Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Schluss mit teu­ren Werkstattrechnungen

Die­ses Pro­jekt wird Auto­fah­rern bares Geld spa­ren. Es wird Wert­schöp­fung für Hand­werks­be­trie­be gene­rie­ren und Kom­po­nen­ten­her­stel­lern neue Märk­te eröff­nen. Gemein­sam gaben Ver­tre­ter des Baye­ri­schen Wirt­schafts­mi­ni­ste­ri­ums, der Regie­rung von Ober­fran­ken, der Hand­werks­kam­mer für Ober­fran­ken sowie der Fraun­ho­fer Pro­jekt­grup­pe Pro­zess­in­no­va­ti­on und des Lehr­stuhls für Umwelt­ge­rech­te Pro­duk­ti­ons­tech­nik der Uni­ver­si­tät Bay­reuth jetzt den Start­schuss für die Initia­ti­ve Kfz-Ser­vice-Engi­nee­ring 2020.

Dar­um geht es in dem Vor­ha­ben, das die Zusam­men­ar­beit von Hand­werk und Universität/​Fraunhofer auf eine neue Qua­li­täts­stu­fe hebt: Auch nach der Abwrack­prä­mie sind bei­lei­be nicht nur neue Autos unter­wegs. Tat­säch­lich rol­len die mei­sten der 40 Mil­lio­nen zuge­las­se­nen Autos bereits zwi­schen drei und acht Jah­re lang über Deutsch­lands Stra­ßen. Exakt die­se Autos und natür­lich deren Fah­rer haben die Pro­jekt­in­itia­to­ren im Blick. Mit stei­gen­der Kilo­me­ter­zahl wer­den Autos anfäl­li­ger, ärgern sich die Besit­zer über teue­re Werk­statt­rech­nun­gen. Denn viel zu oft, so die über­ein­stim­men­de Mei­nung der Initia­to­ren von Kfz-Ser­vice-Engi­nee­ring 2020, wer­den kom­plet­te Fahr­zeug­kom­po­nen­ten aus­ge­tauscht, statt nur das tat­säch­lich kaput­te Teil zu erset­zen oder zu reparieren.

In der Kon­struk­ti­on, in der Pro­duk­ti­on und seit gerau­mer Zeit auch im Recy­cling ste­hen deut­sche Inge­nieu­re an der Welt­spit­ze. „Das gro­ße The­ma der effi­zi­en­ten Nut­zung, des Ser­vice Eng­niee­ring und des Repa­rie­rens hat aber noch nie­mand rich­tig auf dem Schirm“, sagt Pro­fes­sor Dr.-Ing. Rolf Stein­hil­per, Inha­ber des Lehr­stuhls für Umwelt­ge­rech­te Pro­duk­ti­ons­tech­nik an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und zugleich Lei­ter der Fraun­ho­fer-Pro­jekt­grup­pe Pro­zess­in­no­va­ti­on. „Dass es an der Zeit ist, sich damit zu befas­sen, steht außer Fra­ge. Denn Repa­rie­ren wird zu einem rie­si­gen Markt.“

Ein Markt, der für alle Betei­lig­ten Poten­zi­al bie­tet. Bei der Hand-werks­kam­mer, an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und bei der Fraun­ho­fer-Pro­jekt­grup­pe haben Fach­leu­te Rech­nun­gen aus Kfz-Werk­stät­ten genau ana­ly­siert. Ihre zen­tra­len Ergeb­nis­se: Wer­den bei Repa­ra­tu­ren kom­plet­te Bau­grup­pen aus­ge­tauscht, machen die Kosten für das Ersatz­teil in der Regel einen deut­lich grö­ße­ren Betrag als der Lohn des Mecha­ni­kers für Feh­ler­dia­gno­se und Aus­tausch aus. Ersetzt der Mecha­ni­ker aller­dings nur ein­zel­ne Bau­tei­le, steigt der Lohn­an­teil und sin­ken die Kosten für Ersatz­tei­le. Grund hier­für: Der Aus­tausch ein­zel­ner Bau­tei­le ist im Ver­gleich zum Aus­tausch gan­zer Kom­po­nen­ten für den Auto­fah­rer in der Mehr­zahl aller Fäl­le deut­lich billiger.

Neben der erfreu­li­chen Tat­sa­che, dass Auto­fah­rer damit Geld spa­ren und Repa­ra­tu­ren nicht mehr auf die lan­ge Bank schie­ben müs­sen, sieht Pro­fes­sor Stein­hil­per in dem Pro­jekt eine gan­ze Rei­he wei­te­rer posi­ti­ver Effek­te: Das Hand­werk pro­fi­tiert von stei­gen­der Wert­schöp­fung, weil in den Werk­stät­ten mehr repa­riert, gear­bei­tet und damit mehr Lohn abge­rech­net wird. Für die Zulie­fe­rer von Auto­tei­len und ‑kom­po­nen­ten, die sich nicht sel­ten in star­ker Abhän­gig­keit von den Auto­mo­bil­her­stel­lern befin­den, eröff­nen sich zusätz­li­che Absatz­mög­lich­kei­ten mit neu­en Mar­gen – wenn sie denn bereit sind, künf­tig ein mög­li­ches Repa­rie­ren ihres Tei­les schon bei der Pro­duk­ti­on zu beden­ken. Und: Das Repa­rie­ren oder der Ein­bau auf­ge­ar­bei­te­ter Tei­le schont Res­sour­cen. Ver­stärk­tes Recy­cling und Rema­nu­fac­tu­ring haben einen volks­wirt­schaft­li­chen Nutzen.

Bis Ende August, so lan­ge läuft die erste Pro­jekt­pha­se, haben die Fach­leu­te der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, der Fraun­ho­fer-Pro­jekt­grup­pe Pro­zess­in­no­va­ti­on und der Hand­werks­kam­mer nun­mehr Zeit, ihr Vor­ha­ben zu kon­kre­ti­sie­ren. „Wir erstel­len jetzt eine Bedarfs­ana­ly­se für Ser­vice­pro­zes­se in den Kfz-Werk­stät­ten und bei den Kom­po­nen­ten­her­stel­lern“, so der stell­ver­tre­ten­de Haupt­ge­schäfts-füh­rer der Hand­werks­kam­mer für Ober­fran­ken, Tho­mas Kol­ler. „Denn wir wol­len wis­sen, wel­che Ser­vice­fäl­le am häu­fig­sten auf­tre­ten, die­se lösen und damit den größ­ten Nut­zen gene­rie­ren.“ Gefragt wer­den aktu­ell nicht nur die 1200 Hand­werks­be­trie­be in Ober­fran­ken, die mit Autos zu tun haben. Auch die Pan­nen­sta­ti­stik des ADAC und die Erkennt­nis­se der Schieds­stel­le der Kraft­fahr­zeug-Innung wer­den in die Ana­ly­se ein­be­zo­gen. Und: Über die Medi­en sol­len auch die wirk­li­chen Exper­ten gehört wer­den – Auto­fah­rer, die die Schwach­stel­len ihres Fahr­zeu­ges sehr genau ken­nen. Ein Busi­ness­plan für die fol­gen­den Pha­sen des ins­ge­samt auf vier Jah­re aus­ge­leg­ten Pro­jekts steht eben­falls auf der Agen­da der kom­men­den Wochen. Die Pro­jekt­lei­tung von Sei­ten der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und der Fraun­ho­fer-Pro­jekt­grup­pe Pro­zess­in­no­va­ti­on über­nimmt Dr.-Ing. Ste­fan Freiberger.

Läuft „Kfz-Ser­vice-Engi­nee­ring 2020“ gut an, und davon gehen alle Betei­lig­ten aus, wird Infra­struk­tur nötig sein. Zu den ange­dach­ten Inve­sti­tio­nen gehört der Neu­bau eines Pro­jekt­ge­bäu­des unmit­tel­bar angren­zend an die Fakul­tät für Ange­wand­te Natur­wis­sen­schaf­ten auf dem Cam­pus der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Wis­sen und tech­ni­sches Know-how, das dort ent­steht, wird auf kon­ven­tio­nel­len und inno­va­ti­ven elek­tro­ni­schen Wegen sowohl in der Hoch­schu­le als auch im Aus- und Wei­ter­bil­dungs­sy­stem der Hand­werks­kam­mer wei­ter ver­brei­tet. In einem zusätz­li­chen Schritt wer­den Ser­vice­pro­zes­se neu gestal­tet und modu­la­ri­siert, wer­den Kon­zep­te zur Pro­dukt­mo­der­ni­sie­rung umge­setzt. Und am Ende geht es mit der Pla­nung neu­er For­men des Kfz-Ser­vices um die Sicher­stel­lung der Ersatz­teil­ver­sor­gung. Im Som­mer wird das Baye­ri­sche Wirt­schafts­mi­ni­ste­ri­um, das das Vor­ha­ben för­dert und sich auch auf die Exper­ti­se eines wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats stützt, über das Pro­jekt mit einem Volu­men von knapp vier Mil­lio­nen Euro und Per­spek­ti­ve, mit­tel­fri­stig eigen­stän­dig zu wer­den, entscheiden.

Wie man eine Initia­ti­ve auf eine gesun­de wirt­schaft­li­che Basis stellt und in die Eigen­stän­dig­keit führt, das haben Pro­fes­sor Stein­hil­per und sein Team zuletzt mit der Fraun­ho­fer-Pro­jekt­grup­pe Pro­zess­in­no­va­ti­on ein­drucks­voll demon­striert. Die 2006 als Pro­zess­in­no­va­ti­ons­zen­trum gestar­te­te Pro­jekt­grup­pe ist inzwi­schen eigen­wirt­schaft­lich, ihr Gesamt­um­satz sum­mier­te sich auf über zwei Mil­lio­nen Euro. Allein für das lau­fen­de Jahr peilt die Pro­jekt­grup­pe, die Unter­neh­men berät oder deren Abläu­fe opti­miert, einen Indu­strie­um­satz von einer Mil­li­on Euro an. 680.000 Euro davon hat sie bereits in den Büchern – das ist so viel wie der Indu­strie­um­satz des vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­res. „Unser größ­tes Pro­blem ist nicht die Finan­zie­rung“, so Dr. Frei­ber­ger. Viel anspruchs­vol­ler sei es, her­vor­ra­gen­de Inge­nieu­re zu gewin­nen. Fraun­ho­fer und der Lehr­stuhl sol­len wei­ter wach­sen, wenn­gleich nicht mehr im Tem­po der ver­gan­ge­nen Jah­re: 80 Mit­ar­bei­ter erschei­nen in 2015 rea­li­stisch und 200 im Jahr 2020 sind nicht ausgeschlossen.

In 66 Fäl­len haben die Bay­reu­ther Pro­zess­exper­ten Indu­strie­un­ter­neh­men seit Grün­dung der Pro­jekt­grup­pe bera­ten, über 70 Pro­zent von ihnen sit­zen in Nord­bay­ern. Nach einem Rück­gang der Bera­tungs­auf­trä­ge im Bereich der Fabrik‑, Lay­out- und Mate­ri­al­fluss­pla­nung wäh­rend der jüng­sten Wirt­schafts­kri­se, zieht gera­de die­ser Bereich wie­der deut­lich an. Wie es wei­ter gehen soll mit die­ser äußerst erfolg­rei­chen Pro­jekt­grup­pe, hat Pro­fes­sor Stein­hil­per bereits bedacht: Neben ande­rem sol­len Refa­bri­ka­ti­on und Ser­vice-Engi­nee­ring, wie sie aktu­ell mit dem Kraft­fahr­zeug-Pro­jekt vor­an­ge­trie­ben wird, ein inhalt­li­cher Stütz­pfei­ler wer­den. Und ohne ein neu­es Gebäu­de wird es wohl nicht gehen, schon jetzt man­gelt es der Pro­jekt­grup­pe an Raum.