Wie die Kli­ma­de­bat­te den Blick auf Ent­wick­lungs­fra­gen verändert

(UBT) Die Wis­sen­schaft ist sich weit­ge­hend dar­über einig, dass der Kli­ma­wan­del die Lebens­be­din­gun­gen auf der Erde erheb­lich ver­än­dern wird. Wie kön­nen, wie sol­len sich die Men­schen auf die abseh­ba­ren Kon­se­quen­zen ein­stel­len? Mit die­ser Fra­ge befas­sen sich welt­weit immer mehr For­schungs­pro­jek­te. Auf der Basis empi­ri­scher Daten wol­len sie glo­ba­le oder regio­na­le Stra­te­gien der Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del erar­bei­ten. Dabei ändern sich bis­he­ri­ge Sicht­wei­sen auf sozia­le und wirt­schaft­li­che Pro­zes­se – mit erheb­li­chen, oft­mals unbe­ach­te­ten Fol­gen für Ent­wick­lungs­kon­zep­te in Wis­sen­schaft und Politik.

Auf die­se Zusam­men­hän­ge macht Prof. Dr. Det­lef Mül­ler-Mahn auf­merk­sam, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Bevöl­ke­rungs- und Sozi­al­geo­gra­phie inne­hat. In Afri­ka ist er seit vie­len Jah­ren an For­schungs- und Ent­wick­lungs­pro­jek­ten betei­ligt. Vor dem Hin­ter­grund die­ser Erfah­run­gen beob­ach­tet er mit wach­sen­der Sor­ge, wie inter­na­tio­na­le Debat­ten über den Kli­ma­wan­del sich auf den Umgang mit Ent­wick­lungs­fra­gen aus­wir­ken. Gemein­sam mit sei­nem bri­ti­schen Kol­le­gen Ter­ry Can­non vom Insti­tu­te for Deve­lo­p­ment Stu­dies (IDS) in Brigh­ton hat er in der Zeit­schrift „Natu­ral Hazards“ eine kri­ti­sche Ana­ly­se vorgelegt.

Sozio­öko­no­mi­sche Ent­wick­lun­gen und poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung: Ein Plä­doy­er gegen natu­ra­li­sti­sche Vorstellungen

Die bei­den Autoren beto­nen, wie dring­lich es ist, dass über Anpas­sungs­stra­te­gien an den Kli­ma­wan­del welt­weit nach­ge­dacht wird. Zugleich aber war­nen sie davor, mensch­li­che Gesell­schaf­ten wie natür­li­che Öko­sy­ste­me zu betrach­ten, die auf kli­ma­ti­sche Ver­än­de­run­gen immer nur nach­träg­lich reagie­ren kön­nen. Wis­sen­schaft und Poli­tik soll­ten nicht allein dar­auf hin­ar­bei­ten, die Wider­stands­fä­hig­keit („resi­li­ence“) gan­zer Gesell­schaf­ten durch kli­ma­po­li­ti­sche Abwehr­maß­nah­men zu stär­ken, son­dern dabei immer auch die Ver­wund­bar­keit („vul­nerabi­li­ty“) von Indi­vi­du­en und gesell­schaft­li­chen Grup­pen im Blick behal­ten und deren Inter­es­sen schützen.

Wie Can­non und Mül­ler-Mahn kri­tisch anmer­ken, ver­lei­tet der Ver­gleich mit natür­li­chen Öko­sy­ste­men dazu, einen wesent­li­chen Aspekt zu ver­nach­läs­si­gen: Sozia­le und wirt­schaft­li­che Gege­ben­hei­ten und eta­blier­te Macht­struk­tu­ren haben einen ent­schei­den­den Anteil dar­an, wie ver­wund­bar die Men­schen sind. Sozio­öko­no­mi­sche Ver­hält­nis­se in den ärm­sten Regio­nen der Erde so zu gestal­ten, dass die Men­schen in ihrem loka­len Umfeld mög­lichst auto­nom und sicher leben kön­nen – dies muss nach Auf­fas­sung der bei­den Wis­sen­schaft­ler ein ele­men­ta­res Ziel von Ent­wick­lung blei­ben. Das gel­te erst recht ange­sichts der dra­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen, die der Kli­ma­wan­del mit sich bringt. „Natu­ra­li­sti­sche Sicht­wei­sen ver­lei­ten dazu, ethisch-poli­ti­sche Leit­be­grif­fe wie Gerech­tig­keit und Gleich­heit zu ver­nach­läs­si­gen. Auch die indi­vi­du­el­le Ver­ant­wor­tung der Akteu­re in Wirt­schaft und Poli­tik wird dabei zu leicht aus­ge­blen­det,“ erklärt Mül­ler-Mahn und fügt hin­zu: „Die blu­mi­ge Rede­wei­se von der Gerech­tig­keit gegen­über künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen ist dafür kein Ersatz.“

Risi­ken und Kata­stro­phen: Sozi­al- und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Perspektiven

Wer an die Her­aus­for­de­run­gen des Kli­ma­wan­dels so her­an­ge­hen will, dass die ethi­sche und poli­ti­sche Dimen­si­on von Ent­wick­lungs­fra­gen im Blick­feld bleibt, darf – so die bei­den Autoren – einen grund­le­gen­den Sach­ver­halt nicht über­se­hen: Wet­ter­ereig­nis­se und Kli­ma­ent­wick­lun­gen sind kei­nes­falls aus sich selbst her­aus, sozu­sa­gen ihrer inne­ren Natur nach, Risi­ken oder Kata­stro­phen. Die­sen Cha­rak­ter gewin­nen sie erst im Zusam­men­wir­ken mit der Lebens­welt von Men­schen. Es hängt wesent­lich auch von deren Bedürf­nis­sen, Inter­es­sen, Gewohn­hei­ten und Zukunfts­ent­wür­fen ab, in wel­cher Wei­se die Natur als gefähr­lich oder kata­stro­phal erlebt wird. „Nur wer die­sen Zusam­men­hang aner­kennt, ist ange­sichts des Kli­ma­wan­dels zu einem ange­mes­se­nen Umgang mit Ent­wick­lungs­fra­gen in der Lage,“ so Müller-Mahn.

„An die­ser Stel­le sind nicht die Natur­wis­sen­schaf­ten, son­dern die Sozi­al- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten gefor­dert. Die For­schung muss sich viel stär­ker als bis­her dafür inter­es­sie­ren, wie Men­schen in ihren jewei­li­gen Regio­nen mit Wet­ter­ereig­nis­sen und Kli­ma­ent­wick­lun­gen umge­hen. Deren Inter­es­sen, Erfah­run­gen und loka­les Wis­sen sind wert­vol­le Bei­trä­ge für Ent­wick­lungs­kon­zep­te, die ihnen dabei hel­fen wol­len, die eige­nen Lebens­ver­hält­nis­se gegen­über dem Kli­ma­wan­del abzu­si­chern,“ erläu­tert der Bay­reu­ther Exper­te für Sozi­al­geo­gra­phie sei­nen For­schungs­an­satz. Auch über die Begriffs­wel­ten, in denen öffent­lich über Wet­ter und Kli­ma gere­det wird, soll­te sei­ner Über­zeu­gung nach inten­si­ver nach­ge­dacht wer­den. Denn dadurch könn­ten Inter­es­sens- und Macht­struk­tu­ren deut­li­cher zuta­ge tre­ten, die einer Ent­wick­lung zugun­sten armer Regio­nen und Bevöl­ke­rungs­grup­pen mög­li­cher­wei­se im Weg stehen.

Online-Ver­öf­fent­li­chung:

Ter­ry Can­non, Det­lef Müller-Mahn:
Vul­nerabi­li­ty, resi­li­ence and deve­lo­p­ment dis­cour­ses in con­text of cli­ma­te change,
in: Natu­ral Hazards, „Online First“.
DOI-Book­mark: 10.1007/s11069-010‑9499‑4

Nach Aus­kunft des Ver­lags wird der Bei­trag vor­aus­sicht­lich Ende 2010 oder Anfang 2011 im Druck erscheinen.