Bau­stei­ne für Inno­va­tio­nen in der Bio­me­di­zin: rekom­bi­nan­te Spinnenseidenproteine

Spin­nen­sei­de gilt in den Mate­ri­al­wis­sen­schaf­ten als eines der fas­zi­nie­rend­sten Natur­pro­duk­te. Eiweiß­mo­le­kü­le, aus denen sich Spin­nen­sei­de zusam­men­setzt, kön­nen heu­te mit­hil­fe gen­techisch ver­än­der­ter Orga­nis­men bio­tech­no­lo­gisch her­ge­stellt wer­den. Mög­li­che Anwen­dun­gen die­ser bio­tech­no­lo­gisch pro­du­zier­ten Pro­te­ine – sie wer­den als „rekom­bi­nan­te Pro­te­ine“ bezeich­net – sind ein For­schungs­schwer­punkt von Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Bio­ma­te­ria­li­en inne­hat. Die Titel­ge­schich­te der jüng­sten Aus­ga­be von „Macro­mole­cu­lar Bio­sci­ence“ berich­tet über neue­re Ergeb­nis­se sei­ner Forschergruppe.

Sei­den­par­ti­kel für den Trans­port medi­zi­ni­scher Wirkstoffe

Par­ti­kel aus Spin­nen­sei­den­pro­te­inen sind in her­vor­ra­gen­der Wei­se dafür geeig­net, Wirk­stof­fe auf scho­nen­de und effek­ti­ve Wei­se lang­an­hal­tend in einem Orga­nis­mus frei­zu­set­zen. Ent­schei­dend ist dabei der Wirk­stoff­be­la­dungs- und Frei­set­zungs­pro­zess der Par­ti­kel, den das For­schungs­team um Schei­bel im Labor­maß­stab ana­ly­sie­ren konn­te: Zunächst lagern sich die Wirk­stoff­mo­le­kü­le an der Ober­flä­che eines Sei­den­par­ti­kels an. Anschlie­ßend dif­fun­die­ren sie in das Inne­re des Par­ti­kels. Sobald die Pro­te­in­par­ti­kel mit Kör­per­flüs­sig­kei­ten in Kon­takt kom­men, wer­den die Wirk­stoff­mo­le­kü­le von der Ober­flä­che aus lang­sam und kon­ti­nu­ier­lich wie­der an die Umge­bung abgegeben.

Es bie­tet sich an, die­sen Pro­zess für die Wirk­stoff­for­mu­lie­rung zu nut­zen. Denn bio­lo­gisch abbau­ba­re Kap­seln aus Spin­nen­sei­de kön­nen gewähr­lei­sten, dass dem Blut­kreis­lauf eine defi­nier­te Dosis eines Wirk­stoffs zuge­führt wird – ste­tig und über einen län­ge­ren Zeit­raum hin­weg. Die Sei­den­par­ti­kel selbst wer­den inner­halb weni­ger Wochen vom Orga­nis­mus bio­lo­gisch abge­baut. Dabei ent­ste­hen Ami­no­säu­ren, die vom Kör­per wie­der­um für den Stoff­wech­sel ver­wen­det wer­den können.

Sei­den­fil­me für die künst­li­che Her­stel­lung von Zellgewebe

Extrem dün­ne Filme/​Folien aus Sei­den­pro­te­inen bil­den einen wei­te­ren For­schungs­schwer­punkt. Sie eig­nen sich unter ande­rem als Basis­ma­te­ri­al für bio­che­mi­sche Sen­so­ren, die win­zi­ge Men­gen einer orga­ni­schen Sub­stanz auf­spü­ren kön­nen. Von her­aus­ra­gen­dem Inter­es­se für die Bio­me­di­zin ist die Mög­lich­keit, Sei­den­fil­me für die künst­li­che Her­stel­lung von Zell­ge­we­be, das sog. „Tissue Engi­nee­ring“, ein­zu­set­zen. Denn auf den Sei­den­ober­flä­chen las­sen sich gewe­be­bil­den­de Zel­len ansie­deln, die sich kon­ti­nu­ier­lich ver­meh­ren und zusam­men­hän­gen­de Struk­tu­ren bil­den. Es kann sich dabei um ganz unter­schied­li­che Arten von Zel­len han­deln – bei­spiels­wei­se um Zell­ge­we­be, das dem natür­li­chen Kno­chen­ma­te­ri­al sehr ähn­lich ist, oder auch um Stamm­zel­len, die sich in unter­schied­li­che Rich­tun­gen hin aus­dif­fe­ren­zie­ren können.

Opti­mie­rung von Implan­ta­ten für die Chirurgie

Zusam­men mit dem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Würz­burg arbei­tet die For­scher­grup­pe um Schei­bel seit kur­zem an Sei­den­film­be­schich­tun­gen für Brust­im­plan­ta­te aus Sili­kon. Dabei hat der Sei­den­film die Funk­ti­on, im Kör­per eine Bar­rie­re zwi­schen dem Sili­kon und dem umge­ben­den Gewe­be zu bil­den. Das Implan­tat gewinnt dadurch Ober­flä­chen­ei­gen­schaf­ten, die weit­aus bes­ser ver­träg­lich sind als die des Sil­kons. So blei­ben den Pati­en­tin­nen Schmer­zen und erneu­te Ope­ra­tio­nen erspart.

Kon­trol­lier­te Eigenschaftsprofile

Bei allen Anwen­dun­gen sind die Eigen­schaf­ten der Sei­den­pro­te­ine von zen­tra­ler Bedeu­tung: Dazu zäh­len ins­be­son­de­re mole­ku­la­re Mikro­struk­tu­ren, das Ver­hal­ten der Sei­den­ma­te­ria­li­en unter ver­schie­de­nen Drücken und Tem­pe­ra­tu­ren, ihre che­mi­sche Reak­ti­ons­freu­dig­keit, ihre Gas- und Was­ser­durch­läs­sig­keit und – was in der Medi­zin beson­ders wich­tig ist – ihr bio­lo­gi­sches Abbau­ver­hal­ten. Unter Labor­be­din­gun­gen kön­nen die­se Eigen­schaf­ten prä­zi­se gesteu­ert wer­den. Das Bay­reu­ther For­schungs­team um Schei­bel ist in der Lage, jeden ein­zel­nen Schritt bei der Her­stel­lung von Sei­den­ma­te­ria­li­en so zu kon­trol­lie­ren, dass am Ende ein Eigen­schafts­pro­fil her­aus­kommt, das die beab­sich­tig­ten Anwen­dun­gen unterstützt.

Bio­ma­te­ria­li­en – eine Alter­na­ti­ve zu syn­the­ti­schen Kunststoffen

„Es ist beein­druckend, wie viel­sei­tig Spin­nen­sei­den­pro­te­ine in der Bio­me­di­zin, der Phar­ma­zie oder der Tex­til­in­du­strie ein­ge­setzt wer­den kön­nen,“ erklärt Schei­bel. „In den letz­ten Jah­ren ist es uns gelun­gen, die Eigen­schaf­ten von sei­den­ba­sier­ten Bio­ma­te­ria­li­en wie z.B. Fil­me oder Par­ti­kel mit immer grö­ße­rer Prä­zi­si­on zu kon­trol­lie­ren; und zwar so, dass sie für die jeweils ange­streb­ten Anwen­dun­gen funk­ti­ons­op­ti­miert sind. Des­halb sind Bio­ma­te­ria­li­en, die auf der Basis von Spin­nen­sei­den­pro­te­inen her­ge­stellt wer­den, eine lei­stungs­star­ke Alter­na­ti­ve zu bis­he­ri­gen syn­the­ti­schen Kunst­stof­fen. Die Natur weist uns auch in die­ser Hin­sicht den Weg zu inno­va­ti­ven Produkten.“

Ver­öf­fent­li­chung

Kri­sti­na Spiess, Andre­as Lam­mel, Tho­mas Scheibel:
Recom­bi­nant Spi­der Silk Pro­te­ins for Appli­ca­ti­ons in Biomaterials,
In: Macro­mole­cu­lar Bio­sci­ence (2010), Vol. 10, Issue 9, pp. 998‑1007,
DOI-Book­mark: 10.1002/mabi.201000071