Wor­te in die Zeit: 33. Sonn­tag im Jahreskreis

Was wir im Evan­ge­li­um des heu­ti­gen Sonn­tags zu lesen und zu hören bekom­men, lie­be Lese­rin­nen und Leser, lie­be Mit­chri­sten, lässt einen kalt erschau­ern und erschrecken: Da ist von Krie­gen, Erd­be­ben und Seu­chen die Rede – und sie gel­ten als Zei­chen für ein nahes Ende.

Das, was Jesus hier ankün­digt, war auch für die Juden sei­ner Zeit nie­der­schmet­ternd und kaum fass­bar: Jeru­sa­lem und sein Tem­pel wer­den bei all die­sen Vor­zei­chen des Endes zum zwei­ten Mal zer­stört wer­den; die präch­ti­gen Wei­he­ge­schen­ke, die kunst­vol­le Aus­stat­tung, all das ist nur ein schö­ner Schein, das die römi­schen Erobe­rer dem Erd­bo­den gleich­ma­chen wer­den. Aber noch schlim­mer: das Ende des Tem­pels wird nicht nur einen belie­bi­gen Zeit­ab­schnitt der jüdi­schen Geschich­te abschlie­ßen, Jeru­sa­lems Zer­stö­rung bringt auch das Ende der alten jüdi­schen Religiosität.

Eine Welt bricht zusam­men, ein Volk droht zu ver­lie­ren, was es bis­her zusam­men­hielt: die Gewiss­heit, Got­tes aus­er­wähl­tes Volk zu sein. Nicht zufäl­lig beschreibt Lukas den Fall Jeru­sa­lems – der ja zu sei­ner Zeit bereits geschicht­li­che Tat­sa­che war, als er sein Evan­ge­li­um schrieb – mit dem alt­te­sta­ment­li­chen Bild vom Jüng­sten Tag, an dem Gott sein Volk heim­sucht und all das zer­schlägt, was ihm bis­her Sicher­heit und Selbst­ver­trau­en gab.

Zu lan­ge hat man in Jeru­sa­lem zu genau Bescheid dar­über gewusst, wer Gott ist, zu wem er hält, was er tun wird, wer ihm gefällt und wer nicht. Zu sicher war man sich sei­nes Got­tes und sei­nes Wohl­wol­lens, als dass man sich noch die Mühe gemacht hät­te, die Zei­chen der Zeit zu deu­ten, danach zu fra­gen, was hier und jetzt Got­tes Wil­le ist. Eine Reli­gi­on, die ihren Gott in einem präch­ti­gen Tem­pel und in spitz­fin­di­gen Leh­ren ding­fest macht, ist zum Unter­gang ver­ur­teilt, ihre Welt muss zusam­men­bre­chen – der Fall des Tem­pels ist dafür nur die äuße­re Bestätigung.

Und für den, der heu­te in und mit der Kir­che lebt, drängt sich die Fra­ge gera­de­zu auf, ob nicht auch uns der Zusam­men­bruch einer Welt bevor­steht. Anzei­chen dafür gibt es vie­le: vie­ler­orts – auch bei uns – Got­tes­dien­ste mit immer weni­ger Gläu­bi­gen, die mit­fei­ern; die reli­giö­se Sub­stanz im öffent­li­chen Leben schwin­det zuneh­mend; in wei­ten Tei­len Deutsch­land eine Jugend, die der Kir­che oder ihren Amts­trä­gern zum über­wie­gen­den Teil ent­schie­den den Rücken kehrt. Bricht die Welt der Glau­ben­den zusam­men, zer­bröckelt der schö­ne Schein kunst­vol­ler Fassaden?

Sicher, vie­les zer­bricht, weil die Kir­che es nicht recht­zei­tig hat aus der Hand legen kön­nen: der herr­schaft­li­che Füh­rungs­stil etwa, oder bestimm­te ritu­el­le For­men, die kaum noch jemand mit voll­zie­hen kann. Aber – so fra­gen sich vie­le unter uns – ster­ben denn nur die an sich unwich­ti­gen Äußer­lich­kei­ten ab? Oder ist unser Glau­be nicht doch im Inner­sten bedroht? Bedroht vom laut­lo­sen Aus­zug derer, die ihn wei­ter­tra­gen müss­ten? Bedroht vom Ver­lust der Glaub­wür­dig­keit derer, die in sei­nem Namen reden?

Es scheint mir, lie­be Lese­rin­nen und Leser, lie­be Mit­chri­sten, als hät­ten wir alle eine Lek­ti­on zu lernen.

Vor Gott kommt es nicht dar­auf an, wie stark und macht­voll die Kir­che ist, son­dern wie stark und lebens­mäch­tig unser Glau­be ist. Nicht der Ein­satz dafür, dass die Kir­che eine ein­fluss­rei­che gesell­schaft­li­che Grup­pe bleibt, ist uns abge­for­dert, son­dern das Zeug­nis für den Gott Jesu Chri­sti, für den Gott, der das Glück der Men­schen will und ihre tief­sten Sehn­süch­te zu erfül­len ver­mag, auch wenn wir viel­leicht nur noch den Zusam­men­bruch und den Nie­der­gang sehen.

Ich weiß aber auch zu gut, wie schwer es ist, die­se Unter­schei­dung zu tref­fen. Wie leicht resi­gniert man, wenn die ande­ren einem beim Glau­bens­zeug­nis im Stich las­sen und man dann plötz­lich ziem­lich allein auf wei­ter Flur steht; wenn sich bei all dem, was man guten Her­zens tut, ein­fach kein sicht­ba­rer Erfolg ein­stel­len will. Kann man die Freu­de der Glau­ben­den bezeu­gen, wenn man selbst vom Miss­erfolg bit­ter gewor­den ist? Gegen die­se – für den Glau­ben töd­li­che – Resi­gna­ti­on hilft viel­leicht nur eins: Man darf sich nicht die fal­schen Sor­gen machen!

Gott wird das, was er mit uns Men­schen vor­hat, nicht dar­an schei­tern las­sen, dass eini­ge von uns oder sogar vie­le nicht mehr mit­ma­chen wol­len. Er wird sich die Men­schen rufen, die er braucht – viel­leicht gehö­ren wir dazu. Wenn Gott uns zu sei­nem Werk braucht, dann sind alle Sor­gen über­flüs­sig, die wir uns dar­um machen, wie wir uns als Glau­ben­de in die­ser Welt behaup­ten. Dann haben wir nicht nötig, wie es im Text des Evan­ge­li­ums heißt, uns mit Ban-gen auf unse­re Ver­tei­di­gung vor­zu­be­rei­ten. Aller­dings müs­sen wir Abschied neh­men von der beru­hi­gen­den Vor­stel­lung, wir stün­den – wie ja jeder­mann sehen kann – immer noch auf der Sei­te der Stär­ke­ren. Als Jesus davon sprach, dass die Pfor­ten der Höl­le sie nicht über­wäl­ti­gen, hat er den Glau­ben­den nicht ver­spro­chen, dass sie stets zu den Mäch­ti­gen und Ange­se­he­nen gehö­ren wer­den. Er hat ihnen viel­mehr ver­hei­ßen, dass nichts, was aus Glau­ben geschieht, umsonst ist, dass Glau­be, Hoff­nung und Lie­be ihr Ziel fin­den werden.

Wer sich also die fal­sche Sor­gen abneh­men lässt, der hat Hän­de und Sin­ne frei für die Sor­gen, die ihn ange­hen und sei­ne Ver­ant­wor­tung her­aus­for­dern. Sehen wir als Glau­ben­de klar genug, was unse­re Welt – unse­ren gemein­sa­men Lebens­raum – mit Ver­nich­tung bedroht? Haben wir Augen für die Spi­ra­le des Has­ses und die eiser­ne Kon­se­quenz der Aus­beu­tung, die den Frie­den unter den Men­schen gefähr­den? Viel­leicht haben Glau­ben­de die Chan­ce, sich den Blick auf die dro­hen­de Apo­ka­lyp­se von Men­schen­hand nicht ver­ne­beln zu las­sen durch star­re Inter­es­sen der Selbst­er­hal­tung und der Insti­tu­tio­nen. Viel­leicht wäre dies das Zeug­nis, das die Welt von uns erwar­tet: frei zu sein von allen tak­ti­schen Win­kel­zü­gen und von aller (macht­po­li­ti­schen) Ver­schla­gen­heit – frei zu sein für die Sor­gen derer, die sich noch nicht dem Zynis­mus ver­schrie­ben haben. Es lohnt, dar­über nach­zu­den­ken – ganz sicher!

Ich wün­sche Ihnen einen geseg­ne­ten Sonn­tag und einen guten Start in die kom­men­de Woche.

Ihr Hubert Tres­ke, Don Bos­co Forchheim