Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 30

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Chleb und Kernseife

Mit dem Waschen von Uniformen brachte Hedwig Militärbrot für die Jungen und sich in die Unterkunft. Zuerst dachten alle, dass es Abfall wäre, der einem Soldaten der Roten Armee nicht zugemutet werden kann. Mill trieb sich öfter mal zwischen den Tischen der Soldaten herum. Er sah, dass sie dieses Brot mit den grünen Schimmelstreifen immer bei ihren Mahlzeiten und auch in den Umhängetaschen hatten.

„Dann müssen die das ja auch essen“, meinte Hedwig nachdenklich.

In der Waschküche des Pastorhauses schrubbte sie Jacken und Hosen mit Kernseife und Wurzelbürste. Am meisten Arbeit hatte sie mit den Ärmeln. Manche Soldaten benutzten ihre Jackenärmel als Taschentuchersatz. Wenn sie Schnupfen hatten, dann hielten sie sich ein Nasenloch zu und Mill sah, wie ihre grünlich-gelben Rotzefladen beim Ausschnauben zu Boden fielen. Er ekelte sich nie davor, beobachtete es mit Interesse und hielt es für ein Vorrecht von Soldaten. Sie hatten es nicht nötig, wie er brav in irgendwelche Taschentücher zu rotzen. Ihr Nasenloch putzten sie dann mit dem Kasakärmel sauber. Wenn Hedwig die gewaschenen Uniformteile ablieferte, schauten die Soldaten zuerst auf diese Stellen, bevor sie ihr Karascho sagten.

Ein Russe, den die Kinder Franzek nannten, bestellte Hedwig zur Ablieferung der Wäsche an den Bahnhof. Er hatte ihr ein ganzes Soldatenbrot versprochen. „Chleb“, das für „ Kommissar“ ist. Das würde keine grünen Streifen haben, vermutete sie. Sie ahnte nichts Gutes und nahm ihre beiden Kleinsten mit. Als sie mit ihnen die Abkürzung über das Gleis nahm, stand er schon am hölzernen Bahnsteigzaun. Er hielt einen dunklen Gegenstand in der Hand, der tatsächlich ein Brot sein konnte. Die beiden Jungen an den Händen der Mutter schienen ihm nicht zu gefallen.

„Ich waschen Uniform, du geben Chleb.“

Etwas verdutzt gab er sein Mitgebrachtes aus der Hand. Im selben Augenblick versuchte er aber, ihr einen Händedruck aufzudrängen und beim Zurückziehen der Hand den Ehering abzustreifen. Durch die tägliche Uniformwascherei waren ihre Finger aber so aufgequollen und schrumpelig, dass sein Griff ohne Erfolg bleiben musste. Sie stieß ihm ein lang gezogenes „Du“ entgegen und hob ihre Faust.

Dann trat sie mit ihren zwei Begleitern den Rückzug an. Jank und Mill sicherten ihn mit abwechselnd nach hinten gedrehten Gesichtern.

„Das ist ja wirklich Brot ohne Schimmelstreifen! Riecht mal, wie das riecht.“

Ihre Stimme hatte einen verwunderten aber trotzdem anerkennenden Unterton. Immer wieder schnupperte sie im Gehen am Brot.

Dann blieb sie einen Augenblick stehen und versuchte, sich ihren Ehering selbst abzuziehen. Er saß fest. Sie schmunzelte.