Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le“ entdeckt

Eine inter­na­tio­na­le For­schungs­grup­pe um Pro­fes­sor Ste­phan För­ster, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, hat erst­mals kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le ent­deckt. Im Unter­schied zu den bis­her bekann­ten Quas­i­k­ri­stal­len, die sich nur unter spe­zi­el­len Labor­be­din­gun­gen her­stel­len las­sen, han­delt es sich um ein­fach struk­tu­rier­te Poly­me­re, die durch Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ent­ste­hen. Auf­grund ihrer Struk­tur­ei­gen­schaf­ten wer­den sie vor­aus­sicht­lich bei der Ent­wick­lung neu­ar­ti­ger Bau­ele­men­te in der Pho­to­nik zum Ein­satz kom­men kön­nen. Dar­über berich­ten die betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler aus Bay­reuth, Zürich, Ham­burg und Gre­no­ble in den „Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of Ame­ri­ca (PNAS)“.

Unge­wöhn­li­che sym­me­tri­sche Struk­tu­ren, in Beu­gungs­expe­ri­men­ten sicht­bar gemacht

Quas­i­k­ri­stal­le zeich­nen sich durch eine sehr unge­wöhn­li­che Anord­nung der Ato­me aus. In nor­ma­len Kri­stal­len bil­den die Ato­me geord­ne­te peri­odi­sche Struk­tu­ren; d.h. sie fügen sich zu einer lücken­lo­sen Gesamt­struk­tur zusam­men, in der sich ein ein­zi­ges sym­me­tri­sches Muster regel­mä­ßig wie­der­holt. Aus geo­me­tri­schen Grün­den sind dabei nur 1‑, 2‑, 3‑, 4- und 6‑zählige Sym­me­trien mög­lich. Die­se Zah­len­an­ga­be besagt, wie oft sich eine Struk­tur in Win­keln zwi­schen 0 und 360 Grad so dre­hen lässt, dass sie mit sich selbst zur Deckung kommt. Anders ver­hält es sich bei Quas­i­k­ri­stal­len. Hier lie­gen geord­ne­te ape­ri­odi­sche Struk­tu­ren vor; d.h. es gibt min­de­stens zwei ver­schie­de­ne sym­me­tri­sche Muster, die sich nicht regel­mä­ßig wie­der­ho­len, aber trotz­dem eine lücken­lo­se Gesamt­struk­tur bil­den. Unter die­ser Vor­aus­set­zung kön­nen auch 8‑, 10- oder 12-zäh­li­ge Sym­me­trien vorkommen.

Die­se struk­tu­rel­len Unter­schie­de zwi­schen Kri­stal­len und Quas­i­k­ri­stal­len las­sen sich in Beu­gungs­expe­ri­men­ten mit elek­tro­ma­gne­ti­schen Wel­len sicht­bar machen. Dabei ent­ste­hen Beu­gungs­mu­ster, an denen sich able­sen lässt, wie Kri­stal­le und Quas­i­k­ri­stal­le auf­ge­baut sind. Die erkenn­ba­ren sym­me­tri­schen Struk­tu­ren wer­den in der For­schung als Beu­gungs­sym­me­trien bezeichnet.

Kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le, her­vor­ge­gan­gen aus Pro­zes­sen der Selbstorganisation

Bei den ent­deck­ten kol­lo­ida­len Quas­i­k­ri­stal­len han­delt es sich um Hydro­ge­le, also um Poly­me­re, die Was­ser ent­hal­ten, aber selbst nicht was­ser­lös­lich sind. Sie besit­zen eine rela­tiv ein­fa­che Struk­tur und kom­men dadurch zustan­de, dass sich meh­re­re gleich­ar­ti­ge „Bau­stei­ne“ durch Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on zusam­men­fü­gen. Die­se „Bau­stei­ne“ sind poly­me­re Mizel­len: klei­ne kugel­för­mi­ge Gebil­de mit Durch­mes­sern zwi­schen 5 und 100 Nano­me­tern, die ohne labor­tech­ni­schen Auf­wand in grö­ße­rem Maß­stab her­stell­bar sind. Des­halb sind kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le für vie­le Wis­sen­schaft­ler und auch für die Indu­strie leicht zugänglich.

Schon seit län­ge­rer Zeit unter­sucht die Arbeits­grup­pe von Prof. Ste­phan För­ster an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth poly­me­re Mizel­len, die sich zu Git­ter­struk­tu­ren zusam­men­la­gern kön­nen – und zwar auf Län­gen­ska­len von bis zu 100 Nano­me­tern. Bei gemein­sa­men For­schungs­ar­bei­ten am Insti­tut Laue-Lan­ge­vin in Gre­no­ble und am DESY in Ham­burg wur­de nun kürz­lich ent­deckt, dass aus der­ar­ti­gen Pro­zes­sen der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on quas­i­k­ri­stal­li­ne Git­ter­struk­tu­ren her­vor­ge­hen kön­nen. In Beu­gungs­expe­ri­men­ten wur­de nicht nur eine 12-zäh­li­ge Sym­me­trie, son­dern erst­mals über­haupt eine 18-zäh­li­ge Sym­me­trie beobachtet.

Per­spek­ti­ven für inno­va­ti­ve Anwen­dun­gen in der Photonik

Der­ar­ti­ge Expe­ri­men­te sind kei­nes­wegs pra­xis­fer­ne „Glas­per­len­spie­le“ der Grund­la­gen­for­schung. Denn für hoch­zäh­li­ge Beu­gungs­sym­me­trien in kol­lo­ida­len Quas­i­k­ri­stal­len inter­es­siert sich die Pho­to­nik, eine Dis­zi­plin der Phy­sik, die auf die Ent­wick­lung opti­scher Tech­no­lo­gien für die Über­tra­gung und Spei­che­rung von Infor­ma­tio­nen abzielt. Es hat sich in den letz­ten Jah­ren her­aus­ge­stellt, dass Struk­tu­ren mit hohen Beu­gungs­sym­me­trien die Eigen­schaft haben, Licht­strah­len nur in bestimm­te Rich­tun­gen durch­zu­las­sen. Sie sind ein beson­ders gut geeig­ne­tes Medi­um, wenn es dar­um geht, Licht­strah­len von einer bestimm­ten Wel­len­län­ge in vor­ab defi­nier­te Rich­tun­gen wei­ter­zu­lei­ten. Infol­ge­des­sen sind Struk­tu­ren mit hohen Beu­gungs­sym­me­trien hoch­in­ter­es­sant für die Her­stel­lung pho­to­ni­scher Bauelemente.

Eig­nen sich also die jetzt ent­deck­ten Hydro­ge­le mit ihren hohen Beu­gungs­sym­me­trien als „Bau­ma­te­ria­li­en“ für die Pho­to­nik? Dafür muss noch eine Hür­de über­wun­den wer­den: Die Pho­to­nik benö­tigt Struk­tur­merk­ma­le von meh­re­ren hun­dert Nano­me­tern, wäh­rend kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le nicht über 100 Nano­me­ter hin­aus­rei­chen. Die Wis­sen­schaft­ler in Bay­reuth, Ham­burg und Gre­no­ble arbei­ten daher der­zeit inten­siv dar­an, dass sich poly­me­re Mizel­len zu quas­i­k­ri­stal­li­nen Groß­struk­tu­ren zusam­men­schlie­ßen, die in pho­to­ni­schen Bau­ele­men­ten zum Ein­satz kom­men kön­nen. „Ich bin zuver­sicht­lich, dass die­se Bestre­bun­gen schon bald zum Erfolg füh­ren wer­den“, erklärt Prof. Ste­phan Förster.

Quas­i­k­ri­stal­le – nicht län­ger eine Laborkuriosität

Kol­lo­ida­le Quas­i­k­ri­stal­le sind daher vor­aus­sicht­lich weit bes­ser für Anwen­dun­gen in der Pho­to­nik geeig­net als die ca. 100 quas­i­k­ri­stal­li­nen Ver­bin­dun­gen, die bis­her bekannt waren. Hier­bei han­delt es sich fast aus­schließ­lich um Metall-Legie­run­gen, die nur in klei­nen Men­gen und unter spe­zi­el­len Labor­be­din­gun­gen her­ge­stellt wer­den kön­nen. Zudem bewe­gen sich die­se quas­i­k­ri­stal­li­nen Struk­tu­ren auf einer Grö­ßen­ska­la zwi­schen 0,1 und 1 Nano­me­ter und sind daher für den prak­ti­schen Ein­satz in der Pho­to­nik erst recht zu win­zig. Um quas­i­k­ri­stal­li­ne Struk­tu­ren für die Pho­to­nik her­zu­stel­len, bedurf­te es daher bis­her sehr auf­wän­di­ger elek­tro­nen-litho­gra­phi­scher Ver­fah­ren. Dass Quas­i­k­ri­stal­le über­haupt exi­stie­ren, wur­de erst­mals 1984 von einem For­schungs­team um den US-ame­ri­ka­ni­schen Phy­si­ker Dan Shecht­man nach­ge­wie­sen. Danach gal­ten Quas­i­k­ri­stal­le lan­ge Zeit als eine Labor­ku­rio­si­tät, bis die Pho­to­nik auf deren unge­wöhn­li­che Struk­tur­ei­gen­schaf­ten auf­merk­sam wurde.

Zu der inter­na­tio­na­len For­scher­grup­pe, die mit ihrer Ent­deckung kol­lo­ida­ler Quas­i­k­ri­stal­le jetzt an die Öffent­lich­keit tritt, gehö­ren zusam­men mit Ste­phan För­ster und sei­ner For­scher­grup­pe an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth auch Prof. Wal­ter Steu­rer und Dr. Sofia Delou­di (ETH Zürich), Dr. Peter Lind­ner (ILL Gre­no­ble) und Dr. Jan Per­lich (DESY Hamburg).

Ver­öf­fent­li­chung:

Stef­fen Fischer, Alex­an­der Exner, Kath­rin Ziels­ke, Jan Per­lich, Sofia Delou­di, Wal­ter Steu­rer, Peter Lind­ner, Ste­phan Förster,
Col­lo­idal qua­si­crys­tals with 12-fold and 18-fold dif­frac­tion symmetry,
in: Pro­ce­e­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of Ame­ri­ca (PNAS),
PNAS published ahead of print Janu­ary 11, 2011,
DOI-Book­mark: 10.1073/pnas.1008695108