Gewalt gegen Oberfrankens Polizisten – kein unbekanntes Phänomen
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sprach bei der Vorstellung des neu geschaffenen Lagebildes „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und –beamte“ im Rahmen einer Pressekonferenz am 1. Juni 2011 von bayernweit 6278 erfassten Fällen für das Jahr 2010 (Anm. d. Red.: Siehe dazu auch diesen Artikel …). „Fast 500 Attacken gegen Polizisten in Bayern ereigneten sich in Oberfranken mit der Bilanz von über 70 verletzten Beamten. Bei umgerechnet etwa zehn Fällen pro Woche verdeutlichen diese Zahlen eindrucksvoll, welchen Gefahren unsere Polizeibeamtinnen und ‑beamte tagtäglich im Umgang mit manchen Bürgern ausgesetzt sind“, so die Bewertung des oberfränkischen Polizeipräsidenten Reinhard Kunkel.
Sinnlose Gewalt aus nichtigem Anlass – 76 Polizisten verletzt
Das massive Aufbegehren gegen polizeiliche Maßnahmen beginnt in besorgniserregender Art bereits bei geringfügigen Eingriffen wie Identitätsfeststellungen und eskaliert spätestens bei Platzverweisen, Gewahrsamnahmen oder Festnahmen. Oft liefern Maßnahmen im Zusammenhang mit kleineren Bagatelldelikten gewaltbereiten Bürgern bereits Anlass genug, ihrer Aggression und Respektlosigkeit freien Lauf zu lassen.
Als Beispiel aus jüngster Vergangenheit sei hier nur ein Fall von anhaltender Ruhestörung Ende Mai durch eine überlaute Privatparty im Landkreis Kronach genannt:
„Während früher ein Anruf der Polizei für eine angemessene Mäßigung der Lautstärke sorgte oder eine Streifenbesatzung die feiernde Gesellschaft vor Ort erfolgreich zu mehr Rücksicht auf die schlafbedürftige Nachbarschaft ermahnen konnte, mussten hier letztlich insgesamt acht Polizeibeamte einschreiten, weil Gäste und Gastgeber dieser Veranstaltung auf den Versuch der Kollegen, die Personalien der Verantwortlichen aufzunehmen, mit blinder körperlicher Gewalt gegen die Beamten reagierten. Fazit dieses Einsatzes waren starke Prellungen, Platzwunden und eine demolierte Brille auf Seiten der Polizeibeamten. Dieses Ereignis ist leider kein Einzelfall und mittlerweile häufig die bittere Realität für unsere Einsatzkräfte“, so Reinhard Kunkel.
Allein in den letzten beiden Tagen kam es in Oberfranken zu drei Vorfällen, bei denen Polizeibeamte verletzt wurden. Wie sehr die Hemmschwelle gegenüber Polizisten gesunken ist, zeigt auch der Fall eines 13-Jährigen, der am gestrigen Herrentag der oberfränkischen Polizei zu schaffen machte. Nach einer Streitigkeit unter mehreren Personen trafen die Ordnungshüter den Schüler mit rund 1,2 Promille an und brachten ihn in die Obhut seiner Eltern. Zu Hause sprach der 13-Jährige gegenüber den Polizisten massive Drohungen aus und fing an zu randalieren. Dabei schlug und trat der Minderjährige mehrfach nach den Polizisten und biss einen Beamten in die Wade.
„Die oberfränkische Polizei hatte im Jahr 2010 76 verletzte Beamtinnen und Beamte zu beklagen mit dem Resultat von fast 250 krankheitsbedingten Ausfalltagen. Dies entspräche umgerechnet dem Ausfall eines Polizeibeamten für ein ganzes Jahr. Wir sind nicht bereit diese Zunahme der Gewalt gegen Polizisten sowie die Folgen daraus für die verletzten Kollegen und die gesamte Organisation hinzunehmen und werden hier energisch gegensteuern“, betont der Polizeipräsident.
Schwerpunkte in den Städten
Obgleich sich die Mehrzahl der bayernweit registrierten Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte in den größeren Städten ereignet hat, blieb 2010 auch der ländliche Raum nicht verschont. Meist handelte es sich bei den betreffenden Straftaten um Widerstandshandlungen, Beleidigungen, Körperverletzungsdelikte und Bedrohungen.
Eine Häufung der Angriffe ist auch in Oberfranken in den Mittelzentren Bayreuth, Bamberg, Coburg und Hof zu verzeichnen.
Die sogenannte Häufigkeitszahl, die angibt, wie viele dieser Straftaten je 100.000 Einwohner begangen werden, liegt in Oberfranken bei 35, bayernweit bei 50.
Wochenende – Nachtzeit – Alkoholkonsum
Die Erhebungen für das Jahr 2010 lassen auch in Oberfranken den Schluss zu, dass das Kriterium Alkohol bei gewaltsamen Übergriffen auf Polizeibeamte den Aggressionsverstärker Nummer 1 darstellt.
Bei fast 73 % der Fälle standen die polizeilichen Widersacher mehr oder weniger stark unter Alkoholeinfluss. Dabei sind Beleidigungen mittlerweile schon der Normalfall und ganz konkrete Bedrohungen an der Tagesordnung. 48 % aller Angriffe gegen Polizeibeamte ereigneten sich in den Nachtstunden von 23 Uhr bis 5 Uhr früh insbesondere an den Wochenenden.
Als Tatverdächtige traten junge Leute im Alter bis zu 30 Jahren auf. Dabei handelte es sich überwiegend um deutsche Staatsbürger.
Folgen und Konsequenzen für die Polizei Oberfranken
In den letzten Jahren wurde die Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte stark verbessert und bedarfsgerecht angepasst.
Die konsequente Weiterentwicklung von Aus- und Fortbildungsmodulen im Rahmen des polizeilichen Einsatztrainings (PE-Training) durch speziell geschulte Trainer nimmt einen hohen Stellenwert ein und zielt auch besonders auf das gestiegene Gefahrenpotential scheinbar harmloser Einsätze ab. Konflikte im Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber sollen nach Möglichkeit mit Mitteln der Kommunikation gelöst werden. Gleichwohl trainieren alle Vollzugsbeamten regelmäßig für den Ernstfall einer Attacke, denn die Statistik zeigt, dass die bevorzugte kommunikative Lösung des Konflikts leider nicht immer die Zustimmung des Gegenübers erfährt.
„Ein sicheres Einschreiten erfordert ein Höchstmaß an Flexibilität bei unseren Einsatzkräften im Umgang mit den Einsatzmitteln und den eigenen physischen wie psychischen Fähigkeiten und Ressourcen. Dieses Ziel ist nur mit ständigem Training zu erreichen“, konstatiert Reinhard Kunkel.
Eigens für dieses PE-Training stehen den oberfränkischen Polizeibeamten Schulungsräumlichkeiten in Bayreuth, Bamberg, Coburg und Hof zur Verfügung, die eine Simulation reeller Einsatzsituationen ermöglichen.
Fazit
Auf Grundlage des Lagebildes „Gewalt gegen Polizeibeamte“ sollen Erkenntnisse für Einsatzstrategien und –konzepte gewonnen und umgesetzt werden, um so diesem Phänomen adäquat entgegen wirken zu können.
„Selbst im ländlichen Oberfranken blicken wir mit Sorge auf die Zunahme von Gewalttätigkeiten gegen Einsatzkräfte im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen und bei Festen.
Während früher Volksfeste oder Fußballspiele im Rahmen des regulären Schichtdienstes bewältigt werden konnten, erweisen sich derartige Anlässe heute zunehmend als äußerst kritische Einsatzlagen. Die Sicherheit kann bei vielen Veranstaltungen nur noch mit konzeptioneller Planung und einem erhöhten polizeilichen Kräfteansatz gewährleistet werden“, resümiert Polizeipräsident Kunkel. „Denn auch in Oberfranken gilt: Null Toleranz gegenüber Gewalt!“
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