Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Wie infek­tiö­se Spu­ma­vi­ren aus Wirts­zel­len entstehen

Prof. Dr. Birgitta Wöhrl und Dr. Maximilian Hartl am Lehrstuhl für Biopolymere der Universität Bayreuth. Foto: Christian Wißler

Prof. Dr. Bir­git­ta Wöhrl und Dr. Maxi­mi­li­an Hartl

Neue Erkennt­nis­se über das Zusam­men­wir­ken von Erb­gut und Enzy­men in Spu­ma­vi­ren haben Prof. Dr. Bir­git­ta Wöhrl und Dr. Maxi­mi­li­an Hartl, Lehr­stuhl für Bio­po­ly­me­re an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth (Lei­tung: Prof. Dr. Paul Rösch), gemein­sam mit Bio­me­di­zi­nern der Uni­ver­si­tät Würz­burg erzielt. In der jüng­sten Aus­ga­be des „Jour­nal of Viro­lo­gy“ stel­len sie ihre For­schungs­ar­bei­ten vor.

Spu­ma­vi­ren: nicht-patho­gen und für die Gen­the­ra­pie interessant

Welt­weit arbei­tet die bio­me­di­zi­ni­sche For­schung an Ver­fah­ren, die geeig­net sind, feh­len­de Gene zu ergän­zen, defek­te Gene zu erset­zen oder zumin­dest die Fol­gen der­ar­ti­ger Schä­den zu kom­pen­sie­ren. Dabei wächst das Inter­es­se an den Spu­ma­vi­ren, die auch als Foamy­vi­ren bezeich­net wer­den und des­halb so hei­ßen, weil sie in Zell­kul­tu­ren ein schau­mi­ges Aus­se­hen ent­wickeln. Bis­her ist kein Krank­heits­bild bekannt, das sei­ne Ursa­che in einer Infek­ti­on mit die­sen Viren hät­te. Daher ver­folgt man mit zuneh­men­der Inten­si­tät For­schungs­an­sät­ze, die Spu­ma­vi­ren nut­zen wol­len, um Gene zu the­ra­peu­ti­schen Zwecken in mensch­li­che Zel­len ein­zu­schleu­sen. Dass Spu­ma­vi­ren nicht-patho­gen sind, ist umso über­ra­schen­der, als es sich bei ihnen um Retro­vi­ren han­delt. Zu die­ser Viren­klas­se gehö­ren ande­rer­seits auch eini­ge hoch­gra­dig krank­heits­er­re­gen­de Viren.

Pro­te­ine in der Wirts­zel­le: ver­ket­tet und inaktiv

Wie alle Viren kön­nen sich auch Spu­ma­vi­ren nur dadurch ver­meh­ren, dass sie in Zel­len eines leben­den Orga­nis­mus – die soge­nann­ten Wirts­zel­len – ein­drin­gen. Sobald die Infek­ti­on gelun­gen ist, wird das im Virus­kern ent­hal­te­ne Erb­gut frei­ge­setzt und in das Erb­gut der infi­zier­ten Zel­le ein­ge­schleust. In der Fol­ge ver­mehrt die Zel­le das vira­le Erb­gut. Gleich­zei­tig wer­den alle Pro­te­ine her­ge­stellt, die für den Zusam­men­bau eines neu­en Virus not­wen­dig sind.

Die­se Pro­te­ine sind bei ihrer Ent­ste­hung mit­ein­an­der ver­ket­tet. In der Regel sind es zwei oder drei Pro­te­ine, die wie die Glie­der einer Ket­te ver­bun­den sind. In die­ser Form aber kön­nen sie kei­ne bio­che­mi­schen Funk­tio­nen erfül­len. Des­halb müs­sen die klei­nen Pro­te­in­ket­ten – die For­schung bezeich­net sie als vira­le Vor­läu­fer­pro­te­ine – auf­ge­trennt wer­den. Dafür wird ein Enzym, eine soge­nann­te Pro­tease, benö­tigt. In einem inak­ti­ven Zustand war­tet sie dar­auf, bei der Spal­tung der Pro­te­in­ket­ten zum Ein­satz zu kommen.

Die vira­le RNA: Ope­ra­ti­ons­ba­sis für spal­ten­de Enzyme

An die­sem Punkt set­zen die For­schun­gen von Prof. Dr. Bir­git­ta Wöhrl und Dr. Maxi­mi­li­an Hartl an. Ihnen ist es gemein­sam mit Bio­me­di­zi­nern der Uni­ver­si­tät Würz­burg gelun­gen, einen bis­her unbe­kann­ten bio­che­mi­schen Pro­zess zu ent­decken und im Detail wis­sen­schaft­lich zu beschrei­ben. Mit dem Ziel, die klei­nen Pro­te­in­ket­ten auf­zu­tren­nen, schlie­ßen sich jeweils zwei Mole­kü­le der Pro­tease paar­wei­se zusam­men. Erst in die­ser Kom­bi­na­ti­on wer­den sie aktiv und wir­ken wie die Klin­gen einer Sche­re: Die Pro­tease zer­schnei­det die Vor­läu­fer­pro­te­ine in sepa­ra­te Abschnit­te, die nun ein neu­es infek­tiö­ses Virus bil­den können.

Die­ser Vor­gang hat, wie das Bay­reu­ther For­schungs­team eben­falls nach­wei­sen konn­te, eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung: Damit zwei Pro­tease­mo­le­kü­le sich zu einer der­ar­ti­gen Sche­re zusam­men­schlie­ßen kön­nen, müs­sen sie in direk­ter Nach­bar­schaft auf dem RNA-Strang Platz neh­men, der das Erb­gut des neu ent­ste­hen­den Virus bil­det. Andern­falls hät­te die sche­ren­ar­ti­ge Ver­bin­dung der bei­den Mole­kü­le nicht die erfor­der­li­che Sta­bi­li­tät, oder sie wür­de gar nicht erst zustan­de kom­men. Die vira­le RNA ist daher eine unver­zicht­ba­re Ope­ra­ti­ons­ba­sis für die akti­ve Pro­tease. Nur so kann der enzym­ge­steu­er­te Pro­zess, der die vira­len Vor­läu­fer­pro­te­ine auf­spal­tet, geord­net und voll­stän­dig bis zum Ende ablau­fen. Bei allen ande­ren Retro­vi­ren ver­hält es sich anders. Bei ihnen ist die RNA an die­sem Pro­zess in kei­ner signi­fi­kan­ten Wei­se beteiligt.

Die Inte­gra­se: unver­zicht­bar für den Ein­bau des Erb­guts in eine DNA

Die auf der RNA plat­zier­ten Pro­tease-Mole­kü­le sind an ihren Enden mit­tel­bar mit den Mole­kü­len eines ande­ren Enzyms ver­bun­den, der sog. Inte­gra­se. Die­ses Enzym wird spä­ter eine ent­schei­den­de Funk­ti­on über­neh­men, wenn näm­lich das neu ent­stan­de­ne infek­tiö­se Virus sei­ner­seits in eine Wirts­zel­le ein­drin­gen wird. Denn das Erb­gut des Virus kann nur mit Hil­fe der Inte­gra­se in die DNA einer Wirts­zel­le ein­ge­baut wer­den. Um die­se Auf­ga­be erfül­len zu kön­nen, müs­sen die Mole­kü­le der Inte­gra­se so ange­ord­net sein, dass sie sich in räum­li­cher Nach­bar­schaft anein­an­der lagern.

Damit ein sol­cher Ver­bund ent­ste­hen kann, ist die auf der RNA plat­zier­te Pro­tease eben­falls unent­behr­lich. Denn die Pro­tease-Mole­kü­le erfül­len auch hier ihre Sche­ren­funk­ti­on: Wech­sel­sei­tig spal­ten sie die Inte­gra­se-Mole­kü­le ab. Erst die­ser Vor­gang bewirkt, dass sich die „befrei­ten“ Inte­gra­se-Mole­kü­le im neu ent­ste­hen­den Virus rich­tig anein­an­der lagern kön­nen. Die Bay­reu­ther For­scher ver­mu­ten, dass auch die­se räum­li­che Anord­nung der Inte­gra­se nur zustan­de kom­men kann, weil die Pro­tease in rela­tiv sta­bi­ler Form auf dem RNA-Strang posi­tio­niert ist.

Rever­se Tran­skrip­ti­on: Von der RNA zur DNA

Für die Spu­ma­vi­ren ist es im Unter­schied zu allen ande­ren Retro­vi­ren cha­rak­te­ri­stisch, dass die RNA in DNA umge­schrie­ben wird, kurz bevor ein neu­es infek­tiö­ses Virus die Wirts­zel­le ver­lässt. Spu­ma­vi­ren sind daher DNA-hal­tig. Dies gilt in ana­lo­ger Wei­se, wenn Spu­ma­vi­ren im Rah­men einer Gen­the­ra­pie genutzt wer­den, um Erb­ma­te­ri­al in die krank­haft beschä­dig­te DNA einer Zel­le ein­zu­schleu­sen. Inner­halb die­ser Zel­le muss dann kei­ne Tran­skrip­ti­on von vira­ler RNA in DNA mehr statt­fin­den. Zudem ist die DNA im Virus sehr viel sta­bi­ler als eine ver­gleich­ba­re RNA. Auch die­se Beson­der­heit macht die Spu­ma­vi­ren für einen Ein­satz in der Gen­the­ra­pie attraktiv.

Per­spek­ti­ven für die Anwendungsforschung

Die Wis­sen­schaft­ler am Bay­reu­ther Lehr­stuhl für Bio­po­ly­me­re wol­len ihre For­schun­gen wei­ter­füh­ren, um noch tie­fer in die Struk­tu­ren und Pro­zes­se von Spu­ma­vi­ren vor­zu­drin­gen. „Wir ver­trau­en dar­auf, dass die so gewon­ne­nen Ein­sich­ten eines Tages dazu bei­tra­gen kön­nen, effek­ti­ve gen­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren zu ent­wickeln, die frei sind von gra­vie­ren­den Neben­wir­kun­gen,“ erklärt Prof. Dr. Bir­git­ta Wöhrl. „Inten­si­ve Grund­la­gen­for­schung ist in die­sem Bereich unver­zicht­bar. Nur dadurch gewin­nen wir die Erkennt­nis­se, auf die eine soli­de Anwen­dungs­for­schung und ein ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter Ein­satz in der Medi­zin ange­wie­sen sind.“

Aus­führ­li­che­re Dar­stel­lung mit 2 Abbil­dun­gen (S. 5 bis 7): http://www.uni-bayreuth.de/blick-in-die-forschung/10–2011.pdf