Uni Bay­reuth: Empi­ri­sche Stu­di­en in afri­ka­ni­schen Grenz­re­gio­nen ent­lang der Gro­ßen Seen

(UBT) Die Regi­on der afri­ka­ni­schen Gro­ßen Seen, die sich über 600 km vom Albert­see im Nor­den bis zum Tan­ga­ny­ika-See im Süden erstreckt, gehört zu den beson­ders dicht besie­del­ten Gebie­ten in Afri­ka. Die Grenz­räu­me zwi­schen den Anrai­ner­staa­ten sind von bewaff­ne­ten Kon­flik­ten, aber zugleich von Aus­tausch und Inte­gra­ti­on geprägt. Mit den grenz­über­schrei­ten­den öko­no­mi­schen Ver­flech­tun­gen und poli­ti­schen Dyna­mi­ken befas­sen sich seit meh­re­ren Jah­ren Dr. Mar­tin Doe­ven­speck, Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für Bevöl­ke­rungs- und Sozi­al­geo­gra­phie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und Moris­ho Mwa­na­bi­nin­go Nene, der an der Bay­reuth Inter­na­tio­nal Gra­dua­te School of Afri­can Stu­dies (BIGS­AS) promoviert.
In der „Geo­gra­phi­schen Rund­schau“ haben die bei­den Autoren kürz­lich drei empi­ri­sche Fall­skiz­zen ver­öf­fent­licht. Dar­in wird deut­lich, wel­che viel­fäl­ti­gen Funk­tio­nen die Staats­gren­zen in die­ser afri­ka­ni­schen Regi­on erfül­len und wel­che sym­bo­li­schen Bedeu­tun­gen ihnen dabei zuer­kannt werden.

An der Schnitt­stel­le der poli­ti­schen Syste­me: Im Grenz­raum zwi­schen Kon­go und Ruanda

Die Gren­ze, die zwi­schen den benach­bar­ten Städ­ten Goma (Kon­go) und Gise­nyi (Ruan­da) ver­läuft, trennt ehe­ma­li­ge Kriegs­geg­ner und Bevöl­ke­rungs­grup­pen, die sich bis heu­te miss­trau­isch oder sogar feind­se­lig gegen­über ste­hen. Sie mar­kiert die tief­grei­fen­den Unter­schie­de in den poli­ti­schen Ord­nun­gen bei­der Län­der, die sich weit aus­ein­an­der ent­wickelt haben. Unter­halb der Abgren­zung der poli­ti­schen Syste­me hat sich jedoch ein dich­tes Geflecht von Aus­tausch­be­zie­hun­gen ent­wickelt. Grenz­über­schrei­ten­der Han­del, Schmug­gel und Arbeits­mi­gra­ti­on gehö­ren zum All­tag vie­ler Grenz­raum­be­woh­ner. So kön­nen exi­sten­zi­el­le Nöte bewäl­tigt wer­den, die oft in poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen begrün­det sind – sei es in der pre­kä­ren Sicher­heits­la­ge und dem weit­ge­hen­den Feh­len staat­li­cher Struk­tu­ren im Ost­kon­go oder im dik­ta­to­ri­schen Ent­wick­lungs­mo­dell in Ruanda.

Gute Regie­rungs­füh­rung in Rebel­len­hand: Im Grenz­raum zwi­schen Kon­go und Uganda

Die inter­na­tio­na­le Bericht­erstat­tung zu den Kon­flik­ten um afri­ka­ni­sche Boden­schät­ze erweckt häu­fig den Ein­druck, die Wirt­schaft im Ost­kon­go sei haupt­säch­lich von Expor­ten geprägt. Doch wie Doe­ven­speck und Moris­ho deut­lich machen, wird in den Gebie­ten ent­lang der ugan­di­schen Gren­ze weit­aus mehr Geld mit Import­ge­schäf­ten ver­dient. Ins­be­son­de­re die Regi­on nörd­lich des Kivu-Sees ist von zen­tra­ler Bedeu­tung für den Tran­sit von Kon­sum­gü­tern, die vor allem in Chi­na her­ge­stellt wer­den. Die kon­go­le­si­sche Rebel­len­or­ga­ni­sa­ti­on CNDP (Con­grès Natio­nal pour la Defen­se du Peu­ple) hat­te in die­sen Gebie­ten von 2006 bis 2009 ein para­staat­li­ches Régime errich­tet. Ein pro­fes­sio­nel­les Grenz­ma­nage­ment ließ die Zoll- und Steu­er­ein­nah­men erheb­lich stei­gen. Dabei wur­de ein nicht gerin­ger Anteil der Gewin­ne für die Finan­zie­rung mili­tä­ri­scher Kon­flik­te ein­ge­setzt. Ande­rer­seits gelang es dem CNDP, die Lebens­ver­hält­nis­se der ost­kon­go­le­si­schen Bevöl­ke­rung ansatz­wei­se zu ver­bes­sern. Die Grenz­re­gi­on erhielt so einen hohen Sym­bol­wert für eine Rebel­len­be­we­gung, die sich als Initia­tor guter Regie­rungs­füh­rung prä­sen­tie­ren woll­te und konnte.

Vor dem Unab­hän­gig­keits­re­fe­ren­dum: Im Grenz­raum zwi­schen Ugan­da und dem Südsudan

Zwei Jahr­zehn­te lang, bis zum 2005 geschlos­se­nen Frie­dens­ab­kom­men, war die Regi­on zwi­schen Ugan­da und dem Sudan von mili­tä­ri­schen Kon­flik­ten und Flucht­be­we­gun­gen geprägt. Heu­te jedoch bestim­men Han­del und Ver­kehr das Gesche­hen. Der Grenz­über­gang Oraba-Kaya ist eine der wich­tig­sten Durch­gangs­sta­tio­nen für Bau­ma­te­ria­li­en, Agrar­pro­duk­te, Klei­dung und Kraft­fahr­zeu­ge. Ugan­di­sche Händ­ler erschlie­ßen auf die­sem Weg den Süd­su­dan als pro­fi­ta­blen Absatz­markt. Umge­kehrt über­que­ren vie­le Süd­su­da­ne­sen die Gren­ze, weil sie im Nor­den Ugan­das Aus­bil­dungs­chan­cen, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Unter­hal­tungs­an­ge­bo­te vorfinden.
Der Lebens­all­tag der Men­schen wird durch stän­di­ge Ver­hand­lun­gen mit den Grenz­be­am­ten erschwert. Die­se demon­strie­ren auf ugan­di­scher Sei­te die Macht der Zen­tral­re­gie­rung und agie­ren auf süd­su­da­ne­si­scher Sei­te so, als exi­stie­re bereits ein neu­er Staat Süd­su­dan, der sich von der Zen­tral­re­gie­rung getrennt hat. Ob es zu die­ser Staa­ten­bil­dung kommt, wird ein für 2011 geplan­tes Refe­ren­dum zeigen.

Die Stu­di­en von Doe­ven­speck und Moris­ho zei­gen, wie die Gren­zen zwi­schen den sub­sa­ha­ri­schen Staa­ten von Regie­run­gen und Bevöl­ke­run­gen aus ihren jewei­li­gen Inter­es­sen­kon­stel­la­tio­nen her­aus effek­tiv genutzt wer­den. Die Exi­stenz die­ser Gren­zen wird dabei in der Regel, trotz ihres kolo­nia­len Ursprungs, nicht mehr in Fra­ge gestellt.