Worte in die Zeit – 27. Sonntag im Jahreskreis

Auch wenn in vielen Gemeinden heute Erntedank gefeiert wird, liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitchristen, möchte ich doch den Blick auf den Teil des Lukas-Evangeliums richten, der heute am 27. Sonntag im Jahreskreis normaler Wese gelesen werden würde – und so überhaupt nicht zum Charakter des Erntedankes passen will. Und dennoch spiegelt er irgendwie die Realität auch in unserer modernen Gesellschaft wieder, so dass dieser Text es wert ist, ihn etwas genauer anzuschauen.

Jesus beschreibt einen Knecht oder Arbeiter, der sich abmüht, arbeitet und pflügt, schaufelt und schuftet – und dann am Abend, wenn er heimkommt, auch noch seinen Herrn bedienen soll. So etwas gibt es heutzutage wohl nicht mehr, denn immerhin leben wir in einer Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt sind!

Und doch – meine ich – haben wir modernen Menschen, oder doch die meisten von uns, einen großen Herrn, dem wir alle dienen und dessen Knechte wir alle sind: und dieser Herr heißt Leistung.

Wir alle müssen unsere Leistung bringen, wenn wir etwas gelten wollen, wenn wir anerkannt und geschätzt sein wollen. Der Arbeiter im Betrieb muss eine bestimmte Anzahl von Schrauben eindrehen; die Frau am Fließband muss genau so und so viele Stücke am Tag fertig stellen. Wer diese Leistung nicht bringt, kann entlassen werden; wer aber diese Leistung bringt, ist ein fleißiger und anständiger Arbeiter. Ja selbst der für seine Freiheit gerühmte Landwirt muss sein bestimmtes Kontingent abliefern, wenn er an seinen Produkten noch etwas verdienen will.

Und wenn wir einen ganzen Tag lang Knecht dieses Leistungsdenkens waren, wenn wir, um die Leistung zu erbringen, genügend geschuftet, geschaufelt, gebuckelt und gearbeitet haben, dann haben wir ein Recht auf unser Geld, auf unseren Urlaub, auf unsere Rente. Nur wer einen ganzen Tag lang so ein Knecht war, der kann am Abend die Füße ausstrecken unter seinen Tisch, der kann sich bedienen lassen und sich einen gemütlichen Abend machen. Das ist doch heutzutage vielfach unser Denken und Handeln.

Nur in einem Fall, da können wir nicht auf unsere Leistung pochen, und das ist bei Gott. Da können wir nicht sagen: So, genug geleistet, geglaubt, gehofft, geliebt, Gebote gehalten, für heute ist Feierabend. Bei Gott gibt es dieses Leistungsdenken – Gott sei Dank – nicht, und auch für uns Christen sollte die Leistung nicht entscheidend sein. Christentum ist mehr als bloße Pflichterfüllung.

Deshalb sagt ja auch Jesus: „Wenn ihr das alles getan habt, was euch befohlen ist, sollt ihr denken: wir haben ja nur unsere Schuldigkeit getan.“

Das heißt doch mit anderen Worten: wir sollen uns nicht so viel auf unsere religiöse Leistung einbilden und uns nicht damit brüsten, wenn es uns wieder einmal gelungen ist, so und so oft in die Kirche zu gehen. Wir sollten uns auch nicht gut vorkommen, wenn wir jede Woche die Kirchenzeitung lesen und die Pfarrnachrichten noch dazu, wenn wir die „Kirchensteuer“ zahlen und bei Spendenaktionen unser Scherflein beitragen. Irgendwo, sagt Jesus, ist das ja selbstverständlich, seid mir nicht böse, liebe Apostel, und seid mir nicht böse, liebe Christen im 20. Jahrhundert. Denn schließlich erkennt man einen Christen doch nicht nur daran, dass er seine religiöse Leistung bringt und das Selbstverständliche erfüllt.

Woran man einen Christen zunächst und wirklich erkennt, das sind sein Glaube und sein Vertrauen. Der Glaube, dass Gott da ist, an jeder Stelle meines Lebens, und das Vertrauen, dass er mein Bestes will, dass er mein Leben lenkt und führt, dass er mich begleitet jeden Tag und dass er uns seinen Geist schenkt, der uns stärkt.

Und gerade da packen uns gar oft die Zweifel: „Wo war er denn, als es meiner Frau / meinem Mann so schlecht ging? Wo war er denn, als unser Kind in einer Krise steckte und allein nicht mehr weiter wusste? Wo war er denn, als der kleine fünfjährige Junge vom Auto erfasst und überfahren wurde? Wo war er denn? Ich habe ihn nicht gesehen!“

Wenn wir doch auch sonst so kritisch wären! Wenn wir doch das, was unsere Zeitungen und Nachrichten im Fernsehen Tag für Tag bringen, auch so kritisch hinterfragen würden. Wenn wir auch sonst solche Maßstäbe anlegen würden.

Keiner, der ins Gebirge fährt und vor lauter Nebel und Wolken die Berge nicht sieht, zweifelt ernsthaft an der Existenz, am Vorhandensein der Berge. Nur im Bereich der Religion, im Umgang mit Gott, da kommen uns die Zweifel. Und gar oft kommen wir in Situationen, dass wir, wie die Apostel unserer Zeit, den Herrn bitten müssen: Ach Herr, stärke unseren Glauben. Stärke unseren Glauben, dass er uns trägt und hält, wenn das Leben schwer ist.

Wichtig aber ist auch, dass wir den gewonnenen Glauben leben, und das nicht nur sonntags zwischen zehn und elf Uhr. Und „den Glauben leben“ heißt konkret: im Alltag beweisen, dass man ein Christ ist, dass man einen Grund hat, der trägt und der einen handeln lässt. Das betrifft wohl jeden in einem anderen Bereich. Der eine müht sich vielleicht, rücksichtsvoller zu werden im Umgang mit anderen, der andere weniger launisch, der nächste drückt sich nicht mehr grundsätzlich, wenn Hilfe gefragt ist.

Den Glauben leben bedeutet nach Jesu Worten aber noch mehr: Der Glaube kann uns verändern, so dass wir Unmögliches fertig bringen. Glaube kann, um im Bild des Evangeliums zu bleiben, Bäume mitsamt der Wurzel ins Meer versetzen.

Dieser Vergleich Jesu ist ziemlich handfest, ja sogar übertrieben. Was sollte auch ein Baum mitten im Meer! Trotzdem dürfen wir ernst nehmen, was Jesus damit sagen will: dass Glaube Unerwartetes bewirken und verändern kann – wenn wir nur wollen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen guten Start in die kommende Woche.

Ihr Hubert Treske, Don Bosco Forchheim