zi­ge röh­ren­ar­ti­ge Fasern aus, die sich mit­ein­an­der und mit den Chro­mo­so­men ver­bin­den. Dadurch ent­steht eine bipo­la­re Struk­tur, der soge­nann­te Spin­del­ap­pa­rat. Die Zentro­so­men neh­men die bei­den Pole des Spin­del­ap­pa­rats ein, wäh­rend die zu tren­nen­den Chro­mo­so­men in des­sen Mit­te ange­ord­net werden.

Sobald die Kohä­sin­rin­ge zer­schnit­ten sind, kön­nen sich die Schwe­ster­chro­ma­ti­den mit Hil­fe des Spin­del­ap­pa­rats zu ent­ge­gen­ge­setz­ten Polen der Zel­le bewe­gen. Schließ­lich schnürt sich die Zel­le in der Mit­te durch, so dass zwei Toch­ter­zel­len ent­ste­hen. Dabei erhält jede Toch­ter­zel­le unter nor­ma­len Bedin­gun­gen eines der bei­den Zentro­so­men sowie einen Chro­mo­so­men­satz, der zunächst nur aus ein­zel­nen DNS-Fäden besteht. Damit sich bei der näch­sten Zell­tei­lung wie­der eine bipo­la­re Spin­del bil­den kann, muss das Zentro­som – ähn­lich den Chro­mo­so­men – ver­dop­pelt wer­den. Dabei ist es erfor­der­lich, dass der Chro­mo­so­men­zy­klus und der Zentro­so­men­zy­klus sinn­voll auf­ein­an­der abge­stimmt werden.

Die Cho­reo­gra­phie bei­der Zyklen

Wie gelingt es gesun­den Zel­len, die­se Auf­ga­be zu mei­stern? Einer Ant­wort auf die­se Fra­ge sind Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler um Prof. Dr. Olaf Stem­mann (Lehr­stuhl für Gene­tik) jetzt einen wich­ti­gen Schritt näher­ge­kom­men. Sie konn­ten dabei ins­be­son­de­re an zwei For­schungs­er­geb­nis­se ame­ri­ka­ni­scher Kol­le­gen anknüp­fen. Im Innern eines Zentro­soms befin­den sich zwei zylin­der­för­mi­ge Struk­tu­ren, die soge­nann­ten Zen­trio­len; vor der Zell­tei­lung ste­hen sie in engem Kon­takt recht­wink­lig auf­ein­an­der. For­scher an der Uni­ver­si­tät Stan­ford hat­ten zunächst her­aus­ge­fun­den, dass sich das Zentro­som nur ver­dop­peln kann, wenn die­se stren­ge Anord­nung der Zen­trio­len gelockert wird. An die­ser Locke­rung ist, wie die­sel­be Arbeits­grup­pe spä­ter berich­te­te, Sepa­ra­se betei­ligt. Wel­ches Pro­te­in dabei von Sepa­ra­se geschnit­ten wird, blieb jedoch offen.

Das For­scher­team in Bay­reuth, dem auch die Dok­to­ran­din Lau­ra Schöckel ange­hör­te, mach­te nun eine über­ra­schen­de Ent­deckung: Die aus der Chro­mo­so­men­for­schung bekann­ten Kohä­sin­rin­ge hal­ten auch die Zen­trio­len eng zusam­men. Sie stel­len das gesuch­te Ziel­sub­strat der Sepa­ra­se dar. Mensch­li­che Zel­len ver­wen­den also den glei­chen Pro­te­in­kom­plex (Kohä­sin), um einer­seits Schwe­ster­chro­ma­ti­den und ande­rer­seits Zen­trio­len paar­wei­se zusam­men­zu­schlie­ßen. Zudem ver­wen­den sie das glei­che Enzym (Sepa­ra­se), um Kohä­sin von bei­den Struk­tu­ren zu ent­fer­nen. So wer­den zwei unter­schied­li­che Pro­zes­se, die Tren­nung der Schwe­ster­chro­ma­ti­den und die Vor­be­rei­tung der Zentro­so­men­ver­dopp­lung, zeit­lich koor­di­niert. Chro­mo­so­men- und Zentro­so­men­zy­klus wer­den sinn­voll auf­ein­an­der abgestimmt.

Bes­se­res Ver­ständ­nis der Tumor­ent­ste­hung möglich

Vie­les spricht der­zeit dafür, dass Fehl­steue­run­gen im Zentro­so­men­zy­klus die Tumor­bil­dung för­dern kön­nen. „Eine gesun­de Ent­wick­lung von Zel­len ist wesent­lich dar­auf ange­wie­sen, dass die Erb­infor­ma­tio­nen bei der Zell­tei­lung kor­rekt und voll­stän­dig an die bei­den Toch­ter­zel­len wei­ter­ge­ge­ben wer­den“, erläu­tert Lau­ra Schöckel. „US-For­scher vom Dana-Farb­er Can­cer Insti­tu­te in Bos­ton haben kürz­lich nach­ge­wie­sen, dass die­ser Vor­gang erheb­lich gestört wird, wenn durch Fehl­steue­run­gen nicht nur zwei, son­dern drei oder mehr Zentro­so­men auf die bei­den Schwe­ster­chro­ma­ti­den einwirken.“

Je bes­ser die­se Pro­zes­se auf der Ebe­ne der Grund­la­gen­for­schung ver­stan­den wer­den, desto bes­ser sind auch die Aus­sich­ten, der Krebs­ent­ste­hung gezielt ent­ge­gen­wir­ken zukön­nen. Daher för­der­ten die Deut­sche Krebs­hil­fe und die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) ver­schie­de­ne Aspek­te der For­schungs­ar­bei­ten, deren Ergeb­nis­se jetzt in „Natu­re Cell Bio­lo­gy“ ver­öf­fent­licht sind.

Span­nen­de Fra­gen für die wei­te­re Forschung

Die in Bay­reuth erziel­ten For­schungs­er­geb­nis­se wer­fen wei­te­re fas­zi­nie­ren­de Fra­gen auf. „Zahl­rei­che Fak­to­ren, die für das Laden von Kohä­sin auf Chro­mo­so­men benö­tigt wer­den, sind bereits iden­ti­fi­ziert wor­den. Dage­gen wis­sen wir über­haupt nicht, wie Kohä­sin an das Zentro­som gelangt“, erklärt Prof. Dr. Olaf Stem­mann. „Dar­über hin­aus ist unklar, ob es auch am Zentro­som als Ring wirkt. Was hält Kohä­sin mög­li­cher­wei­se umschlun­gen?“ Die­sen Fra­gen will das Bay­reu­ther For­schungs­team in sei­nen wei­te­ren Arbei­ten nachgehen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Lau­ra Schöckel, Mar­tin Möckel, Bernd May­er, Domi­nik Boos and Olaf Stemmann,
Cleava­ge of cohe­sin rings coor­di­na­tes the sepa­ra­ti­on of cen­trio­les and chromatids.
in: Natu­re Cell Bio­lo­gy (2011), Volu­me 13, pp 966–972.
Published online: 10 July 2011
DOI-Book­mark: 10.1038/ncb2280