Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 27

Cornelia

Mamas Rosa Schlüpfer 

Mamas Rosa Schlüpfer

Jank war gerade dabei, mit dem harten Schiefergriffel formvollendete Wörter und Sätze auf seine Tafel zu zaubern. Mill schaute ihm über die Schulter und bewunderte die makellose Schrift seines älteren Bruders.

Cornelia, das fünfzehnjährige Flüchtlingsmädchen, half Mill gerade beim Rechnen, als plötzlich die Tür aufknarrte. Im Türrahmen stand ein Soldat und lächelte. Er blickte sich in der Unterkunft um, ging langsam auf Cornelia zu. Fuselgeruch umgab ihn. Er trug weder ein Gewehr noch eine Pistole bei sich.

Schreckensstarr sah sie ihn an, wandte aber ihre Augen schnell wieder von ihm ab. Verzweifelt hoffte sie, damit zugleich auch seinem Gierblick entkommen zu können. Er drückte sie auf ein Bett und schob ihren Rock hoch.

Alle Kinder, Mütter und die Alten im Zimmer waren versteinert. Keiner sagte etwas, tat etwas dagegen. Mit seinem massigen Oberkörper legte er sich über die vor Entsetzen Stumme. Als seine Hand unter ihre Strumpfbänder glitt, wurden die Kinder hastig aus dieser Unterkunft in ein Nebenzimmer geleitet. Denen, die sich dabei im Hinausgehen noch immer verständnislos nach dem lautlosen Verbrechen umschauten, drehten Mütter und Großmütter die Köpfe in andere Blickrichtung. Sie schlossen die Tür und versuchten die Kinder mit Spielen und vorgesagten Reimen abzulenken.

„Was hatn der Soldat mit der Cornelia gemacht?“

Hedwig gab ihm keine Antwort. Dafür rührte sie ihm ein paar Haferflocken mit Kunsthonig in einem Aluminiumtöpfchen an.

Später drückten ein paar Frauen die Tür vorsichtig einen Spaltbreit auf.

Der Verbrecher hatte sich schon davongemacht. Das ebenerdige Fenster stand weit offen. Cornelia lag als gekrümmtes Bündel auf dem Bett, hatte eine Decke über sich gezogen und hielt die Augen geschlossen.

Am nächsten Tag sprach niemand ein Wort über das, was alle so entsetzt hatte. Als ob gar nichts gewesen wäre. Sogar Cornelia half den Kleinen wieder beim Schreiben, Lesen und Rechnen. Als ob wirklich nichts gewesen wäre. Sie war nur stiller als sonst. Aber genauso freundlich.