Fortsetzungsroman: “Mamas rosa Schlüpfer” von Joachim Kortner, Teil 25

Der Donkosak

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

Die Dorfstraße bot einen seltsamen Anblick. Die vier mit Maschinenpistolen bewaffneten Soldaten trieben alle Milchkühe aus dem Gutshof des Herrn von Brandensteig durch den Ort. Sie schwangen Kutscherpeitschen und erschreckten die stallgewohnten Tiere mit ihrem Knall zu eiligem Trott. Die Russen schienen sich zu schämten, dass Frauen und Kinder ihnen bei einer so unsoldatischen Aktion zuschauten.

 

Auf dem ungewohnten Feldsteinpflaster knickten manchem gehetzten Tier die Hinterbeine weg. Zurück gebliebene Kälber schrien laut nach ihren Müttern, die inzwischen weitergetrieben worden waren. Die Tiere, die Eile, lautes Geschrei und Schmerz aus ihrem gemächlichen Gutsstallleben nicht kannten, ließen verängstigt ihre Fladen auf das Straßenpflaster fallen und bekleckerten sich Flanken und Hinterhand. Mit heraushängenden Zungen trotteten sie stolpernd voran. Lange Geiferfäden hingen ihnen aus dem Maul.

Der Viehtrieb bog bei der Schule in einen Feldweg ein und kam unterhalb der Auffahrt zur Bahnüberführung zum Stehen. Auf einer Wiese, die in ihrer Frühlingspracht erblüht war, fanden sich Kälber und Mutterkühe wieder. Sie begrüßten einander mit lang anhaltendem Gebrüll und weit ausgereckten Hälsen.

Nachdem ihr Atem sich beruhigt hatte, begann die Herde ausgiebig zu weiden. Das dunkle Geräusch, das dreißig Kuhmäuler mit dem Abrupfen der saftigen Grashalme und Kräuterbüschel formen, ließ auch die Soldaten ruhiger werden.

Da saßen sie jetzt am Wiesenrand, hatten ihre Peitschen ins Gras gelegt. Blaue Rauchwölkchen stiegen auf und tiefe Lungenzüge von ihrem starken Machorkatabak ließen auch bei ihnen etwas Friedlichkeit einkehren. Dann begannen die satten Rinder allmählich damit, sich erschöpft in die warme, von Löwenzahn und Glockenblumen übersäte Wiese zu legen, um dann behaglich wiederzukäuen. Ein paar Jungen waren dem Schauspiel hinterhergegangen, zerstreuten sich aber schon nach kurzer Zeit.

Drei von den Kuhtreibern gingen bald darauf wieder zurück ins Dorf. Dabei knallten sie mit ihren langen Kutscherpeitschen um die Wette und ahmten, vor Lachen wiehernd, schrille Frauenschreie nach. Die Dorfstraße war leergefegt. Vorhänge wackelten., Angst war wieder in die Häuser gekrochen.

Als der Abend sich kühl ankündigte, da erklang von der Kuhweide her eine klare, weit tragende und unvergleichlich schöne Männerstimme. Jank und Mill gingen ihr entgegen. Näher als bis auf Steinwurfweite wagten sie sich nicht heran. Sie saugten jeden der Töne in sich auf.

„Näher dürfen wir nich! Sonst merkt er was und hört auf!“

Jank legte seinen Zeigefinger auf die Lippen. Ab und zu wehte der Abendwind einen Hauch vom Klirren der Halsketten herüber.

„Morgn komm wir noch mal her. Aber dann nehm wir andre mit.“
„Wegn dir hatter jetz aufgehört, weil du so laut quatschst.“

Jank war wütend.