Worte in die Zeit: 3. Advent
Wahrscheinlich hat jeder von uns schon einmal voller Spannung und Sehnsucht auf einen Brief gewartet, liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitchristen, auf eine Nachricht, von der für mein Leben recht viel abhängt: etwa auf den Bescheid, dass meine Bewerbung um einen guten, zukunftssicheren Arbeitsplatz Erfolg hatte; oder auf den Brief eines geschätzten Menschen, der mich darin sicher macht, dass der andere zu mir hält.
Man kann es kaum erwarten, und man schaut immer wieder nach der Tür, ob der Briefträger nicht endlich vorbeikommt, denn es könnte, ja, eigentlich müsste die ersehnte Nachricht dabei sein. Wie groß die Enttäuschung, wenn wieder nichts dabei war; nur Reklame und Routinepost, nicht der Brief, auf den man gewartet hat, die Nachricht, die alles ändert. Aber wenn dann endlich der Brief dabei ist – diesen Tag vergisst man so schnell nicht, nach Jahren noch kennt man das Datum, die Situation, in der man den Brief öffnete und die befreiende Nachricht schwarz auf weiß vor sich hatte; in der man sich auszumalen, in der man zu verstehen begann, welche Wende das Leben jetzt wohl nehmen würde.
So eine hoch willkommene, frohe, befreiende und erlösende Botschaft – wir alle kennen ein in der Kirche viel gebrauchtes, aus dem Altgriechischen genommenes Fremdwort dafür: Evangelium.
Gerade dieses Wort spielt im heutigen „Evangelium“ auch die entscheidende Rolle: „Den Armen wird Evangelium – frohe Nachricht – verkündet.“ Jesus meint damit: Wer mir begegnet, der hört und spürt die erlösende Botschaft. Er hört sie nicht nur, er kann sie in ihrer Wirkung auch spüren, wie es schon der Prophet Jesaja schreibt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören und sogar Tote werden auferweckt.
Doch wie kann eine Botschaft so etwas bewirken? Sicher, wir kennen die befreiende Wirkung einer erlösenden Nachricht. Man legt den Brief aus der Hand und atmet auf, man fühlt sich leichter: eine Last ist mir von der Seele genommen, ich entdecke vielleicht auch Lebenskräfte, an die ich schon gar nicht mehr geglaubt habe.
Aber was ist das für eine Botschaft, von der Matthäus spricht, die Taube wieder hören, Blinde wieder sehen und Tote wieder lebendig macht?
Vielleicht können viele von uns mit dieser Frage nichts Rechtes anfangen. Wieso muss man nach den Wirkungen des Evangeliums und seiner Verkündigung fragen? Es wird verkündigt jeden Sonntag – und das ist gut so. Aber was soll es denn bewirken können, hier unter uns? Vielleicht, dass wir uns etwas mehr einsetzen für Arme, für ungerecht Behandelte, für vom Leben blind und taub gemachte? Vielleicht, dass wir selber besser sehen und hören, was um uns vor geht, dass wir nicht gleich vom Tod, aber von unserer Schläfrigkeit aufstehen und nicht länger mit uns machen lassen, was einige, die die Fäden in der Hand haben wollen, tagtäglich mit uns machen? Das Evangelium kann uns in Bewegung setzen – bestenfalls; und wer wollte nicht, dass wir uns manchmal sehr viel mehr und entschiedener in Bewegung setzen ließen. Aber ist das schon die heilsame Wirkung, von der Matthäus mit Jesaja in so eindrucksvollen Bildern spricht? Und ist das die willkommene, erlösende Botschaft für uns, wenn wir aufgefordert werden, endlich etwas zu tun?
Solche Forderungen können einem ja – so nötig sie sind – ganz schön zu schaffen machen, sie können ganz schön in die Enge treiben: Auch das noch, wie wenn ich nicht schon genug am Hals hätte. Eine willkommene, erlösende Botschaft müsste doch wohl „mehr“ sein.
Was also ist für uns das Evangelium, das es als erlösendes Wort auf uns wirkt? Recht betrachtet ist das eigentlich die Frage nach der Mitte unseres Glaubens, nach dem, was uns überhaupt glauben und im Glauben Freude und Befreiung finden lässt. Und was könnte willkommener sein als die Botschaft, dass wir Menschen nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert sind, sondern auf einen Gott zugehen dürfen, der uns – mit und trotz all unserer Schuld und Mittelmäßigkeit – über alles Menschenmögliche und über den Tod hinaus gerecht wird. Das ist doch unsere Hoffnung.
Was wir in seltenen Augenblicken erleben, dass zwei Menschen einander so begegnen, dass es beiden zutiefst gut tut und jeder sich vom anderen um seiner selbst willen geliebt weiß, das gilt auch für die Begegnung mit Gott. Und Glauben heißt, sich auf diese Botschaft verlassen dürfen; sich darauf verlassen dürfen, dass diese wohltuende, wenn auch nicht immer bequeme Liebe das letzte Wort hat und eben nicht Hass und Tod, dass die Liebe das letzte Wort hat, weil Gott selbst sie stärker macht als den Tod, weil er die Liebe in Person ist und die Menschen in der Liebe vollenden will.
Das sind große Worte – ich weiß! Aber sie müssen immer wieder einmal gesagt werden, da-mit wir das Gespür dafür nicht verlieren, warum das Evangelium für uns die willkommene und erlösende Botschaft ist. Ohne dieses Gespür würde unser Glaube bloße Formsache bleiben, ein Festhalten an dem, was ich für richtig halte, ohne zu wissen, warum es für mich richtig und wichtig, ja sogar entscheidend ist. Wer aber im Evangelium die befreiende Botschaft entdeckt, der wird in einer neuen, anderen Weise lebendig werden. Es kann ja eigentlich an meinem Leben nicht spurlos vorübergehen, wenn ich damit anfange, der Liebe mehr zuzutrauen als der Gewalt und dem Todesschicksal. Wenn die befreiende Botschaft wirklich ankommt, so verändert sie mein Leben. Die Frage ist eben nur, ob sie ankommt, ob wir dieser Botschaft gegen unsere alltägliche Resignation eine Chance geben. Die Frage ist also die, ob uns das Wort, das in die Welt, in sein Eigentum kam, ob uns dieses Wort verlässlicher scheint, als die Botschaft, mit der uns diese Welt Tag für Tag überrollt und manchmal auch einschüchtert.
Ich wünsche uns einen gesegneten Advent voller Offenheit, damit Gott mit seinem befreienden Wort in dieser Welt – in uns selbst – ankommen kann.
Ihr Hubert Treske, Don Bosco Forchheim
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